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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Schlüsselkörbchen am Arm. Eine leise angenehme Stimme klang jetzt in sein Ohr. „Willkommen, Herr Doktor, ich freue mich herzlich, Leos besten Freund begrüßen zu dürfen.“

Wolf hatte das Gefühl, als wehe ihn in diesem Augenblick erst die Heimathsluft an, die deutsche Luft, nach der er sich so gesehnt hatte. Etwas wie Rührung überkam ihn, und stumm zog er die Hand der jungen Frau an die Lippen; die Worte wollten ihm nicht recht aus der Kehle. Schweigend folgte er der Frau seines Freundes in das Haus hinein.

Das war sie also, die Leo so unglücklich machte! – Sie hatte ihrem Mann die Stirn zum Kusse geboten und antwortete auf seine Frage, ob Wolfs Zimmer in Ordnung sei, daß sie hoffe, der Gast werde alles zu seiner Zufriedenheit finden. Und mit einem freundlichen Kopfneigen sagte sie zu diesem: „Auf Wiedersehen, Herr Doktor!“ Dann verschwand sie mit dem leise klirrenden Körbchen am Arm hinter der hohen Flügelthür, die in den Speisesaal führte.

Wolf war stehen geblieben und schaute ihr nach. „Wie das gute Wesen selbst!“ murmelte er, als die Thür sich hinter der schlanken Gestalt schloß. Er kam erst langsam zu der teppichbelegten Treppe hinüber, als Leo, welcher glaubte, der Freund sei ihm gefolgt, hinunter rief: „Wo bleibst Du, Wolf? Bitte, hier herauf!“

Er trat in Leos Wohnzimmer und durchschritt das Atelier; es war trotz der frühen Stunde alles hell erleuchtet und machte einen reichen, fast zu prächtigen Eindruck. Auch das Zimmer, welches ihm nun als das seinige geöffnet wurde, war unendlich behaglich und nur zu elegant eingerichtet. Ueberall Teppiche, Bärenfelle, kostbare Luxusgegenstände.

„Mach es Dir bequem, Wolf, eine Tasse Thee oder ein Glas Grog steht sofort zu Deiner Verfügung. Große Toilette ist nicht nöthig; in einer Stunde werden die Gäste kommen – ich hole Dich ab.“

Doktor Maiberg war allein. Den Diener, der den Koffer hereinbrachte und denselben auszupacken sich erbot, hatte er entlassen. In einer Stunde erst wurde er erwartet, so hatte er ja noch lange Zeit. Er setzte sich auf das Sofa und sah im Zimmer umher; er mußte sich erst an den Gedanken gewöhnen, daß er der Gast Leos sei. – Wie oft war er das gewesen in früheren Tagen! Dann saß er einem übermüthigen fröhlichen Menschenkinde gegenüber auf dem dürftigsten Rohrstuhl, vor dem einfachsten Tisch, den man sich denken konnte. Farben, Papiere, Zeichenstifte und allerhand Malgeräthe waren zusammengeschoben, und inmitten dieses Wirrwarrs summte eine Theemaschine aus Blech; der kleine Kanonenofen in der Ecke der getünchten Kammer war kalt, denn Feuer wurde nur einmal des Tages angemacht, und vor dem gardinenlosen Fenster der Mansarde strich Nachbars Katze über das Dach und wunderte sich, daß die beiden Menschen da innen so herzlich lachen konnten, trotz der Dürftigkeit, der Kälte und des dünnen Grogs.

Was war aus Leo geworden! Doktor Maiberg strich sich hastig über die Stirn. Die schöne schlanke Gestalt der jungen Frau erschien vor seinen Augen: ob sie wirklich so unbedeutend war, wie Leo sie schilderte? Armer Kerl – wenn es so wäre! Es mußte schrecklich sein, im ewigen Kampf mit Kleinlichkeit und Beschränktheit zu leben, schrecklich für jeden Mann, am meisten für einen Künstler. Er malte sich dieses Geistesdarben näher aus; wie entsetzlich, eine Frau zu besitzen, die nur immer wäscht, kocht, backt, die durch ihre bloße Gegenwart die Grazien und die Poesie vertreibt. Leos Brief hatte ihn besorgter gemacht, als er dem Freunde zugestehen wollte. Gottlob, ihre Erscheinung war wenigstens keine prosaische! Wie eine jener holden Frauengestalten war sie ihm entgegengetreten, die Beyschlag so anmuthsvoll malt – sollte wirklich das Innere mit dem Aeußeren in so grellem Widerspruch stehen können?

Und gleich darauf trat er mit einem tiefen Aufathmen vor den Tisch in der Mitte des Zimmers und betrachtete mit bewegtem Ausdruck eine Glasschale, in der anmuthig Tannenzweige und Christrosen geordnet waren. „Das kann nur sie gewesen sein, einer dienenden Person fällt dergleichen doch nicht im Traume ein!“ sagte er halblaut, und er sah sie im Geiste stehen und die Blumen ordnen. – Das zeugte wahrlich nicht von Prosa, dem Weithergekommenen die Blüthen der Heimath als freundlichen Gruß zu bieten!

Das heimliche Wohlbehagen von vorhin beschlich ihn in verstärktem Maße, dann aber fiel ihm ein, daß er im Begriff sei, eine grobe Unterlassungssünde zu begehen – er mußte nothwendig, bevor er in dem Gesellschaftszimmer erschien, der Hausfrau seinen Besuch gemacht haben. Möglichst eilig vollendete er seine Toilette und beauftragte dann einen Diener, ihn bei Frau Jussnitz zu melden. In drei Minuten war der Mann zurück, um ihm zu sagen, daß die gnädige Frau sehr bedaure, den Herrn Doktor nicht empfangen zu können, sie sei augenblicklich in der Kinderstube beschäftigt.

Leo, der eine Sekunde nach dem Diener eingetreten war, lachte, sich in die Kissen des Sofa werfend, kurz auf, als er des Doktors Gesicht erblickte, das ein wunderliches Gemisch von Enttäuschung und Ergebenheit zeigte. „Nimm Dir’s nicht zu Herzen. Wolf,“ sagte er, als der Diener sich entfernt hatte, „die Kinderstube ist die Verschanzung, hinter die sich meine Frau vor jeglicher gesellschaftlicher Pflicht rettet.“

„Nun, eine Kinderstube ist immerhin eine bessere Verschanzung als die übliche Migräne; der Grund hat eine gewisse Berechtigung,“ erwiderte Wolf gelassen.

„Für mich nicht mehr; sie heißt Eigensinn, diese ewige Kinderstube.“

„Vielleicht urtheilst Du zu hart, Leo; ich als Arzt weiß die öftere Anwesenheit der Mutter in der Kinderstube ihrer ganzen Bedeutung nach zu schätzen.“

„Oeftere Anwesenheit und – andauerndes dort Umherhocken ist zweierlei, mein Bester! Meine Frau hat zuverlässige Leute zur Verfüguug, aber – heutzutage –“

„Herr Gott, Leo, das, wofür andere Gott danken, scheint Dir ein Fehler!“ rief Wolf, um die Bitterkeit in des Freundes Urtheil zu mildern. „Sei froh, daß es noch Pflichttreue giebt in einem modern erzogenen Weibe, und daß Du ein solches Dein nennst! Tausend Wetter, Leo, bist Du ein jammersüchtiger, launischer Kerl geworden! Ist dieses trübselige Wesen das einzige, was Du eingetauscht hast gegen Deine sorgenvolle Lage von früher? Du sitzest da in einem Palast wie aus einem Feenmärchen und schimpfst über Kleinigkeiten – oder hast Du nur heute einen besonders schlechten Tag? Vielleicht leidest Du an der Leber; ich werde Dich daraufhin beobachten – es mag wohl so sein. Aber derartige Leute könnten vom lieben Gott mitten in ein Paradies gesetzt werden, und sie nörgelten doch noch!“

„Schon gut, Wolf, schon gut!“ wehrte Leo Jussnitz, als der Doktor scherzhaft Miene machte, ihm die Lebergegend zu befühlen, „sei nur erst acht Tage hier, dann wirst Du anders denken – sprechen wir über angenehmere Dinge! Es ist ohnehin bald sechs Uhr, begleite mich in das Empfangszimmer; die Herrschaften werden gleich da sein, nur Antje wird erst erscheinen, nachdem die Baronin sich bereits mit ihrem boshaftesten Lächeln nach der Hausfrau umgesehen hat.“

Sie stiegen eine kleine Wendeltreppe hinunter, die unmittelbar vom Atelier in das Billardzimmer führte, durchschritten den Speisesaal und betraten den Empfangssalon, der einen wahrhaft fürstlichen Glanz entwickelte. Wolf machte große Augen; er schaute von dem wundervoll erhaltenen Deckengemälde, das den Triumphzug der Venus darstellte und von reichem vergoldeten Stuck umrahmt war, über die mit gelben seidenen Stoffen bekleideten Wände, über das spiegelblanke Parkett, die üppigen Vorhänge, welche Thüren und Fenster verhüllten, über die Menge von Sesseln, Sesselchen und Sofas, alle vergoldet und im urechtesten Rokoko – gewiß, es war alles vollkommen stilgerecht wie ein Saal zu Trianon, aber das Lächeln auf des Doktors Gesicht war nicht mehr frei von Ungemüthlichkeit. „Merkwürdig,“ sagte er zu sich selbst, „ich hatte mir den heutigen Abend so anders gedacht; ich sah während der Fahrt hierher ein sehr behagliches Zimmer, in dem freilich künstlerischer Schmuck auch nicht fehlte; einen weißgedeckten Theetisch sah ich und an ihm drei frohe Menschen, die sich in alte Erinnerungen vertieften. Nun stehe ich hier in einem Prunkzimmer und –“

Die Uhr auf dem Kaminsims, die sechs Uhr schlug, unterbrach sein Selbstgespräch; in demselben Augenblick war unter die Thürvorhänge eine Dame getreten; sie hatte den blonden Kopf zurückgebogen, als musterte sie noch einmal die Anordnung der Tafel im Speisezimmer. Wolf war verstummt: diese schlanke

wunderschöne Erscheinung dort im schwarzen Moirékleide, mit einem weißen Fichu um die Taille, das sich über der Brust kreuzte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_071.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)