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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

seiner Stimme ließ mein Herz bis zum Ersticken schlagen, und wenn er sich über meinen Sessel neigte, meine kalte Hand herzlich in seine beiden warmen, kraftvollen Hände nahm und mich mit seinen übermüthigen Augen anblitzte; wenn er sein helles, frohes Lachen erschallen ließ, dann war es mir, als ob Jugend und volles, frisches Leben und Gesundheit um mich und in mir wäre – ich vergaß mein ganzes Leiden, all meine Entsagungsgedanken und vernünftigen Vorsätze – ich fühlte mich wohl und glücklich! Er hieß mit seinem Taufnamen Max und gewöhnte sich im Lauf der Zeit daran, mich scherzend ‚seine Thekla‘ zu nennen. Ein Buch, es waren Heines Gedichte, als Einlösung einer verlorenen Wette, das auf dem Titelblatt die Inschrift zeigte: ‚Max seiner Thekla‘ – besitze ich heute noch.

Es sollte aber nicht immer so schön bleiben, vor allen Dingen nicht so harmlos. Meine Leidenschaft wuchs, ich war namenlos unglücklich an den Tagen, da ich ihn nicht sah, und war er da, dann quälte mich sein Blick, seine Stimme. Ich aß nicht und schlief nicht mehr, meine Stimmung wurde ungleich, das Leben war mir eine Last, meine glückliche und harmonische Umgebung wurde zur Folter für mich. Ein paar Mal nahm ich mir vor, den Vater zu bitten: Sage Max, er soll uns nicht mehr besuchen – ich ertrage es nicht! Aber das vermochte ich doch wieder nicht. Das sind Dinge, die man wohl mit einer Mutter besprechen kann … mit einem Vater, und wäre er noch so gütig, nie! Ach, und ich hatte keine Mutter, denn das schöne, jugendstrahlende Wesen an meines Vaters Seite kam mir mehr wie mein Kind vor! –

Dann kam eine Zeit, da blieb er fern – Du wurdest geboren! Ich faßte eine große, zärtliche Liebe für Dich – aber Du hattest ja eine Mutter, die Dich anbetete, einen Vater, der glückselig über Dich war … Ihr drei waret Euch genug – ich kam mir überflüssig, ausgestoßen vor, und mein Herz schrie laut nach Liebe, nach Glück, ohne daß ein Mensch es ahnte, denn sie waren alle gut und rücksichtsvoll gegen mich. – Auch er kam nun wieder oft ins Haus, ich strebte aus aller Kraft, mich zu beherrschen, ich wollte und mußte stark sein – ich wollte es, mit Aufbietung meines ganzen Willens! Das aber machte mich ganz krank – viel konnte ich ohnehin nicht vertragen, und wenn der Körper hinfällig ist und die Seele ihm nicht helfen kann, dann ist es traurig um so ein armes Menschenkind bestellt. – Deine Mutter mag vielleicht geahnt haben, wie es um mich stand, ihre schönen Augen ruhten zuweilen mit einem so eigenen, fragend weichen Ausdruck auf mir, sie war sehr, sehr gütig gegen mich, beschenkte mich mit Büchern, Blumen, Kunstwerken, lauschte mir jeden Wunsch ab und behandelte mich mit einer Rücksicht und Zartheit, die mich tief rührte … aber freilich, ich hätte zuerst sprechen, sie in mein Vertrauen ziehen müssen, da sie viel zu feinfühlend war, um zu fragen; aber darüber reden – das konnte ich nicht! –

Und mitten in all diese Grübeleien, diese inneren Kämpfe fiel der jähe Wetterschlag, der das strahlende Glück um mich her, das ich so schwer in meiner Verbitterung empfunden hatte, auf immer vernichten sollte – – unser Sonnenstrahl erlosch. Jetzt hatte ich wahrlich keine Zeit, an meinen Herzenskummer zu denken; es galt, einen geliebten Vater vor Verzweiflung zu bewahren, ein mutterloses Kind zu pflegen, und ich that beides, so gut ich’s konnte. Inzwischen war das Regiment, bei welchem Max stand, nach einer weit entfernten Garnison verlegt, und ich empfand diese Trennung als etwas, das ganz selbstverständlich mit zu dem großen, tiefen Schmerz, den ich jetzt durchleben mußte, gehörte. – ‚Auch das noch!‘ sagte es in mir, als er wie ein guter, treuer Freund von mir Abschied nahm und meine Rechte zum letzten Mal mit seinen Händen umschloß.

Ich war nun allein – aber ich hatte Pflichten, ich fühlte mich nicht länger überzählig, im Gegentheil, ich wußte, daß ich unentbehrlich war. Mein Vater brauchte mich und auch das kleine, kleine Vögelchen, das da, froh und ahnungslos wie ein solches, Hilfe und Sorgfalt und – Liebe von mir forderte. Freilich wollte es noch manchmal bitter in mir aufwallen, wenn ich die überströmende Zärtlichkeit gewahrte, die mein Vater gegen seine Kleine an den Tag legte. Mich hatte er sorgsam überwacht, gepflegt, geduldig gewartet – aber zärtlich war er, so weit ich auch zurückdachte, nie mit mir gewesen. Er hatte in mir, als ich noch ein halbes Kind war, einen Kameraden gesehen, seinen Amanuensis, oft hatte er mit Bewunderung von meinem ‚starken Geist‘ gesprochen, und dies alles erfüllte mich mit Stolz und Freude. Jetzt aber, doppelt vereinsamt in meinem Herzen, wünschte ich mir keine verständige Anerkennung, keinen ruhig freundschaftlichen Ton, mich verlangte nach einem warmen, lebendig überwallenden Gefühl … dies aber gab unser Vater ganz Dir, seinem Herzenskinde!

Als uns nach einigen Jahren Max seine Verlobung anzeigte, spürte ich noch etwas wie einen dumpfen Schmerz – aber jedes Feuer lischt aus, wenn es ohne Nahrung bleibt – und so ist es mir auch ergangen! – Nun, nun, mein Herzenskind, was giebt es denn da so bitterlich zu weinen? Thut’s Dir so leid um meine alten, vergangenen Schmerzen? Das liegt ja nun weit, weit hinter mir, ist längst überwunden, und ich blicke so ruhig auf alles zurück, als hätte es statt meiner ein ganz anderes Wesen erlebt!“

„Ich glaube Dir’s, gewiß, Thea, es ist alles schon so lange vorbei!“ sagte Annie mühsam aus ihren Thränen heraus. „Aber sieh – es ist doch das schönste, tiefste Gefühl, das man haben kann, ein Glück, so unendlich groß wie gar nicht von dieser Erde, wenn man fühlt, daß man liebt und wieder geliebt wird! Und daß Du das nie so recht erlebt hast und es Dir so wünschen mußtest, ohne es je erfüllt zu sehen – Du – mit Deinem reichen, großen Herzen, wenn Du es auch noch so sorgsam vor andern verstecken möchtest – das – das –“

„Sei vernünftig, Liebchen, hör’ auf zu weinen! Du hast ein weiches, liebevolles Gemüth, aber nimm Dir das, was ich Dir eben erzählt habe, nicht so zu Herzen. Wer weiß, wenn ich nun ein hübsches, gesundes junges Mädchen gewesen wäre – ob ich mit meinem Auserkorenen hätte glücklich sein können! Ich bin immer eine anspruchsvolle Natur gewesen, veilchensanfte Bescheidenheit kann mir keiner nachrühmen, eine gefügige Ehefrau wäre ich schwerlich geworden.“

Es war Theklas alter sarkastischer Ton, in dem sie jetzt redete – sie wollte Annies Aufregung dadurch dämpfen.

„Und Du wirst nie mehr sagen – vor allem aber auch nie mehr denken – daß ich anders werden, Dich weniger lieben könnte als bisher?“

Annie hob ihr heißes, verweintes Gesichtchen aus Theklas Schoß empor und sah sie zärtlich bittend an.

„Nein doch! Nein, Du kleiner, gefühlvoller Narr! Wie sollt’ ich denn! Wenn zwei sich soviel Jahre hindurch geliebt und so miteinander gelebt haben wie wir, da kann es kein Aufhören geben!“

„Und wenn ich auch lange nicht so klug bin wie Du, so hast Du mich doch nicht umsonst unterrichtet und erzogen und soviel mit mir gelesen und geredet – weißt Du, das eine ernste, schöne Jahr nach unseres Vaters Tode? Etwas von dem Geist der gelehrten Thekla Gerold ist auch auf die unbedeutende Annie übergegangen.“

„Dummes Geschwätz! Was nicht in einem Menschen steckt, das kann kein anderer aus ihm hervorzaubern – es steckte schon recht viel in Ellinor, und dies mütterliche Theil, wie noch manches nicht zu verachtende weitere, ist auch in Dir zu finden. Basta! Ich fange wahrhaftig noch an, meinem Kinde Schmeicheleien zu sagen – da hört denn doch die Weltgeschichte auf! Genug der Sentimentalität! Sag’ mir lieber, ob Du noch der Meinung bist, Dein Zukünftiger werde mir mißfallen – und weshalb!“

„Ja – weshalb? Wenn ich Dir das nur so recht sagen könnte!“ Annie war von den Knieen aufgestanden und blickte nachsinnend vor sich hin. „Sieh, Thea, Dein Geschmack, das ist nun zum Beispiel Fritz von Conventius! Ja aber mit dem, so nett und hübsch er ist, könnte ich hundert Jahre in einem Vogelbauer zusammensitzen, ohne daß mein Herz einen einzigen rascheren Schlag thäte, während bei ihm – er – ich – ach, ich kann ihn nicht beschreiben! Du wirst ihn ja sehen!“

Und sie bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen und lief halb lachend, halb weinend zur Thür hinaus. – – –


*      *      *


Zu derselben Stunde saß der Ulanenlieutenant von Conventius in seinem bequemen Hausrock an seinem Schreibtisch, auf welchem eine helle Lampe brannte, und arbeitete. Allerlei Karten, Pläne, Zeichnungen, Bücher, kurz, das ganze Material der Kriegswissenschaft lag aufgehäuft um ihn herum, der junge Mann dampfte heftig aus einer türkischen Cigarette, und Julchen lag, halb

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