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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Gewiß nicht! So wenig, als ich mir noch gleiche. Die Jahre schreiben ihre Linien auf unsere Gesichter, – aber darum könntest Du doch einen gesunden Eindruck machen, und das ist nicht der Fall – Du siehst nervös aus.“

„Bester Wolf, Du scheinst patientenhungrig!“ lachte Jussnitz ärgerlich.

„Gott soll mich bewahren! Im Gegentheil, ich bin glücklich, einmal keine Klagen hören zu müssen, es thut mir nur leid, Dich nicht so zu finden, wie ich gehofft hatte.“

„Ich dächte, Du könntest aus meinem letzten Briefe –“ begann Jussnitz –

„Ja, freilich – der Brief! Daraus merkte ich es auch schon, daß Deine Gesundheit nicht ganz auf der Höhe ist; das war ja ein wahres Durcheinander von Klagen und Behagen, von Angenehmem und Schlechtem; Du hast ihn in keiner guten Stunde geschrieben, Leo! – Aber, sieh nur, da ist ein Wagen mit Christbäumen,“ unterbrach sich Maiberg und wies mit lächelndem Gesicht auf das Gefährt, das so eilig, als es die schwere Ladung erlaubte, an ihnen vorüberfuhr, die ganze Atmosphäre mit Tannenduft füllend.

„Die sollen heute noch alle an den Mann gebracht werden,“ sagte Jussnitz. „Aber rege Dich nicht auf, bester Wolf; Du wirst einen Lichterbaum bekommen; um Gotteswillen nur keine Sentimentalitäten.“

„Ich? Ich habe nicht die geringste Anlage dazu, Leo, ich möchte nur ein sentimentales Gespräch vermeiden, das Dir schon seit den Begrüßungsworten auf den Lippen zu brennen scheint. Es drängt Dich ja förmlich, mir Dein Herz auszuschütten, ich kenne Dich doch von früher her, Alter, und ich wollte nicht gern darauf eingehen, ich will erst selber sehen, selber prüfen. Ich bin überzeugt, daß es gar nicht so schlimm steht mit Dir, wie Du es in Deinem Schreiben schilderst. Du nanntest von jeher einen einfachen Wirbelwind Orkan und einen Platzregen Wolkenbruch.“

„Du hast wohl immer nach die Ansicht, daß nur der glücklich ist, der es zu sein glaubt?“

„Ganz recht, die habe ich noch immer, denn nicht die Dinge selbst, nur die Begriffe davon sind’s, die uns Kummer machen. Wer behauptet es doch gleich? Nun – es ist einerlei, jedenfalls ist es wahr.“

„Meine Schwiegermutter ist zum Besuch bei uns,“ sagte Jussnitz lakonisch.

Der andere lachte herzlich. „Uebrigens, Leo, da sind ja Weinberge! Nennst Du auch so köstlich Land Dein eigen?“

„Ja, zu Sibyllenburg gehören Weinanlagen,“ antwortete Jussnitz.

„Somit wirst Du mir selbstgekelterten Labetrunk kredenzen an der Pforte Deiner Burg, Leo?“

„Leider keltere ich nicht, habe den ganzen Schwamm verpachtet – die Sorte ist mir zu gehaltvoll. Schade, Wolf, Du würdest die Sibyllenburger Auslese vermuthlich als Rüdesheimer oder Johannisberger trinken, dank Deinem Talente, die Dinge so zu sehen, zu schmecken, zu fühlen, wie Du Dir vornimmst, sie zu finden.“

„So, nun geht’s schon besser mit Dir, Leo, nun erzähle mir von Deiner Malerei: hast Du Dein Bild der schönen Baronin vollendet?“

„Nein! Ich hatte Wichtigeres zu thun, auch war sie eine Zeit lang verreist.“

„Wichtigeres?“ fragte Wolf Maiberg und bückte sich, um ein kleines Packet aufzuheben, das Jussnitz beim Ergreifen seines Foulards mit aus der Tasche gezogen hatte. Aus dem flüchtig zusammengedrückten Seidenpapier lugte ein blaßblaues Plüschetui, dessen Federverschluß aufgespruugen war und etwas Blitzendes, in allen Regenbogenfarben Sprühendes sehen ließ. Der junge Arzt öffnete das Kästchen vollends. „Du siehst, Leo, die Neugier ist noch immer mein Fehler,“ sprach er lächelnd und betrachtete das Schmuckstück. Es war eine sehr kleine Brosche in Form eines Kleeblattes, aber die drei Steine, die sie bildeten, waren vom köstlichsten Feuer, ein Rubin, ein Brillant und ein Saphir. Das Dingelchen machte dennoch einen einfachen Eindruck; man mußte schon Kenner sein, um es zu würdigen.

„Sehr nett, Leo,“ sagte Maiberg. „Ist das der Geschmack Deiner Frau? Mir kommt es vor, als wäre sie etwas mädchenhaft, diese kleine Brosche.“

Jussnitz nahm das Etui und barg es in seinem Pelz. „Sie ist jetzt gerade Mode, diese Zusammenstellung,“ sagte er. „Uebrigens weißt Du, wir sind in der Weihnachtszeit.“

„Ja, es ist reizend, dieses Fest mit seinen Heimlichkeiten; wohl Dir, wenn Du solche allerliebste Sächelchen dabei verschenken kannst, und vor allem, wenn Du weißt, Du erreichst Deinen Zweck damit, Freude zu machen.“

Leo Jussnitz murmelte irgend etwas Unverständliches. Der andere achtete nicht darauf, sein vorher heiteres Gesicht war ernst geworden.

„Ich habe nämlich auch einmal solche blitzende Sternchen verschenken wollen,“ fuhr Maiberg fort – „vor zwei Jahren war es. Ich hatte monatelang dazu gespart und ich war glücklich, wenn ich mir ausmalte, wie ein gewisses Paar dunkler Augen blitzen würde, wenn es auf das Gefunkel der Steine schaute. Ich war gerade dabei, das Etui in einem Strauß Granatblüthen zu verbergen, um es an den Ort seiner Bestimmuug zu senden, da kam der Postbote und brachte mir einen Brief und ich schickte die Brosche nicht ab. Die sie empfangen sollte, schrieb mir, daß sie eingesehen habe, es sei besser, nicht ihr Schicksal an das meine zu ketten; und daß sie sich auf Zureden ihrer Eltern mit dem Besitzer einer Hacienda, die zu den größten und reichsten in ganz Brasilien gehöre, verlobt habe. Da warf ich die Granatblüthen aus dem Fenster und verschloß die Brosche in meinem Schreibtisch. Wie kam ich auch auf den Einfall, eine Frau sollte mein Arbeitsdasein theilen? Es ist doch etwas ganz anderes, wenn man einen Gatten besitzt, der einem Equipagen, Villen und Jachten zur Verfügung stellen kann!“

„Du hast mir ja nie geschrieben, daß Du verlobt warst, Wolf,“ sprach Leo. „Warum hast Du Dich nicht längst getröstet und eine andere gewählt? Lieber Himmel, es giebt Mädchen, reiche Mädchen genug, vermuthlich auch da drüben.“

„Ich hatte sie lieb.“

„Noch immer?“

„Ich habe es überwunden, Leo, ich bin herübergekommen, um mir eine Frau zu holen, eine gute, brave Frau, eine deutsche Frau. Weißt Du – so eine, wie meine Mutter war; kannst Du Dich ihrer noch erinnern? Gleichmäßig freundlich, gütig und mit einem gesunden Menschenverstande begabt, denn alles andere, Leo, ist von Ueberfluß an der, die uns zur Seite gehen soll in guten und bösen Tagen. Ich will ein heiteres Gesicht, ein ruhiges Wesen, wenn ich arbeitsmüde von der Praxis nach Hause komme; – einen geistreichen Sprühteufel, eine von den unberechenbaren Damen, die von mir noch verlangen wollten, daß ich mich in den Frack stürze, Oper und Bälle besuche, die könnte ich nicht brauchen, liebe auch dergleichen nicht und danke Gott, daß ich bewahrt wurde vor diesem Schicksal. Uebrigens, ist der hohe Giebel dort Sibyllenburg?“

„Nein, das ist die Besitzung der Baronin Erlach. Sibyllenburg ist Rokoko, reinstes Rokoko. Bei der nächsten Wendung wirst Du es erblicken.“

„Ich bin sehr neugierig, Leo, auf Dein Haus, Dein Weib, Dein Kind.“

„Du wirst Antje wohl schwerlich sehen, falls Du nicht in die Küche steigen willst. Wir haben Gäste heute abend, und da –“

„Was? Heute abend Gäste?“

„Stört Dich das, Wolf?“

„O bitte, nein! Ich hatte mir – ich hatte an einen Abend gedacht, wo wir beide von alten Zeiten plaudern würden bei einer Flasche Wein, und –“

„Laß die alten Zeiten; mich macht die Erinnerung elend,“ sagte Jussnitz, „aber wir sind da.“

Das Gefährt war in ein Gitterthor eingebogen und hielt gleich darauf vor einer niedrigen glasüberdachten Freitreppe. In der hohen geöffneten Hausthür, über der zwei Genien in krausen Gewändern mit flatternden Schleifen ein Wappenschild hielten, stand eine junge Frau. Es war schon dämmerig, das Licht, welches im Hausflur durch eine von der Decke hängende Lampe verbreitet wurde, fiel auf den goldigen Scheitel eines schön geformten Kopfes. Die Züge vermochte Wolf nicht deutlich zu erkennen, nur daß ein Paar großer Augen

aus dem weißen Gesichte schaute, bemerkte er, und daß die ganze Erscheinung hausfrauenhaft und anmuthend dastand in dem schlichten dunklen Gewande und einer blendendweißen Schürze, mit einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_070.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)