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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

angebrachter Schmuck, damit sie kurz erscheinen möchten. Die Kleider machten den Eindruck, als seien sie vom Leibe herabgerutscht, zumal eine lange schmale Schleppe beliebt wurde, um der ganzen Gestalt mehr Länge zu geben.

Alles, was gegen die Unsittlichkeit der Kleider von 1801 vorgebracht worden war, wurde auch der Prinzeßrobe nachgesagt! Sie verhüllte die Körperformen nicht, sondern enthüllte sie. Damals wurden Vischers berühmte Angriffe gegen die Mode geschleudert, denen man mit der ungetrübtesten aller Freuden, der Schadenfreude, zustimmte, die aber auf den Gang der Dinge keinerlei Einfluß hatten. Andererseits begannen einflußreiche Stimmen der Prinzeßrobe Hymnen zu singen, begannen die Berliner Modeblätter Einfluß zunächst in Deutschland, später für das Gebiet der „Konfektion“ auf ganz Europa zu gewinnen.

So wandelten denn die Frauen in trippelndem Schritt durch die Straßen, eine Schleppe hinter sich herziehend, die in ärgerlichen Schlängellinien den Staub aufwirbelte und den Koth fegte. Wohl erfand man Schleppenträger, Bänder, die über die Hand gezogen wurden, wohl lernte man mit einem zierlichen Fußstoß nach hinten die Schleppe der tragenden Hand entgegenzuwerfen, aber man konnte nicht verhindern, daß der Staub die weißen Strümpfe beschmutzte, der Koth sich in die Röcke setzte.

Damals kamen zum ersten Male in diesem Jahrhunderte dunkle Strümpfe auf, die kurz vorher als das eigentlichste Merkmal der Uneleganz gegolten hatten; es war in erster Linie die Furcht vor dem schlechten Aussehen bestaubter weißer Strümpfe, durch welche diese plötzlich in Acht und Bann bis auf den heutigen Tag geriethen.

Aber die Krinoline versuchte doch noch einmal, sich Geltung zu verschaffen. Schon 1879 erschienen gesteifte Unterröcke und bald darauf kleine Tournüren aus Roßhaar. Außerdem begann man die Kleider zurückzubinden, so daß eine Art Grat vom Rücken aus zu Boden fiel, der dem Körper an einer unaussprechlichen Stelle mehr Fülle gab.

So kam es denn, daß im letzten Jahrzehnt sich alle Modeschwankungen im wesentlichen um diesen Punkt drehten, um die Rückseite des weiblichen Daseins.

Es wird uns Männern schwer, galant gegen die Frauen zu sein, wenn diese selbst es so wenig sind. Wir sind ja mit ihrer schönen Gestalt völlig zufrieden, nicht so sie selbst; das beweisen sie durch das ununterbrochene Bestreben, an sich herum zu ändern. Die allgemeine Stimme ihrer Selbstkritik scheint in allen Zeiten, besonders aber in unserer, dahin zu gehen, daß der liebe Gott sie nicht mit hinreichenden Werkzeugen zum Sitzen bedacht habe. Denn dort wissen sie stets zu basteln und zu bessern, dort entfaltet sich besonders seit zehn Jahren die ganze Wirksamkeit ihres umbildenden Geschmacks.

Als etwa 1882 die vielgeschmähte Schleppe verschwand, machte es den Eindruck, als sei sie nicht abgeschnitten, sondern nur in bauschigen Falten nach oben gezogen worden, wo sie ein von der Taille ausgehender loser Gürtel oder eine Schärpe festhielt. Denn immer stattlicher wurde der Puff, welcher sich über der Tournüre bildete. 1884 war der jupon crinoline wieder da, eine Art Viertelkrinoline, die am oberen Ende der Rückseite angebracht wurde. Die Gestalten näherten sich den Rokokofiguren, nur mit dem Sonderumstande, daß der Schneiderei, dem Zerschneiden, Fälteln, Aufnähen der Stoffe zu Volants, Rüschen, Querbahnen und dem modisch werdenden Plissé weit mehr Raum gelassen und der schönere freie Fall der Stoffe dadurch verhindert wurde. So kam man dahin, die Hüften breit zu bilden, eine puffartige Stofffalte, die sich nach hinten in der Tournüre vereinigte, auch ihnen aufzulegen. Im Jahre 1883 hatten sie schon einen Umfang von etwa 23/4 Metern, der untere, nun kurz getragene Rock stand dem, wenig nach. Man war schon beim halben Reifrock angelangt: während die Vorderlinie des Umrisses einer von der Seite gesehenen Frau in Wellenlinien senkrecht abfiel, entsprach die Hinterlinie an stark abstehender Bauschung schon den Zeiten von 1866. Namentlich an den Ueberkleidern, den Paletots, Mänteln etc., war diese Form deutlich erkennbar, da sich bei ihnen der Bausch der Tournüre nicht in leichten Falten, sondern in fest geschneiderten Formen geltend machte.

Da verkündete im Jahre 1888 die launische Göttin dem sich eindrängenden Reste des Reifrockes das Todesurtheil. Und so sind wir denn heute wieder einmal alle Aufpolsterungen los.

Sicher nicht für alle Zeiten! Wer aber weiß, welcher Theil des weiblichen Körpers jetzt der bevorzugte werden, welchem die Mode ihre verschönernde und dadurch entstellende Fürliehe zuwenden wird? Es scheint, als gingen wir in der Aufbauschung der Oberarme wieder den „Gigots“, den „Hammelkeulen“, entgegen. Was aber auch die Mode beschließt, – nie wird in die Kleidung Dauer kommen, so lange noch eine schöne Frau vor dem Spiegel sich heute eine Locke so, morgen eine Schleife anders legt. Immer wird ein unerklärlicher, nirgends im ganzen greifbar auftretender allgemeiner Zug des Geschmackes bald zu jener Steigerung ihres Ichs führen, bald zu dieser. Stets werden wir alle mehr oder minder stark von dem Zuge ergriffen werden, der Allgemeinheit folgend unseren Geschmack bis zu einem gewissen Grade umbilden. Bis zu einem gewissen Grade! Denn die sklavische Unterordnung unter alle auch noch so ausschweifenden Launen der Mode wird hoffentlich mit der Zeit einer höheren, vernünftigen Auffassung weichen, ein Ziel, dem gerade eine solche geschichtliche Betrachtung wie diejenige, an deren Schlusse wir stehen, näher führen dürfte. Das Ideal aller Bekleidungskunst muß sein, daß unsere Frauen und Mädchen lernen, sich der gleichmachenden Tyrannei der jeweils herrschenden Mode gegenüber unabhängig zu stellen und dagegen mit freiem und gutem Geschmack dasjenige für ihre Kleidung zu wählen, was zu ihrem äußeren und inneren Wesen, zu ihrer Individualität am besten paßt.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_078.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)