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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Bill, glaubst Du daran?“

„Närrchen, der Lars ist an allem schuld mit seinem dummen Geschwätz! Recht lieb haben, treu aushalten zusammen, was da kommen mag, dann kann nichts springen bei uns.“

Seine Worte klangen nicht aus voller Brust. Er nahm das Glas aus der Rocktasche und fühlte daran herum.

„Wenn ich sie nicht selbst alle ausgepackt hätte, würde ich sagen, der Sprung liege im Glase, das kommt ja vor und damit wäre die dumme Geschichte zu Ende!“

„Und der häßliche Ton, ich höre ihn noch!“ meinte Laura.

„Einbildung wie der verfluchte Kater des Kapitäns auf dem Steuerrad!“

Er stellte das Glas auf den Schrank und ging unruhig in der Stube hin und her.

„Laura, ich gehe in See in vierzehn Tagen; mach’s uns nicht schwerer mit solchen Gedanken.“

„Bill, ich laß Dich nicht!“

Sie klammerte sich fest an den jungen Mann. Draußen brüllte die Brandung, ein steifer West hatte sich erhoben, feiner Wasserstaub drang durch das offene Fenster, die Lichter der vor Anker liegenden Schiffe tanzten in der Finsterniß, von der See her dröhnte drohend ein Nebelhorn.

Bill schloß das Fenster, das Licht erlosch. – Von dem Schrank herunter leuchtete es grünlich wie das Auge Rolfs, des Katers.

(Fortsetzung folgt.)

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Der Kiefernprozessionsspinner.

Von Dr. G. Zickerow.

Wie den großen Thieren manch wuchtige Waffe zum Schutze gegen ihre Feinde verliehen ist, so führen auch die kleinen, kaum bemerkbaren Geschöpfe Vertheidigungsmittel, deren Wirkungsweise dem Menschen nur zu oft seine Ohnmacht aufs deutlichste vor Augen führt. Wer kennt sie nicht, die zahllosen Quälgeister der Sommerszeit, die Mücken, Schnaken, Bremsen etc., die uns so oft mit ihrem peinigenden Stachel den Genuß des Tages und die Erholung der Nacht verkümmern. Oder erregt uns nicht z. B. bei dem Genusse frischen Quellwassers die ganze Schar der kleinen und kleinsten Lebewesen in demselben eine geheime Besorgniß? So haben auch schon seit vielen Jahren die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners den Aufenthalt in Deutschlands Wäldern den Besuchern derselben verleidet, und neuerdings ist ein verwandter Plagegeist auch auf den Nadelbäumen wiederholt beobachtet worden.

a. Die Raupe (nat. Größe).

c. Theil eines Haares (80fach vergrößert).

In dem ganzen nordöstlichen Theile des Deutschen Reiches, von der Elbe bis zur Memel, treibt, wenn auch meist vereinzelt und auf kleine Kreise beschränkt, der Kiefernprozessionsspinner sein unheimliches Wesen und verjagt nicht nur Menschen, sondern auch Thiere aus dem von ihm besetzten Gebiete, indem alles, was in seine Nähe kommt, von einem peinlichen Jucken der Haut befallen wird. Die Aufmerksamkeit der Forstbeamten wurde bisher von diesem Spinner durch das gleichzeitige, viel zahlreichere Vorkommen eines den Kiefernwäldern bedeutend schädlicheren Insekts, nämlich der Nonne, über deren Verheerungen wir jüngst des weiteren berichtet haben, abgelenkt. Da aber die Raupen des Kiefernprozessionsspinners die zweijährigen Triebe der Kiefern bis auf die Nadelscheiden abfressen und jede andere Nahrung verschmähen, so dürfte auch ihr forstlicher Schaden nicht unbedeutend genannt werden. Besonders lästig wird das Auftreten dieses Insekts an der Ostseeküste, welche gerade während der Wanderzeit der Raupen von vielen erholungsuchenden Badegästen als Reiseziel ausgewählt wird.

Wie ihre Verwandten in den Eichenwäldern ziehen die dichtbehaarten Raupen des Kiefernprozessionsspinners in langsamem Gänsemarsch, 60 bis 100 Stück in einem Faden, selten und dann erst von der Mitte der ganzen Prozession an in doppelten und dreifachen Reihen, auf dem Erdboden dahin. Dabei strecken sie bald rechts, bald links hinter dem Vordermann den schwarzen, kurz und wenig behaarten Kopf hervor, als wenn sie ausschauen wollten, ob denn die vordersten noch nicht am Ziele wären. Hebt man behufs näherer Betrachtung eine Raupe mittels eines Stöckchens vorsichtig aus dem Zuge heraus, so schließt sich derselbe in kürzester Zeit und setzt seine Wanderung unbekümmert um die Störung fort.

Die aufgenommene Raupe (a) hat, bevor sie ihre Vollwüchsigkeit erreichte, mehrere Häutungen durchgemacht, aber trotzdem, abgesehen von der ersten derselben, ihr Kleid sehr wenig verändert. Früher, als kleines, dem Ei eben entschlüpftes Räupchen von 3 mm Länge, trug sie ein hellmaigrünes, mit regelmäßigen schwarzen Flecken geziertes Kleid während sie sich jetzt in einem schwarzen Gewande zeigt, das mit mattmoosgrünen Punkten dicht besät ist. Diese lassen für das Hervortreten der Grundfarbe nur einen mittleren Längsstreifen auf dem Rücken frei, welcher wieder mit größeren und kleineren rothen Warzen in der Weise zum Theil bedeckt ist, daß roth umränderte, schwarze Kreisflecke die Längslinie kennzeichnen. Diese schwarzen, sogenannten „Spiegelflecke“ sind mit unendlich vielen, äußerst kleinen Härchen sammetartig bewachsen. Aus den rothen Warzen entspringen nach vorn und nach hinten gerichtete rothe Haare; die Seiten des Körpers schützen lange, weiße Haare, welche den Querdurchmesser der Raupe um das Doppelte übertreffen (b). Alle diese Haare (c) besitzen zahllose, nach der Spitze gerichtete Widerhäkchen, welche an Gestalt den Dornen der Rose sehr ähnlich sind.

b. Ein Glied der Raupe (3fach vergrößert).

d. Cocons mit und ohne Sandkörnchen (nat. Größe)

Gemeinschaftlich ist ihnen ferner ein feiner, hohler Kanal, der sie von der Spitze bis zur Anheftungsstelle durchzieht. Die rothen und die weißen Haare, nicht die Spiegelhaare, stecken, wie Keller gezeigt hat.*[1] in der Haut mittels einer dicken, braunen Hülse, an deren unterem Rande sie befestigt sind. Unter der Oeffnung des Haares liegt eine birnförmige Drüse, welche eine stark ätzende Flüssigkeit, Ameisensäure, aussondert, um das hohle Haar damit zu füllen. Die ausgewachsene Raupe, welche 5 cm lang wird, besitzt mehr als 5000 solcher „Giftdrüsen“. Da die feinen Härchen wie gesagt nach oben gerichtete Häkchen tragen, so werden sie bei jeder Berührung mit anderen Gegenständen sogleich in die Drüse hineingestoßen und mit Gift gefüllt. Verliert nun die Raupe einzelne Haare – und diese brechen sehr leicht an ihrem Grunde ab – so bleibt das Gift in denselben, weil es durch den Luftdruck am Ausfließen aus dem engen Kanal verhindert wird. Hat später ein solches Härchen Gelegenheit, mit dem Schweiße einer menschlichen oder thierischen Hautpore in Berührung zu kommen, so löst derselbe das an der Oeffnung des Härchens inzwischen eingetrocknete Gift auf, und dieses bewirkt nachströmend die Entzündung.

Daß diese Haare so unendlich zahlreich umherfliegen können, hat mehrfache Gründe. Zunächst beliebt es der Raupe keineswegs wie den meisten andern, nach vollbrachter Häutung den abgeworfenen Balg zu verzehren, sondern alle Raupen eines Zuges lassen ihre abgestreiften Häute, mit wenigen einzelnen Gespinstfäden verbunden,


  1. * Kosmos XIII.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_762.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)