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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

aussprach, so mußte er in seinen glücklichen Ergebnissen schon weit gelangt sein. Politische wie Fachzeitungen bemächtigten sich eifrigst des Themas, und durch manche wenn auch unbestimmte Nachrichten, daß der große Forscher seine Versuche jetzt auch an Menschen anstelle, wurde die Spannung in der ganzen Welt aufs höchste gesteigert. Bald kamen nun auch mehr oder weniger authentische Berichte über Behandlung Tuberkulöser durch Koch in Krankenhäusern und Privatkliniken, dann schilderten Zeitungen aus Frankfurt a. M. die Erfolge der Therapie bei Lupus (fressender Flechte), ein Leiden, das als Hauttuberkulose aufzufassen ist und bei dem auch die specifischen Tuberkelbacillen nachgewiesen sind. Man erfuhr, daß das Verfahren darin besteht, eine kleine Menge einer bestimmten Flüssigkeit den Patienten unter die Haut zu injicieren, daß schon nach einer einzigen Einspritzung oftmals eine heilende Wirkung zu beobachten sei. Mit fieberhafter Ungeduld wartete alles auf einen darauf bezüglichen Vortrag Kochs, den er, wie behauptet wurde, in einer der nächsten Sitzungen der großen „Berliner medizinischen Gesellschaft“ zu halten gesonnen sei – da plötzlich erschien am 13. November eine Extraausgabe der „Deutschen medizinischen Wochenschrift“ und brachte als ersten Artikel: „Weitere Mittheilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. Von Professor R. Koch, Berlin.“

Koch.
Nach einer Photographie von J. C. Schaarwächter in Berlin.

Im Eingange der Arbeit sagt der Verfasser, er habe mit seiner Veröffentlichung eigentlich bis zum vollen Abschlusse der Untersuchungen warten wollen, allein es sei trotz aller Vorsichtsmaßregeln schon so viel davon, und zwar in entstellter und übertriebener Weise in die Oeffentlichkeit gedrungen, daß ihm eine orientierende Uebersicht über den augenblicklichen Stand der Sache schon jetzt geboten erscheine. Ueber die Herkunft des Mittels könne er, da die Arbeit noch nicht abgeschlossen, hier noch keine Angaben machen, sondern behalte sich solche für eine spätere Zeit vor. Das Mittel besteht aus einer bräunlichen klaren Flüssigkeit, die zum Gebrauch mehr oder weniger verdünnt werden muß; vom Magen aus wirkt es nicht, sondern nur als Einspritzung unter die Haut; die geeignetsten Einstichstellen sind die Rückenhaut zwischen den Schulterblättern und die Lendengegend. Eigenthümlicherweise erwies sich der Mensch außerordentlich viel empfindlicher für die Wirkung des Mittels als das Meerschweinchen, mit dem bisher experimentiert worden war; schon 1/8 von der Menge, welche bei letzterem noch keine merkliche Wirkung hervorbringt, ist für den Menschen sehr stark wirkend.[1] Die untere Grenze der Wirkung des Mittels liegt für den gesunden Menschen ungefähr bei 0,01 kcm; die auf diese Dosis folgende Reaktion besteht meistens nur in leichten Gliederschmerzen und bald vorübergehender Mattigkeit, während nach größeren Gaben heftiger Schüttelfrost mit Erbrechen und hoher Körpertemperatur eintritt. Die wichtigste Eigenschaft des Mittels ist seine specifische Wirkung auf tuberkulöse Prozesse, welcher Art sie auch sein mögen. Der gesunde wie auch der nicht tuberkulöse kranke Mensch reagiert auf eine Injektion von 0,01 kcm gar nicht oder unbedeutend, bei Tuberkulösen dagegen tritt auf dieselbe Dosis sowohl eine starke allgemeine, als auch eine örtliche Reaktion ein. Die allgemeine Reaktion besteht in einem Fieberanfall, welcher, meistens mit Schüttelfrost beginnend, die Körpertemperatur über 39°, oft bis 40 und selbst 41° steigert; daneben bestehen Gliederschmerzen, Hustenreiz, große Mattigkeit, öfters Uebelkeit und Erbrechen. Der Anfall, von dem die Kranken auffallend wenig angegriffen werden, beginnt in der Regel 4–5 Stunden nach der Injektion und dauert 12–15 Stunden.

Die örtliche Reaktion kann am besten an solchen Kranken beobachtet werden, deren tuberkulöses Leiden sichtbar zu Tage liegt, wie z. B. bei den an fressender Flechte (Lupus) Leidenden. Einige Stunden nach der Injektion beginnt eine Schwellung und Röthung der lupösen Stellen, die allmählich einen ganz bedeutenden Grad erreichen, sodaß das kranke Gewebe stellenweise abstirbt. Nach 2–3 Tagen ist die Schwellung in der Regel verschwunden, die Lupusherde selbst haben sich mit Krusten von aussickernder und an der Luft vertrockneter Flüssigkeit bedeckt, sie verwandeln sich in Borken, welche nach 2–3 Wochen abfallen und mitunter schon nach einmaliger Injektion des Mittels eine glatte rothe Narbe hinterlassen. Gewöhnlich bedarf es aber zur völligen Heilung mehrerer Einspritzungen. Die angegebenen Veränderungen beschränken sich durchaus auf die lupös erkrankten Hautstellen, die gesunde Haut wird nicht afficiert.

Die geschilderten Reaktionserscheinungen sind, wenn irgend ein tuberkulöser Prozeß im Körper vorhanden war, auf die Dosis von 0,01 kcm in den bisherigen Versuchen ausnahmslos eingetreten, sodaß das Mittel in Zukunft ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Erkennung der Krankheit bilden wird. Man wird damit imstande sein, zweifelhafte Fälle von beginnender Schwindsucht selbst dann noch zu erkennen, wenn es nicht gelingt, durch irgend welche andere Untersuchungen eine sichere Auskunft über die Natur des Leidens zu erhalten.

Die wichtigste Bedeutung des Mittels aber ist seine Heilwirkung. Nach der subcutanen Injection wird das Lupusgewebe, wie


  1. Auf Körpergewicht berechnet ist 1/1500 von der Menge, welche beim Meerschweinchen noch keine merkliche Wirkung hervorbringt, für den Menschen sehr stark wirkend.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_820.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)