Seite:Die Gartenlaube (1891) 125.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

und fragt jeden, den er für einen ‚Gawlier‘ hält: ‚Fahr’n m’r oder spar’n m’r, Euer Gnaden?‘ Sie, lieber Herr, wenn Sie Wien genießen wollen, müssen S’ mit einem Grabenfiaker in den Prater fahren. Wenn er so seine Katzeln ‚fürischießen‘ laßt und sich durch das Gewühl von Wagen und Fußgängern durchwindet wie ein Wiesel, das ist der höchste Genuß, sag’ ich Ihnen. Der Gotschewer (Südfrüchtehändler), der am Portal des Trattnerhofes seine ‚Pomeranschen und Feigen‘ anbietet, gehört, seitdem ich denk’, zu den bekannten Grabenfiguren, der ‚Pintscherlverkäufer‘ ebenfalls, der unter den Armen und in jeder Rocktasche ein junges Hündchen hat. Der Mann mit dem südlichen Gesichtsausdruck, der ein Brett mit zierlichen Gipsfiguren auf dem Kopf trägt, ist der ‚Figurini‘; und schau’n S’ Ihnen die ‚fesche Godl‘ mit der ‚Butt’n‘, über welcher die geputzten Steifröcke hängen, an. Das ist das ‚Wiener Wäschermadl‘. Alle sehen freilich nicht so fesch aus wie die da. Aber die hübsche Figur, das kleine ‚Fußi‘ und das kecke ‚Goschi‘ finden Sie fast bei jeder.

Stefansdom.

 Riesenthor des Stefansdoms.

Da haben Sie noch einen Wiener Schusterbuben, ein verwegenes Gewächs, das immer zu Schabernack und tollen Streichen aufgelegt ist. Was glauben Sie, wer dieser elegante Herr ist, der eben in einen Fiaker einsteigt, um sich in den Prater fahren zu lassen? Das ist ein Kaffeehausmarqueur, der seinen freien Tag hat; an solchen Tagen ist er Kavalier vom reinsten Wasser und wirft das Geld mit vollen Händen hinaus. Die eleganten Damen und Herren machen ihre Einkäufe in den prachtvollen Kaufläden. Denn hier sind die stolzesten Firmen in Kunst-, Bronze- und Lederartikeln, in Bijouterie und Rauchwaren. Ein Geschenk, das die Marke einer Grabenfirma trägt, hat für den Beschenkten einen höheren Werth. Die jungen Herrchen in den auffallenden Kleidungen und mit dem komisch protzigen Wesen gehören der zahlreichen Gilde der ‚Wiener Gigerln‘ an. Es sind junge Leute, welche in ihrem Leben einen einzigen guten Einfall gehabt haben, nämlich den, daß sie in der Wahl ihrer Eltern vorsichtig waren. Ihr ganzes Denken und Trachten geht in ‚Pschütt‘ und ‚Chic‘ auf. Ihr höchster Ehrgeiz besteht darin, alle andern Pflastertreter durch bizarre Einfälle in Kleidung und Haltung, in blöden Wortverdrehungen und unmöglichen Gliederverrenkungen zu übertreffen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_125.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)