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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Conventius antwortete nicht, aber in sein schönes und edles Gesicht trat ein Ausdruck so tiefen, lebendigen Mitleids, daß der Gefangene unwillkürlich betroffen wurde; fast schien es, als schämte er sich seiner schlimmen Frage. Es trat eine kurze Stille ein – draußen kämpfte ein matter Sonnenstrahl mit den schweren Wolken, um durchzudringen.

„Wunsch!“ fing Schönfeld endlich wieder an, „Sie sind gewiß der Meinung, ein Mensch wie ich könnte nur einen einzigen Wunsch haben!“

„Ich habe mir noch gar keine Meinung über Sie gebildet!“

„Das wird nicht mehr lange auf sich warten lassen; es wäre ja auch nicht groß zu verwundern, wenn Sie sich einbildeten, Herr Pfarrer, ein Mensch, dessen Leben verwirkt ist, wünsche vor allen Dingen seine Begnadigung! Ich aber sage: um keinen Preis! Hören Sie wohl? Um keinen!! Ich werde froh sein, wenn die ekle und schale Tragikomödie, die man Leben nennt, einmal zu Ende geht, so oder so – ich würde keinen Finger rühren, mein Dasein zu verlängern; ich habe dies auch den Richtern, dem Präsidenten, dem Staatsanwalt und meinem Vertheidiger gesagt. Ich bin in allen Punkten geständig und verschmähe es durchaus, den Weg, der zur Gnade führen könnte, zu beschreiten. Die Herren haben mir erwidert, daß dies den Stand der Dinge wesentlich verschlimmere … das ist mir gerade recht, ich will es nicht anders haben. Sollten Sie irgend welchen Einfluß, hohe Verbindungen oder dergleichen besitzen, – machen Sie nichts von alledem zu meinen Gunsten geltend: ich will sterben!“

Der schlanke, feingebaute Mann schien die verkörperte Willenskraft, während er sprach, – er war sehr blaß geworden, seine Nasenflügel bebten, aus den tiefliegenden Augen sprühte es.

Reginald war ergriffen. „Welch’ ein Leben muß das gewesen sein!“ sagte er leise, mehr zu sich selbst sprechend.


Die Karlsbrücke in Prag nach dem Einsturz am 4. September 1890.
Nach einer Momentaufnahme.


„Es wäre Ihnen wohl als Psychologe interessant, Bekenntnisse eines Raubmörders, der nur zehn Schritt von der sogenannten Ewigkeit entfernt ist, zu sammeln? O ja, meine Lebensgeschichte würde einem geschickten Schriftsteller ganz schätzbares Material liefern. Auch wäre ich noch eher bereit, jemand meine Schicksale zu erzählen, als ihm die Sorge für meine Seele in die Hände zu legen, Seelsorger! Was für ein unsinniges Wort! Wie kann denn ein anderer Mensch für meine Seele sorgen, wenn ich selbst das Kunststück nicht einmal zustande gebracht habe?“

„Aus eigener Kraft wird er das auch niemals können.“

„Die göttliche Gnade muß in ihm wirksam sein – so meinen Sie doch, nicht wahr? Es ist doch schade, daß unsereins niemals etwas davon zu spüren bekommt; sie ist wohl nur für die auserwählten Werkzeuge Gottes vorhanden, nicht wahr?“

Reginald warf den Kopf zurück.

„Es ist offenbar Ihre Absicht, mich von hier zu vertreiben, denn Sie müssen sich sagen, daß der Ton, in dem Sie von meinem Beruf zu mir sprechen, auf mich ungefähr ebenso wirken muß, als wenn Sie meiner Mutter ins Gesicht schlügen. Der großen und ernsten Sache, um die es sich handelt, geschieht kein Schade damit – die hat wahrlich schon mehr erduldet und steht höher, als daß solche Pfeile einer verbitterten Seele sie erreichen könnten! Sie können also nur mich persönlich beleidigen wollen, und ich habe Ihnen nichts zu leide gethan!“

„Nicht Sie persönlich will ich beleidigen und an der Wiederkehr hindern, sondern den Geistlichen – mit einem solchen mag ich nichts zu schaffen haben!“

„Wohl aber er mit Ihnen! Und so werden Sie auch meine Wiederkehr nicht hindern können; für heute ist es genug. Und Ihr Wunsch?“

Es malte sich etwas wie Ueberraschung und Verlegenheit in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_653.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2022)