Seite:Die Gartenlaube (1890) 712.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

träumend, halb wachend, auf einem zerzausten schwarzen Fell zwischen den Füßen ihres Herrn.

„Hm!“ brummte dieser zwischen den Zähnen. „Die verwünschten Berechnungen bringen einen um das letzte Restchen von Verstand. ‚Mathematik – schwach‘, kann ich von mir sagen. Warum war ich auch in der Schule nicht fleißiger? Der alte Professor sagte oft genug: ‚Conventius, bei Ihrer Begabung müßten Sie bedeutend mehr leisten.‘ – Er hatte recht, aber diese Reue kommt jetzt jedenfalls zu spät! – Halt’ Dein Maul!“

Diese letzte, wenig höfliche Anrede galt Julchen, die ein jämmerliches lautes Gähnen ausgestoßen hatte; sie legte beschämt den Kopf zwischen die Vorderpfoten und wedelte bittend mit dem Schwanz.

„Nun? Was ist los?“

Der Bursche steckte seinen Kopf zur Thür herein.

„Herr Pfarrer von Conventius lassen anfragen, ob es dem Herrn Lieutenant genehm wäre, ihn zu empfangen.“

„Natürlich ist mir’s genehm. Immer herein, Regi! So – da setz’ Dich. Du kommst mir gerade recht, ich war eben im Begriff, mich ganz dumm zu studieren!“

„Aber, lieber Fritz, wie Du es in dieser Luft überhaupt aushalten kannst –“ der Pfarrer räusperte sich und ließ sich kopfschüttelnd in einen Lehnstuhl neben dem Schreibtisch sinken.

„Wollen wir ins andere Zimmer gehen? Mir ist’s hier freilich ganz behaglich und ich kann auch nur ordentlich arbeiten, wenn ich rauche. Ohne Cigaretten wäre ich schon rettungslos verdummt!“

„Nein, nein – bleiben wir doch hier!“ wehrte der Pfarrer hastig. „Ich habe ja ganz gesunde Lungen. Also – Fritz …“

„Herrgott, Kerlchen, Du siehst ja so feierlich aus!“

„Es ist mir auch feierlich zu Muthe, Fritz!“

„Na, denn … heraus damit!“ Der Ulan schlug dem vor ihm Sitzenden gemüthlich aufs Knie, um ihn aufzumuntern.

„Zunächst möchte ich Dich etwas fragen – etwas sehr Ernstes: hast Du – interessirst Du Dich – mit einem Wort: liebst Du Annie Gerold?“

Der Lieutenant schob seinen Stuhl zurück und sah den Vetter verdutzt an; er konnte auf diese Frage vorbereitet gewesen sein, sie kam ihm aber doch „etwas plötzlich!“

„Wer? Ich?“ fragte er rasch dagegen. „Hast Du denn etwas – etwas derartiges bei mir wahrgenommen?“

„Nun,“ sagte der Geistliche ein wenig gepreßt, „Du warst von jeher ein Bewunderer weiblicher Schönheit und hast nie ein Hehl daraus gemacht. Fräulein Gerold aber ist ein sehr schönes junges Mädchen, und wie Du bei Weylands den Cotillon mit ihr tanztest – da, Fritz – ja, da sprachen Deine Augen doch recht deutlich!“

„So? Also das thaten sie?“ Der Ulan rieb sich nachdenklich mit der Hand das Kinn, die Cigarette war ihm ausgegangen, er achtete nicht darauf. „Ja, sieh einmal, lieber Freund und Vetter, das ist diesen meinen Augen schon, wie Du richtig bemerktest, recht oft passirt, und wird ihnen passiren, solange es hübsche Mädchen auf der Welt giebt. Weiß der“ – hier verschluckte der Lieutenant, bildlich gesprochen, den Teufel und setzte, aus Rücksicht auf seinen geistlichen Vetter, den Kuckuck an dessen Stelle! – „weiß der Kuckuck, es muß mir von meinem seligen Papa her im Blut stecken – ich kann gar nicht anders! Heillos brennbarer Stoff! Immer gleich Feuer und Flamme! So, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auch hier! Aber wohlgemerkt, Regi – das ist gewesen! Reinweg aus und vorbei! Ich stehe nicht an, zu bekräftigen, daß Fräulein Gerold wirklich ein wunderschönes Mädchen ist – aber ich schwärme sie so platonisch an wie etwa die Venus von Milo und werfe meine unverbesserlichen Augen auf ein Objekt oder vielmehr Subjekt, das mir nicht ganz so unerreichbar sein dürfte!“

„Und inwiefern wäre Fräulein Gerold unerreichbar für Dich?“

„Erlaube ’mal, mein Sohn! Die Fama wird es Dir, ebensogut wie mir, zugetragen haben, daß besagte Dame, reich und schön wie sie ist, ziemlich hohe Ansprüche stellt und erwiesenermaßen eine ganz hübsche Anzahl ansehnlicher Freier heimgeschickt hat, darunter ein paar sehr nette Kameraden von den Dragonern. Was denen geschehen ist, könnte sich bei mir wiederholen, und ein Korb ist eine unangenehme Sache, mit der Dein Vetter nichts zu thun haben möchte. Meinen Soldatenstand in allen Ehren, – aber, obgleich fast alle Kameraden darauf schwören, jedes Mädchen nähme einen Lieutenant am liebsten, – manche wollen merkwürdigerweise doch etwas anderes haben, und dies junge Fräulein mit ihrer eigenen Vornehmheit und ihrer sorgfältigen Erziehung schon ganz sicher. Wozu soll ich mir nun mein angenehmes Selbstgefühl trüben lassen? Ich bin mehrfach da im Hause gewesen und habe die schönen Augen der jungen Dame so unbefangen und standhaft freundlich auf mich gerichtet gesehen, daß ich ein Esel wäre, leidenschaftliche Gefühle für mich in ihr zu vermuthen; somit spiele ich mich mit Erfolg auf den ergebenen Freund auf, und es würde mir sehr lieb sein, wenn ich als solcher eine wirkliche Rolle von ihr zuertheilt bekäme!“

„Eine Rolle? Inwiefern das?“

„Aber, mein guter Regi, wie kommst Du mir denn vor? Spielen wir doch mit offenen Karten! Nachdem Du meine Gefühle sondirt hast – gieb zu, daß ich es Dir kinderleicht machte! – kommst Du an die Reihe, denn Du bist doch nur deshalb zu mir herabgestiegen, um mir eine Beichte abzulegen – wie?“

„Ja denn!“ In das edle Gesicht stieg eine leichte Röthe, und die Augen bekamen ihren schwärmerischen Glanz. „Ich kam, um Dir zu sagen, daß ich Fräulein Gerold – daß ich mich um sie bewerben möchte – daß sie schon beim ersten Sehen einen ganz ungewöhnlich tiefen Eindruck auf mich hervorgebracht hat und daß ich damals schon daran dachte, sie mir für das Leben zu gewinnen. Seitdem habe ich immer an sie denken müssen, trotz aller wichtigen Berufsarbeit – ich – das kann ich Dir nicht so sagen, Fritz – ich denke aber, mein ganzes Leben würde arm und lichtlos sein, wenn sie nicht darin wäre – und wiederum, mein ganzes Leben würde nicht ausreichen, ihr Dank und Liebe und grenzenlose Hingebung zu beweisen, wenn sie mich mit ihrer Neigung beglücken wollte. Ich traf sie heute, wir sprachen miteinander, und ich sagte ihr meinen Besuch für die nächste Zeit zu. Sieh, Fritz, Du gehst dort im Hause schon ein und aus und bist so gewandt und viel weltklüger als ich, der ich zum ersten und sicher auch zum einzigen Mal in meinem Leben – – der ich in solchen Angelegenheiten ganz unerfahren bin! Was räthst Du mir nun, zu thun?“

Der junge Offizier sah ganz ungewöhnlich ernst aus, als er seinem Vetter jetzt nachdrücklich die Hand auf die Schulter legte.

„Hinzugehen – sobald als möglich! – und ihr Deine Liebe zu gestehen – gleichfalls sobald als möglich! Schade, daß es nicht noch heute sein kann!“

Reginald sah etwas beunruhigt aus.

„Du betonst das so seltsam – Du meinst, es hätte solche Eile damit?“

„Das meine ich in der That! Man muß das Schicksal bei der Stirnlocke fassen – das ist meine Losung!“

„Und Du hast diesmal noch einen ganz besonders triftigen Grund dafür?“

Fritz zögerte, ein wenig, dann sprach er ein entschlossenes „Ja!“

„Du brauchst darum noch lange nicht die Segel zu streichen – im Gegentheil! Ein Mensch wie Du kann es mit jedem Nebenbuhler aufnehmen – mit jedem! Aber absichtlich dem – dem – andern allerlei Vortheile und Vorsprünge lassen … wer wird das wollen? Es ist da so ein fataler Mensch um Deine Angebetete herum – ich muß einschalten, daß ich sie mit Entzücken Cousine nennen und als solche behandeln würde! – ein gewisser Professor Delmont – Du nickst bestätigend mit dem Kopf, er ist Dir also auch schon aufgefallen.“

„Gewiß! Und scheint mir sehr gefährlich!“

„Lange nicht so schön wie Du – mach’ nicht abwehrende Gesten, Du bist schön, und damit Punktum! Aber – leugnen kann ich es darum nicht: dieser Delmont hat verteufelte Vortheile! Der Mensch hat ein so unglaublich anziehendes Gesicht, solch seltsam tragische Augen – gescheit ist er sicher auch – hat einen großen Ruf als berühmter Künstler – bedeutendes Vermögen – fällt freilich hier nicht sonderlich in die Wagschale – und nun noch das Bild auf der Ausstellung …“

„Ich war noch nicht dort, habe es noch nicht gesehen!“

„Ah, ich sage Dir, einfach großartig! ‚Der Engel des Herrn‘ nennt sich das Werk – sonst nicht gerade mein Geschmack, aber das – ich kann nur sagen: Geh’ hin und sieh! Fräulein Gerold war da und hat gesehen … undzwar mit ihm zusammen, der beinahe zwei Stunden hindurch nicht von ihrer Seite wich! Also noch einmal: was Du thun willst, das thue bald, sobald als möglich!“

Conventius stand hastig auf.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_712.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)