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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Inhalts zu erwähnen. Selbst Dina bemerkte in ihrem jungen Glück nicht die Wolken, die über der Stirn ihrer Schwester lagen, die Kälte ihrer Glückwünsche, die Geflissentlichkeit, mit der sie ihr und dem Grafen auswich und sich oft tagelang in ihr Zimmer einschloß.

Von Tag zu Tag erwartete Dina Tromholts Ankunft; nur die Trauer um Ingeborg konnte ihn nach ihrer Ansicht so lange zurückhalten, sie hatte gehört, daß er in Limforden sei, nun mußte er doch bald kommen! Und die kindliche, glückliche Dina träumte bereits von einer Doppelhochzeit. Es wurde ihr schwer, ihr Geheimniß für sich zu behalten, es nicht wenigstens anspielungsweise ihrem Bräutigam, namentlich aber Susanne selbst, zu verrathen, und gerade dieser gegenüber wurde es ihr schließlich, da Tromholt immer nicht kam, zu schwer. Sie konnte nicht umhin, die Möglichkeit seines Besuchs unter Hinweis auf Ingeborgs Brief mit allerlei schelmischen Bemerkungen anzudeuten.

Da erst kam Susanens lang verhaltener Unmuth zum vollen Ausbruch. Sie machte Dina die heftigsten Vorwürfe über ihre Rücksichtslosigkeit, nannte ihre Behauptungen schnöde Lügen und ging so weit, von ihr zu verlangen, daß sie sofort an Tromholt schreibe, das Mißverständniß aufkläre und ihm mittheile, sie, Dina, habe sich getäuscht, zu voreilig geurtheilt, er möge ihren brieflichen Mittheilungen an Ingeborg, soweit sie sich auf Susannens Gemüthszustand bezögen, keinen Glauben beimessen und sich von ihnen namentlich nicht zu Schritten hinreißen lassen, die ihm nur schwere Enttäuschung bereiten würden.

Das aber war auch Dina zu viel. Anfänglich eingeschüchtert durch die Maßlosigkeit von Susannens Anklagen, gerieth sie bei dieser letzteren Zumuthung selbst in leicht begreifliche Erregung. Sie hatte das Beste gewollt und sah nun sich und die verstorbene Freundin in dieser Weise verunglimpft. Das war zu viel, das ging über ihre Geduld, und in gereiztem Tone wies sie Susannens Vorwürfe zurück. Sie nahm keinen Anstand, ihr ins Gesicht zu sagen, daß sie sich nicht getäuscht habe, daß das, was sie Ingeborg geschrieben, keine Lüge, sondern Wahrheit sei, von der sie kein Wort zurücknehme, die sie auch den heftigsten Widersprüchen Susannens zum Trotz aufrecht erhalte.

Die Leidenschaftlichkeit der beiden Schwestern hatte ihren Höhepunkt erreicht, als Tromholts Besuch gemeldet wurde.

„Nein, nein,“ rief Susanne, „ich kann, ich will ihn nicht sehen! Empfange Du ihn, Du bist’s ja, die ihn gerufen hat, nicht ich! Nun sieh zu, wie Du mit ihm fertig wirst, und wenn Du nicht den Muth hast, ihm offen Deinen Irrthum zu bekennen, so mag ihn meine Abwesenheit davon überzeugen, daß es nicht wahr ist, wenn Du behauptest, ich gräme mich um ihn und er dürfe nur kommen und mir seine Liebe als ein Almosen anbieten, wie man’s aus Mitleid einer Bettlerin darreicht. Nein, nein, ich will kein Almosen von ihm!“

Und was auch Dina thun mochte, die Erregte zu beruhigen, ihren unsinnigen Verdacht zu widerlegen und sie zu beschwören, dem alten Freund des Hauses gegenüber wenigstens die äußere Form zu wahren, Susanne hörte nicht mehr auf sie und verließ eilends durch eine Seitenthür das Gemach, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen.

Tromholt hatte im Gange noch die Stimme Susannens vernommen, ohne jedoch den Sinn der Worte, die so hastig herausgestoßen wurden, zu verstehen; um so mehr überraschte es ihn, Susanne bei seinem Eintritt in das Gemach nicht dort zu finden, auch entging ihm nicht die Spur großer Erregung in Dinas Zügen, als ihm diese mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen und thränenumflorten Augen entgegenkam und ihm herzlich die Hand drückte.

Eine dunkle Ahnung kam sogleich über ihn. „Was ist geschehen?“ fragte er. „Ist Ihre Frau Schwester krank, oder Ihre Mutter – den Grafen habe ich noch heute gesehen – oder was sonst kann Ihnen so großen Kummer bereiten?“ Und da Dina schwieg, fuhr er eindringlicher fort: „Verhehlen Sie mir nichts, Fräulein Dina! Was ist vorgefallen? Ich sehe, es wird Ihnen schwer, mir’s zu sagen. Ich hörte die Stimme Ihrer Frau Schwester, sie klang zornig und aufgeregt. Warum? – Betrifft es mich, meinen Besuch? – O bitte, sprechen Sie, sagen Sie mir die volle Wahrheit, auch wenn –“

Er vollendete den Satz nicht, aber unwillkürlich preßte er die Hand aufs Herz, immer deutlicher wurde in ihm das Vorgefühl einer schweren Enttäuschung, die ihm bevorstand, er empfand es wie einen stechenden Schmerz in der Brust.

Dina sah ihn mit mitleidsvollem Blick an. „Ja, Herr Tromholt,“ begann sie endlich, „es ist ein großes Unglück geschehen. Zwar Mama ist gesund, sie wird es bedauern, nicht hier zu sein, und mein Bräutigam desgleichen, aber Susanne – Susanne – ach, Sie haben es ja schon errathen –“

„Was ist Frau Susannen?“ fragte Tromholt hastig; noch sträubte sich sein Herz, an das Schreckliche zu glauben, daß seine Ahnung sich bestätigen sollte.

„Susanne,“ erwiderte Dina stockend – „sie ist nicht mehr hier – ist im Zorn fortgegangen, da Sie kamen. Ich muß Ihnen einen großen Schmerz anthun, Herr Tromholt, einen Schmerz, den ich mit ganzer Seele theile, um so mehr, als ich es bin, die ihn verschuldet hat. Gott weiß, daß ich nur das Beste gewollt habe! Susanne hat durch einen Zufall von Ingeborgs letztem Brief Kenntniß bekommen, sie weiß, was ich der Freundin über sie geschrieben, weiß, daß die betreffenden Briefe durch Ingeborgs Vermächtniß in Ihren Händen sind. Und darüber ist sie außer sich, sie hält sich für verrathen, betrogen, vor Ihnen gedemüthigt. Ihr gekränkter Stolz hat jedes bessere Gefühl in ihr erstickt, jedes vernünftige Urtheil getrübt. Sie glaubt nicht an Ihre Liebe, meint, Sie wollten sie ihr jetzt nur aus Mitleid wie ein Almosen darbieten. Sie verlangt, daß ich meine Mittheilungen an Ingeborg widerrufe, sie für eine Lüge erkläre. Und doch weiß ich, daß sie wahr sind, auch wenn sie selbst es nicht zugeben will. Ihr Stolz ist eben stärker als alles andere und – ich fürchte – er wird es bleiben, bis es zu spät ist, bis wie schon einmal die Reue nachkommt. O, verzeihen Sie mir das Weh, das ich Ihnen zugefügt habe, und vergeben Sie, wenn Sie können, auch meiner Schwester, die sich selbst am tiefsten unglücklich macht.“

Bei diesen Worten flossen Thränen über Dinas Gesicht Tromholt aber, so groß auch sein Schmerz war, beherrschte sich gewaltsam, um den ihrigen nicht zu verschärfen, und mit ruhiger, nur von einem leisen Hauch der Trauer durchzitterter Stimme erwiderte er: „Wie könnte ich Ihnen zürnen, Fräulein Dina, da doch die Theilnahme, die Sie an meinem Schicksal nehmen, so deutlich aus Ihren Worten, Ihren Thränen spricht! Auch gegen Ihre Frau Schwester hege ich keinen Groll, so sehr ich das Mißverständniß beklage, dessen Opfer sie ist. Denn nicht in der Absicht, die sie voraussetzt, bin ich hierher gekommen. Mag, was Sie Ingeborg Elbe geschrieben haben, auf einer Täuschung beruhen oder nicht, es war gut gemeint, ich danke Ihnen dafür und der Entschlafenen, die mir damit noch in der Todesstunde etwas Gutes thun wollte. Aber nimmermehr hätte mich das veranlaßt, heute um die Hand Ihrer Frau Schwester zu werben, geschweige denn ihr die meinige in dem Sinne anzubieten, den ihr gekränkter Stolz mir zutraut. Die Gründe, die mich davon abhielten, liegen in meiner Gesundheit. Die Besorgniß um sie hat mich nach Kiel geführt; ich habe den Professor Völkers wegen meines Augenleidens zu Rathe gezogen, und da die Kur, die er mir vorschlägt, mich voraussichtlich auf eine längere noch nicht bestimmbare Zeit von jedem Verkehr mit den Menschen ausschließen wird, so wollte ich nicht an diesem Haus vorübergehen, ohne Sie, Ihre Frau Mama und – ja ich gestehe es, vor allem auch Frau Susanne noch einmal zu sehen.“

„Um Gotteswillen, Herr Tromholt, Ihr Auge?“ rief Dina, völlig niedergeschmettert über diese Nachricht, die ihr Graf Snarre bisher schonend verschwiegen hatte.

„Beruhigen Sie sich!“ besänftigte Tromholt. „Ja, es handelt sich um mein Auge, und ich selbst bin schuld, daß sich sein Zustand durch die Anstrengung, die ich ihm zumuthete, in einer Weise verschlimmert hat, die vielleicht einen operativen Eingriff nothwendig macht. Ich sage „vielleicht“, denn alles Weitere hängt vorerst noch von dem Ermessen des Arztes ab. Und nun leben Sie wohl, empfehlen Sie mich Ihrer Frau Mama und berichten Sie ihr, wie sehr ich es bedauere, sie nicht angetroffen zu haben! Grüßen Sie auch Frau Susanne und sagen Sie ihr, daß sie sich getäuscht habe und daß sie mir nicht zürnen möge, wie auch mein Herz frei von allem Groll ist. Leben Sie wohl, Fräulein Dina!“




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