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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Herzen! Sie war tagüber gut und fleißig gewesen, – o, sie konnte sich ein gutes Zeugniß ausstellen! Sie hatte früh morgens mit Agathe gerechnet und war mit ihr auf Einkäufe gegangen, hatte selbst beim ersten Delikatessenhändler und in der größten Handlung für Südfrüchte allerlei schöne Sachen für Thekla eingekauft, – von ihrem eigenen Gelde, versteht sich! Dann hatte sie bei einigen von ihren Armen Besuche gemacht, – ihr Vater hatte sie zum Wohlthun angehalten, und das war ihm leicht geworden, Annie gab schon als Kind gern und freiwillig – und sie hatte diesen Armen außer der Zeit eine Freude bereitet. Thekla schärfte ihr zwar immer ein: „Gieb ihnen kein Geld, – die Männer vertrinken es doch nur; kaufe lieber etwas Nützliches!“ und Annie hatte das auch meistens getan, – aber heute gab sie doch Geld. „Kann man denn immer wissen, was die Leute gerade brauchen,“ dachte sie, „und muß es nicht gerade diesen Armen doppelt werthvoll sein, einmal nach eigenem Ermessen etwas erhandeln zu können, was sie sich wünschen?“ – – Und so drückte denn das junge Mädchen hier und dort mit ihrem lieben Lächeln ein Päckchen in eine arbeitsharte Hand, ein paar Mal mit der treuherzigen Mahnung: „Aber Ihr müßt es nicht für etwas Schlechtes ausgeben!“ Und den Kindern hatte sie Spielsachen gebracht, – nun, das war auch nichts Nützliches, – – aber du lieber Gott! Als ob den kleinen Geschöpfen die warmen Röckchen und Strümpfe Freude machten! Das kam dem magern Geldbeutel der Eltern zugut, und die Kinder hatten doch nichts davon! Jetzt aber, – welchen Eindruck machte das Holzpferdchen und die Puppe und die Schachtel mit Soldaten! Ueberall waren frohe, lachende Gesichter gewesen, – das eben hatte Annie Gerold haben wollen! –

Daheim hatte sie dann hastig zu Mittag gegessen und eigenhändig für Thekla eine besonders feine Fruchtlimonade bereitet, welche die Kranke sehr liebte; ein Stündchen konnte sie ihr auch vorlesen, länger nicht, dann war der Gärtner gekommen, eine lange, wichtige Besprechung wegen der Sämereien und Pflanzen für den Garten mit ihr zu halten, … aber zu alledem, was sie pünktlich und freundlich besorgte, hatte ihr glücklich beklommenes Herz nicht einen Augenblick aufgehört, zu sagen: „Heute!“

Und da ging das hübsche Glockenspiel an der Hausthür, Annie fühlte, wie sie bleich wurde, – und sie dachte: „Nun kommt das Glück!“ und senkte demüthig ihr junges Haupt.

Da trat die alte Agathe ins Zimmer und meldete: „Herr Pfarrer von Conventius!“

Die alte Frau wartete auf eine Antwort, aber von Annie kam keine; sie sah so enttäuscht und unglücklich aus, daß Thekla mit leisem Vorwurf sagte: „Aber Vögelchen!“ und dann, zu Agathe gewendet: „Es wird uns sehr angenehm sein! Führen Sie den Herrn in den Salon, wir kommen auch dorthin!“

Als Reginalds hohe Gestalt über die Schwelle des schönen, von Sonnenlicht durchflutheten Gemaches trat, erschien in der entgegengesetzten Thür ein ergreifendes Bild: Annie, die ihre kranke Schwester liebevoll und sorgfältig ihm entgegenleitete.

Annie war ihm nie schöner, begehrenswerter erschienen! Dies reizende junge Geschöpf, geschaffen, die Königin eines Ballsaales zu sein, sie, die er bisher gefeiert gesehen hatte, … wie entzückend machte sie ihr lieblich barmherziges Thun in seinen Augen! –

Ein wenig verwirrt, nicht so strahlend frisch und freudig wie sonst, blickte sie zu ihm auf, als er sich tief vor ihr verneigte, – aber gleich darauf erröthete sie und lächelte, nicht ganz zwanglos, wie es ihn dünkte, hieß ihn in ihrem Heim willkommen und stellte ihn der Schwester vor; dazu reichte sie ihm die Hand, und er küßte diese liebe Hand ehrerbietig und zärtlich zugleich.

„Steht es so um Dich?“ dachte Thekla Gerold, und ihre klugen Augen hefteten sich mit vermehrter Spannung auf den neuen Gast, von dem sie schon soviel hatte reden hören. Denn Annies „Freundinnen“ waren sämmtlich Feuer und Flamme für den aristokratischen Prediger von Sankt Lukas, er war mit einem Schlage in die Mode gekommen, und es galt als guter Ton, für ihn zu schwärmen. –

„Alle haben sie gesagt, der Mann sähe schön und vornehm aus,“ dachte Thekla weiter, „aber seines gewinnenden, edlen Ausdrucks hat niemand gedacht, und doch ist dies das Anziehendste in dem Gesicht. Wie sehnsüchtig seine Augen an Annie hängen! Schade! Wenn ich mir’s auch nie gewünscht habe, mein Vögelchen möchte einen Geistlichen heirathen, … gegen diesen hätte ich nichts einzuwenden. Er wird sich die Sache sicher zu Herzen nehmen, scheint mir, und das wird der Kleinen leid sein, denn sie hält viel von ihm!“

Unterdessen sagte Reginalds tiefe, wohlthuende Stimme zu ihr: „Ich konnte nicht wissen, daß Sie heute gerade so angegriffen sein würden, Fräulein Gerold. sonst wäre ich nicht gekommen!“

„Es tut nichts,“ erwiderte Thekla mit einem halben Lächeln, „ich bin an mein Leiden gewöhnt, es verläßt mich nie ganz und ist mein treuester Kamerad; lesen kann ich nicht, wenn es sehr schlimm wird, – aber unthätig im Bett liegen und über meine Schmerzen nachdenken, das ist mir vollends unmöglich, – daher freue ich mich jedesmal, wenn wir Besuch bekommen! Erzählen Sie mir, bitte, ein wenig von Ihrem Vetter, Herr von Conventius, – wie geht es diesem flotten, lebenslustigen jungen Herrn?“

„O, sehr gut, ich danke! Sie haben einen sehr warmen Verehrer an ihm gefunden!“

Thekla lachte gutmüthig.

„Es ist unglaublich, – und ich glaub’ es Ihnen doch! Wenn er so daherkommt und mir in seiner treuherzigen, frischen Art allerlei vorplaudert, kommt es wie eine Art von Schmerzvergessen über mich. Er nimmt sich neben mir aus wie ein hübscher Goldkäfer neben einer vertrockneten Cikade!“ Sie bringt das tolle Gleichniß vor, um Annie lachen zu machen, – – das Vögelchen belustigt sich so gern über Theklas wunderliche Ideen. Sie sieht die junge Schwester von der Seite an, – nein, Annie lacht nicht, sie hat überhaupt gar nicht zugehört. Das Köpfchen ein wenig vorgeneigt, scheint sie zu lauschen, … kommt er nicht? Wenn er nur lieber nicht käme!

„Mein Vetter hat mir viel von der Ausstellung vorgeschwärmt, – namentlich von Delmonts Bild, – wollen es die Damen glauben, daß ich noch nicht dazu gekommen bin, es mir anzusehen?“

Da! Eine fliegende Röthe in Annies Gesicht! Bis unter die weichgelockten Stirnhaare, bis in den schöngewölbten Nacken hinein, – dann fragt sie überstürzt, hastig:

„Ist Ihr Vetter, – hat er viel Sinn für die Malerei?“

„Nicht so sehr! Fritz begnügt sich auch hier mit einem oberflächlichen Herumspielen, – er könnte auf verschiedenen Gebieten recht Tüchtiges leisten, wenn er wollte!“

„Und Sie selbst, Herr von Conventius?“

„Ich – nun meine Gnädige, ich bin eben ein einseitiger Mensch! Ich liebe die Musik und liebe die Malerei, – aber ich bevorzuge Oratorien und religiöse Bilder, dies beides spricht vorzugsweise zu meiner Seele; auch hierin bin ich ganz meiner Mutter Sohn!“

„Haben Sie gute Nachrichten von – von –“ Annie stockt ein wenig verlegen – „Ihrem Herrn Vater? Sie erzählten mir damals –“ sie stockt von neuem und erinnert sich, wie seltsam vertraulich und eingehend damals ihre Unterhaltung gewesen war.

„Ja – er scheint sich mit dem Gedanken zu versöhnen, daß ich alle seine Pläne durchkreuzt habe. Ein paar Verwandte von mir, Fritz darunter, haben ihm von meinen Erfolgen – von dem, was sie meine Erfolge nennen! – geschrieben, das scheint ihm doch nicht ganz gleichgültig zu sein, nach seinem letzten Brief an mich zu schließen. Freilich stellt er mir darin eine dringende Bitte, die ich ihm leider wiederum nicht erfüllen kann: er wünscht, ich möge meine Stelle als Gefängnißprediger aufgeben, was mir allerdings gelingen würde, wenn ich es ernstlich wollte!“

„Aber Sie wollen es nicht, – nicht wahr?“

„Nein, gnädiges Fräulein, ich würde es niemals wollen! Gerade dieser Posten, schwer und verantwortlich wie er ist, hat mich gelockt, – ich wäre niemals Pfarrer zu Sankt Lukas geworden, hätte man mir nicht zugleich dies Amt angetragen!“

„Und Sie haben es bereits angetreten?“

„Ich habe eine kurze Ansprache an die Gefangenen gehalten und bin bei einzelnen von ihnen gewesen. Zu regelmäßigen gemeinsamen Andachten ist es bisher noch nicht gekommen.“

Thekla sah ihren Gast mit immer größerer Bewegung an, – seine schlichte Redeweise, so frei von Ueberhebung und rhetorischer Salbung, gefiel ihr ausnehmend. Sie fragte, ob irgend einer der Gefangenen sein besonderes Interesse in Anspruch nähme, und Reginald berichtete kurz ohne Namensnennung seine erste Begegnung mit dem Raubmörder und that zuletzt der Bitte desselben, ihm Blumen in seine Zelle zu schicken, Erwähnung.

Auch Annie war seinem Bericht mit Theilnahme gefolgt, jetzt machte sie eine lebhafte Bewegung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_715.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)