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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Einige Wochen später dampfte die „Laura“ zum Hafen hinaus, vollgepfropft mit kostbarer Ladung nach Indien. Und das „verdammte Frauenzimmer“ hatte Glück, zwanzig Jahre hindurch kreuzte sie zu Christen Rungholts Ehr’ und Nutz den Ozean, bis ihr vor einigen Wochen der saubere Engländer bei Nacht und Nebel in die Rippen rannte, als sie nach einer halbjährigen Abwesenheit keine fünfzig Seemeilen mehr von der Heimath entfernt war; und auch dabei hatte sie noch Glück gehabt, sonst läge sie wohl mit Mann und Maus auf dem Nordseegrund.

Jetzt wimmelte es um ihre breite klaffende Wunde wie von Sommerfliegen und da und dort blitzte schon eine neue Rippe aus dem dunklen Rumpfe. Die Mannschaft der „Laura“ war durchaus nicht ungehalten über diesen unverhofft langen Aufenthalt am Lande, sondern nützte im Gegentheil, jeder auf seine Weise, diesen seltenen Umstand. Da wurden alte Freunde aufgesucht; die wohligen, längst entbehrten Freuden der Familie, des festen sicheren Hauses, des ungestörten Schlafes genossen. Da wurde Umschau gehalten in den Strandhäusern und Fischerhütten weit und breit und manch goldenes Luftschloß gezimmert. Die Zeit der Wahl ist kurz für den Seemann. Neue Schwüre wurden geschworen, alte, schon fast erstorbene Hoffnungen wieder neu belebt.

Am besten von allen, darüber galt kein Zweifel, nützte die Zeit Bill Lührsen, der zweite Steuermann, indem er Hochzeit hielt mit eben derselben Laura, um derentwillen vor zwanzig Jahren das blitzende O herab mußte vom Schiffsbug, mit Christen Rungholts, seines eigenen Patrones, schöner blauäugiger Tochter.

Er war schon seit zwei Jahren mit ihr verlobt, und jetzt nach seiner Rückkehr von dieser westindischen Fahrt sollte die Hochzeit sein; so war es ausgemacht, und da es Christen Rungholt einmal destimmt hatte, so blieb das fest wie der Leuchtturm von Dungeneß, obwohl der Alte ein böses Gesicht machte, als er die arme „Laura“ in den Hafen bugsieren sah. Was konnte am Ende der zweite Steuermaun dafür, der Kapitän war verantwortlich, und er, Christen Rungholt, kannte ja diese verfluchten Engländer aus eigener Erfahrung!

In dem schmucken, durch seine Bauart und seine Reinlichkeit an Holland erinnernden Hause am Hafen von H. ging es hoch her. Christen und Holde übertrieben die Sache sogar ein bißchen, die Leute sollten nicht glauben, das Mißgeschick mit der „Laura“ habe ihnen die Laune verdorben, oder gar, sie gäben Bill Lührsen Schuld daran.

Von den „Halligen“ kamen die Vettern und Basen, wettergebräunte, flachshaarige Männer und Frauen in kleidsamer Tracht, unter Führung von Claus Buiksloot, dem jetzigen Seerichter auf Oland, Holdes bejahrtem Bruder, alle Rungholts von H., einige Kameraden Bills von der „Laura“, Lars Tönningen, der Kapitän selbst, ein wackerer altbewährter Seemann, dem der brave Christen vor allen Leuten zeigen wollte, daß er Nebel und gewissenlose Engländer von Fahrlässigkeit wohl zu unterscheiden wisse.

Das waren die eigentlichen Hochzeitsgäste. Abends jedoch, als Feierabend draußen im Hafen war und aus den Fenstern der großen Wohnstube unten fröhliche Tanzmusik erscholl, da pochte gar manche in der Eile etwas zurechtgestutzte, wenn auch nicht gerade festlich gekleidete Theerjacke an die Thür, um ihren Glückwunsch mit einem so vielsagenden Blick auf das stattliche Fäßchen Flensburger Bier, das in der Ecke stand, anzubringen, daß die Einladung, etwas zu verweilen und eines mitzutrinken, nie ausblieb. Mit der Form nahm es Christen Rungholt nicht so genau, wenn er auch gar stolz auf sein Haus und seinen Wohlstand war.

In dem lauschigen, epheuumrankten Erker, von dessen dunkler Holzdecke das Modell eines stattlichen Dreimasters herabhing, saßen Christen Rungholt und sein Weib, das junge Paar, der Kapitän und der Seerichter beim Hochzeitswein. Lars Tönningen erzählte bereits zum dritten Male das Unglück mit der „Laura“ und wies mit dröhnender Stimme, auf die Bank steigend, an dem Schiffsmodell seine völlige Unschuld nach. Christen gab dann die Geschichte von einem anderen rücksichtslosen Engländer zum besten, selbst Claus, der Seerichter, ein ernster stiller Mann, ward lebendig, er erzählte von dem endlosen Kampfe seines kleinen Heimathlandes mit der gierigen See, in dem er ergraut war; – da heulte der Sturm im Takelwerk, wälzten sich die weißköpflgen Wogen durch die Sturmnacht, ächzte, stöhnte das rollende Schiff, brüllte die Brandung – das hörte sich so wohlig an in dem heimlichen Erker, unter den Klängen der Tanzmusik, beim Rheinwein, der die rauhen Männer so weich machte, daß ihre Augen sich feuchteten bei Erzählung kühner Seemannsthat, heldenhaften Rettungswerkes.

Bill und sein junges Weib bildeten einen scharfen Gegensatz inmitten dieser ernsten, wetterharten Gesichter mit dem männlichen Trotz in den Zügen; für sie rollten keine Wogen, ballten sich keine drohenden Wolken, im Sonnenglanz junger Liebe dehnte sich das sanft gekräuselte Meer und blühende Küsten lachten ihnen entgegen. Bill spielte mit den schweren blonden Zöpfen seiner jungen Frau und sprach im Flüstertone, nicht von kühnen Abenteuern, sondern von ganz kleinen nichtigen, kindischen Dingen, von einem Gärtchen, welches Gemüse sie bauen wollten, von Schürzen und Bändern, von seinem Lieblingsgericht, von der neuen Hauseinrichtung.

Laura hörte andachtig zu, von seinem Arm umschlungen, und die kleinen nichtigen Dinge färbten ihre Wangen dunkelroth und feuchteten ihr blaues Meerauge wie die Erzählungen kühner Seemannsthaten und der Rheinwein die der Männer.

„Und es ist doch so, ich lasse mir’s nicht nehmen, es giebt Vorbedeutungen, man muß nur darauf horchen, und niemand hat mehr Gelegenheit dazu als unsereins,“ sagte erregt im Laufe des Gespräches Kapitän Lars Tönningen. „Sie sollen nur einmal ein paar Jahre herumkreuzen mit unsereinem, die gelehrten Herren, die alles wissen; da sieht und hört man allerhand zwischen Fockmast und Bramsegel, was über den Verstand geht! Manchen verstockten Kerl habe ich auf die Kniee fallen sehen zum Gebet in der Sturmnacht, oder angstvoll in die Segel gucken in der Dämmerung, wenn vom Klabautermann erzählt wurde. Sieht sich alles anders an da draußen als unterm festen Dache – lachen Sie nicht so ungläubig, Frau Holde – es ist doch so! Ich wußte es, daß der ‚Laura‘ ein Unglück zustoßen werde, drei Tage zuvor wußte ich es und lauerte auf jede Gefahr wie eine Möve auf den Abfall – und doch geschah’s – doch!“

Er stürzte den ganzen Inhalt des Römers hinunter.

„Doch!“ wiederholte er und seine Faust schlug dröhnend auf den Tisch.

Claus, der Richter, nickte ernst. Frau Holde aber schüttelte ungläubig den Kopf. Das junge Paar wurde aufmerksam.

„Und woher wußten Sie es denn?“ fragte lächelnd Laura. Gewiß eine recht gruselige Geschichte von einem grauen Männchen auf dem Maste, einem räthselhaften Schiffe, das vorbeifuhr, einem bleichen Meerweibe …

Lars sah sehr ernsthaft drein.

„In Ihrem Alter lachte ich auch über solche Geschichten, Frau Lührsen. Wie werden Sie erst lachen, wenn ich Ihnen sage, daß es von all dem nichts war! Eine einfache armselige Katze war’s, mein guter alter Rolf – Sie haben ihn ja gut gekannt, Herr Rungholt, ich nahm ihn einst auf der Südsee von einem verlassenen Wrack, das halbverhungerte Thier, ich war damals einfacher Matrose – wollten ihn sitzen lassen, die andern, ärgerlich, nichts Besseres gefunden zu haben, da nahm ich ihn zu mir. Und von dem Tage an wich Rolf nicht mehr von mir und mit ihm nicht das Glück. Das ging nur so im Sturmlauf: Bootsmann, zweiter, erster Steuermann, bis ich zu Euch kam als Kapitän. Mein guter Rolf immer dabei, auf der Brücke, am Steuer, hoch oben in den Rahen, auf dem Lugaus, bei Sturm und Wetter, nacht und tag. Wollt’ ich verschlafen, rieb er mich wach; er kannte meine Feinde; wenn er die Haare sträubte vor einem Manne, nahm ich mich in acht vor diesem. Das Wetter verstand er wie unsereins, sein Schauen war Sprechen, das nur ich verstand, aus seinen feurigen Augen leuchtete mir das Glück. Ich war immer ein bißchen abergläubisch – ganz richtig – ich hielt ihn für meinen guten Geist; ich wußte, mit meinem Rolf konnte mir nichts zustoßen. – Sicherheit, Selbstvertrauen ist alles beim Seemann – in der schwierigsten Lage festigten mich die ruhigen, stetig auf mich gerichteten zwei glänzenden Augen – ich ward gesucht von den Schiffsherren, ‚der Mann hat Glück und kann was,‘ hieß es. Auch auf der ‚Laura‘ begleitete mich Rolf, zehn Jahre saß er neben mir auf der Brücke, schnurrte mit dem Tosen der Wogen um die Wette und blinzelte über das Meer. Stieg ein Schiff herauf am Horizont, so erblickte er es zuerst, der Augenstern drehte sich, bewegte sich nicht mehr, den Rücken krümmte er wie vor einem Feinde. Des Nachts leuchteten seine Augen wie Phosphor, ich glaube, ihr Licht drang durch Nebel und Wetter als Warnungszeichen.

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