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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Brennberg wartete den Ablauf seines Miethsvertrages nicht ab und zog sofort um: ungeduldig sehnte er die Stunde herbei, wo er wieder sein eigener Hausherr sein würde. Sein ganzes Selbstbewußtsein, sein ganzes Standesgefühl waren ihm wiedergekehrt, als er endlich die „Brennburg“, wie er das neue Haus taufte, bezogen hatte; er stand jetzt wieder auf eigenem Boden, zwischen seinen eigenen vier Wänden, wenn letztere auch recht dünn waren.

Die Straße, in welcher die „Brennburg“ lag, war zwar sonst nichts weniger als vornehm: lauter Neubauten standen darin, von dem zusammengewürfelten frischen Zuzug vom Lande oder von kleinen Leuten bewohnt, welche die Theuerung aus der inneren Stadt verdrängt hatte. Doch das paßte Christian gerade; er war hier wieder der gnädige Herr Baron wie in Schönau, ja, was dort schon lange nicht mehr Sitte gewesen war: man grüßte den reichen Herrn Baron, der in dem schloßartigen Hause wohnte, von allen Seiten.

Er hätte sich hier ausgezeichnet wohl gefühlt, ja selbst der Blick auf die alte Heimath hätte ihm nicht mehr weh gethan; es machte sich eher eine Art von Schadenfreude bei ihm geltend, daß er dem kargen Boden, dem er ein ganzes Leben geopfert, der ihm viel Sorge und wenig Ertrag gebracht, der Jahrhundertelang sein Geschlecht gefesselt hatte, endlich noch in seinen alten Tagen entronnen sei. Nur eines ging ihm nicht aus dem Kopf: seine gesellschaftlichen Verpflichtungen, denen er jetzt nachkommen mußte.

Der neue Anzug lag bereit, der Schneider machte dem Herrn Baron beim Anprobiren Komplimente über seine aristokratische Erscheinung: da sei es ein wahres Vergnügen, zu arbeiten. Eine solche Schmeichelei hatte Christian schon lange nicht gehört; er ging in dem tadellosen Anzug vor dem Spiegel auf und ab und lachte über den Unsinn, daß er, ein alter Herr, noch mit solchen Geckereien sich abgebe, über seine Taille, die auf einmal so schlank erschien.

Wie doch so ein langer altmodischer Rock alt machte! Ja, man war weit gekommen, seit er jung gewesen war, auch im Schneiderhandwerk, das mußte er zugeben.

Endlich ließen sich die feierlichen Antrittsbesuche nicht mehr verschieben, und eigentlich mußte Christian sich gestehen, daß, je länger er wartete, desto mehr die Menschenscheu einer gewissen Neugierde wich, nach so langen Jahren wieder einmal die vornehme Welt zu sehen, wenn es auch nur wäre, um über ihre Albernheiten ordentlich zu lachen.

Theodor hatte bereits eine Besuchsliste zusammengestellt, welche die Spitzen der Gesellschaft enthielt. Man sei allgemein sehr erfreut, den alten Herrn, dessen vortheilhafter Verkauf das Tagesgespräch bilde, persönlich kennenzulernen, versicherte er, ja er regte bereits die Frage an, ob es nicht am Platze wäre, bei Hofe um eine Audienz nachzusuchen, und der Papa verwarf diesen Plan durchaus nicht; er wolle nur zuerst probiren, meinte er, wie man den alten Landjunker überhaupt in der Gesellschaft aufnehmen werde.

Der große Tag kam, an dem der zweiundsechzigjährige Christian von Brennberg seinen Eintritt in die Salons der Residenz halten sollte.

Die Aufregung verlieh dem alten scharfen Kopf jugendliche Röthe, der weiße Schnurrbart, das sorgfältig gescheitelte Haar gaben ihm einen vornehmen Ausdruck. Einen schweren Kampf kostete Christian nur der landwirthschaftliche Orden, den er einst vor zwanzig Jahren von dem damaligen Regenten bei Gelegenheit einer Ausstellung bekommen hatte, eine plumpe Medaille an rothem Bande. Er fühlte sich schwer gekränkt, als Theodor ihm dieselbe abnahm, sie hatte ja doch vortrefflich ausgesehen auf dem schwarzen Rock und war eine wohlverdiente Auszeichnung.

Nach langem Hin- und Herreden gab er so weit nach, daß er sich mit dem rothen Bändchen im Knopfloch zufrieden gab.

Ein eleganter Zweispänner war bestellt, ein Lohndiener auf dem Bock, und obwohl Christian immerfort über den „ausgemachten Schwindel“ schalt und wie ihm das alles lächerlich vorkomme, hatte er doch eine kindische Freude daran. Wenn nur alles glatt abging – Theodor war’s am peinlichsten dabei zu Muthe.

Graf Hartenau, ein entfernter Verwandter von Christians seliger Frau, ein tonangebender Kavalier, war die erste Adresse. Der Wagen hielt vor dem mächtigen Portale eines altersgrauen Palastes, ein alter Diener öffnete den Schlag, der Herr Graf war auch zu Hause.

Christian fühlte sich hier sofort heimisch, das war dieselbe moderige ehrwürdige Luft wie in Schönau, welche die breite teppichbelegte Freitreppe herabwehte, hier hatte er nichts zu fürchten, der Name Brennberg-Schönau genügte hier, um ihn vor Lächerlichkeiten zu bewahren.

Und er täuschte sich auch nicht; ein liebenswürdiger Kavalier, ungefähr in Christians Alter, empfing Vater und Sohn herzlich und half rasch über die erste Verlegenheit hinweg. Der Graf war eifriger Landwirth, und so gab sich das Gespräch von selbst; er entschuldigte sich, nicht zuerst in Schönau Besuch gemacht zu haben, aber er habe es aus Rücksicht unterlassen, denn er kenne das, man wolle auf dem Lande nicht von Besuchen belästigt sein. Jetzt freue er sich, daß Christian endlich sein Einsiedlerleben aufgegeben habe und in die Kreise eintrete, die ihn schon lang vermißt, man müsse der Zeit auch ihre Zugeständnisse machen, und dergleichen mehr.

Alles ging vortrefflich, bis die Hausfrau mit ihrer achtzehnjährigen Tochter den Salon betrat.

Frauenzimmer waren unbekannt in Schönau seit undenklicher Zeit. Aber Christian hielt sich trotzdem wacker – so etwas liegt im Blute – und Theodor selbst hatte nichts auszusetzen an der Begrüßung der Damen von seiten des Vaters. Aber das Gespräch nahm nun rasch eine ganz andere gefährliche Richtung: mit dem Kartoffeln- und Rübenbau, der Stallfütterung und dem Kunstdünger war es aus.

Litteratur, Theater, Kunst, alle die dem Landjunker fremdartigen Dinge, welche das Gesprächsthema eines großstädtischen Salons ausmachen, kamen an die Reihe.

Theodor half zwar vortrefflich, soweit das ging, aber hie und da hätte doch der Vater die Unterhaltung auch selbständiger führen sollen! Das mißlang jedoch fast stets kläglich und Christian selbst entging nicht das gefürchtete spöttische Lächeln um die Lippen der Komtesse, die nun mit der bekannten Liebenswürdigkeit der Gesellschaft erst recht ihm auf den Zahn fühlte und ihre sämmtliche backfischhafte Bildung auskramte.

Ehrlichkeit allein hätte allen diesen kleinen Bosheiten die Spitze abgebrochen.

„Ich stand diesen Dingen infolge meines zurückgezogenen Lebens stets fern und in meinen Tagen lernt man nicht mehr,“ das wären die richtigen Worte gewesen. Christian hatte sie auch auf den Lippen, wagte aber nicht, sie auszusprechen. Die wenigen Wochen, seit er Schönau verlassen, hatten bereits ihre verderbliche Wirkung auf ihn ausgeübt.

Er sah nicht mehr mit männlicher Festigkeit auf sich und seine Ueberzeugung, sondern auf die anderer, er glaubte bereits, sich den neuen Verhältnissen anpassen zu müssen, anstatt umgekehrt sich mit seiner ausgeprägten Individualität in diese neuen Verhältnisse hineinzustellen und es ihnen zu überlassen, sich mit ihm abzufinden.

Da ihm aber die weltmännische Gewandtheit fehlte, welche im Bewußtsein der Hohlheit all dieser schöngeistigen Phrasen sich niemals verblüffen läßt, so scheiterte er und machte sich lächerlich. Er war feinfühlig genug, das zu empfinden, zu alt, um sich darüber wegsetzen zu können, und so verließ er unzufrieden mit sich selber den Palast des Grafen.

Die Unterweisung des Sohnes während der Fahrt zur nächsten Station erhöhte noch sein peinliches Gefühl; am liebsten wäre er wieder nach Hause gefahren in seine Straße, wo ihn alles grüßte, dort hätte er unbedingt eine Gesellschaft getroffen, die ihm besser zusagte.

Er athmete jedesmal erleichtert auf, wenn der Diener mit dem ersehnten „die Herrschaften sind nicht zu Hause“ zurückkam. Und er hatte Glück: drei gefährliche Häuser wurden auf diese Weise erledigt. Doch Baron Anspacher, Inhaber des großen Bankhauses Anspacher und Sohn, die erste Finanzgröße der Stadt, war wirklich zu Hause und geruhte auch, die beiden Herren zu empfangen.

„Ein hochmüthiger Mensch, der auf seinen Geldsack pocht! Kehre doppelt den alten Aristokraten heraus, das ärgert ihn wenigstens; er spielt nun einmal eine große Rolle, selbst bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_114.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)