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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„schöner“ zu werden. Der Wilde, der seine Haut bemalt und in seine Lippen einen Pflock schlägt, arbeitet nach demselben Kunstgesetz wie der Chinese, der seinen Fuß verkrüppelt, oder die Frau unserer Zeit, die sich in einen Schnürleib zwängt. Namentlich aber schwankt die Anschauung, ob Vergrößerungen einzelner Körpertheile schön seien. Immer wieder werden sie versucht, und seien sie nach so unbequem. Gerade die Unbequemlichkeit reizt. Warum setzt der Jüngling seinen Cylinder schief auf, wenn er kecker Stimmung ist? Weil er durch den Druck auf die Stirn sich bewußt wird, daß sein liebes Ich durch den Achtzehnzöller bedeutend vergrößert wird, weil er sich erweitert, mächtiger fühlt. Warum ist die Schleppe der Inbegriff der Vornehmheit? Weil sie der Frau auf Meterlänge eine Erweiterung ihres Raumes giebt. Soldaten haben sich stets in wallenden Federbüschen gefallen. Sie erscheinen sich mächtiger, weil ihr Körper scheinbar gesteigert ist!

So war das „antike“ Kostüm eine Steigerung in die Länge. Es ist kein Zufall, daß auf allen Modebildern jener Zeit die Frauen als größer erscheinen wie die Männer, ebensowenig, als daß nun die ausschweifendsten Hutmoden platzgriffen. Die „Toques“ werden zu wahren Thurmbauten, die Krempen der Hüte erhielten den wildesten Schwung, die breiteste Ausladung. Der Kopf mit dem kurzen Mieder wurde fast in die Mitte der Gestalt herabgedrückt, das Streben nach Schlankheit führte zu einer recht unweiblichen Riesenhaftigkeit, über der die „Simplicität“ völlig vergessen worden war.

Den ersten entscheidenden Wandel in der Kleidung gab das allgemein sich geltend machende Bedürfniß nach einem festen Sitze des Kleides. Im Jahr 1809 kam das „Corset en X“ auf, welches aus einem breiten Gurt und zwei über den Achseln sich kreuzenden Tragbändern bestand, die unter der Brust zu einer breiten enganschließenden Schnebbe sich erweiterten. Noch trug man dieses Kleidungsstück über dem eigentlichen Kleid. Dazu kamen Beinkleider in der Form von Pantalons, die über der Fußbeuge zugeschnürt wurden. Darüber trug man das Kleid, hatte also – zum Spott selbst der Modeblätter – zwei Anzüge übereinander. Man fand, so angethane Frauen mahnten an verkleidete Männer. Im Jahr 1811 kam das Corset à la Ninon auf, benannt nach der berühmten Ninon de l’Enclos, der gefeierten Königin der Galanterie des 17. Jahrhunderts.

Es begann also das Zurückgreifen auf die Mode der großen Zeit Ludwigs XIV. Dieser Schnürleib schloß sich der Gestalt völlig an, ohne sie zu verändern. Ihr fehlte die Taille. Ebenso war das corset en fichu; beide sind noch darauf berechnet, daß die Kleider dicht unter der Brust geschnürt werden. Aber sie haben schon einige Fischbeine, bedeuten mithin schon das Ende der „Natürlichkeit“. Nachdem die Mode die Gestalt bisher nur verlängert hatte, begann sie nun, sie Schritt für Schritt umzubilden.

An diesem Wandel hatte die Verwendung schwererer Stoffe, als sie bisher üblich gewesen waren, wesentlichen Antheil. Der kaiserliche Hof konnte mit der „Simplicität“ allein nichts anfangen. Perkal, leichte Wolle, Tüll waren nicht die rechten Gewebe für die großartige Prachtentfaltung Napoleons I. Schwere Seide, noch dem antiken Schönheitsgefühle entsprechend weiß, mit massiven Goldstickereien in streng architektonischen Mustern nahmen der Tracht das Geschmeidige, Leichte und zugleich das Anstößige. Im Winter brauchte man wärmendes Gewand. Man begnügte sich nicht mehr mit Ueberkleidern, deren Schwere und Bauschigkeit im Gegensatz zu der übertriebenen Leichtheit des eigentlichen Anzuges stets den Spott geweckt hatte. Während der Ehemann fürchten mußte, daß im Tanzsaal von den Reizen seiner Frau nur zu viel sichtbar sei, war er beim Verlassen des Festhauses in Gefahr, unter den Mänteln mit sechsunddreißig Kragen sein Weib gar nicht wieder zu erkennen.

Der Redingot, jener Tuchmantel, der anfangs eng das enge Kleid umschloß, bekam zuerst weitere Formen. Man fand solche Tuchoberröcke, die mit Pelzwerk reich geschmückt wurden, zwar anfangs „sehr männlich“, aber man erkannte ihre gesundheitliche Nothwendigkeit wenigstens an.

Seit die Kleiderstoffe schwerer wurden, standen sie von selbst mehr vom Körper ab, bald aber kamen Falbeln und Besätze am unteren Kleiderrande dazu. Die „antike“ Mode hatte ihren Höhepunkt erreicht, die Augen der schönen Frauen richteten sich auf andere Mittel, ihre Gestalt umzubilden, diese den Eindruck der Länge an der Gestalt mindernden Besätze gaben den ersten Anlaß dazu. Die Formenmüdigkeit wirkt eben so mächtig, daß selbst die eitelste Frau nie mit einer ihr nach ihrer Meinung noch so gut stehenden Tracht zufrieden ist. Täglich muß das Neue versucht, die Wirkung eines Reizes gesteigert, und wenn der höchste erreicht wurde, ein neues Mittel hervorgesucht werden, das jenen ablöst!




Bei Robert Koch.

Von Paul Lindenberg.0 Mit Zeichnungen von H. Lüders und Curt Stoeving.


Koch – kein anderer Name hat jemals in so kurzer Zeit eine solche Volksthümlichkeit erlangt, kein anderer ist mit solcher Schnelligkeit bis in die fernsten Gegenden des Erdballs gedrungen und an keinen anderen haben sich so unzählige Hoffnungen und Erwartungen, so zahllose Wünsche und flehentliche Bitten geklammert, wie an diesen! Seit jenem denkwürdigen 13. November 1890, da in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ die epochemachende Abhandlung Kochs, seine „weiteren Mittheilungen über ein Heilmittel gegen die Tuberkulose“ erschienen, da ist Koch der Mittelpunkt alles Denkens und Redens in der Welt nicht bloß der Kranken, sondern auch der Gesunden.

Die allgemeine Erregung der Gemüther, die blitzschnelle Verbreitung der Heilsbotschaft nach allen Weltheilen läßt sich nur dadurch erklären, wenn man bedenkt, daß der siebente Theil der Menschen der Lungenschwindsucht erliegt, daß, um Zahlen in ihrer brutalen Nüchternheit sprechen zu lassen, in Preußen jährlich durchschnittlich 90 000, in ganz Deutschland 160 000 Menschen dieser bisher ungezügelten Krankheit zum Opfer fallen, und daß diese sich größtentheils in einem sonst in der Vollkraft der Entwickelung stehenden Lebensalter befinden!

Zum Zentralpunkt dieser gewaltigen, von keiner anderen friedlichen Errungenschaft auch nur annähernd erreichten Bewegung wurde nun Berlin. Binnen wenigen Tagen waren mehr wie zweitausend fremde Aerzte herbeigeeilt, die sich in nervöser Aufregung, in immerwährender Hast und Geschäftigkeit bemühten, während der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes möglichst viel von der epochenmachenden Entdeckung zu lernen.

Mit größter Liebenswürdigkeit kam man in den betheiligten Kreisen den fremden Gästen entgegen und suchte ihren Wissensdurst zu befriedigen. Tag für Tag spielten sich in den Lazarethen die fesselndsten Scenen ab

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1891, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_011.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2022)