Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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über die Vorstädte hinweg, über grüne Gärten und Anlagen bis zum Fluß hinüber und der bläulichen Kette des Gebirges, an dessen Fuß sich die ernsten dunklen Waldungen der königlichen Forsten schmiegten.
Im ersten Stock dieses Hauses waren mehrere Fenster auffallend hell erleuchtet, und namentlich eines von ganz ungewöhnlicher Breite und Höhe warf ein leuchtendes Viereck von Licht und Glanz auf den Boden, den jetzt der Fuß des einsamen Mannes betrat.
Er öffnete mit einem Hausschlüssel das Thor und durchschritt einen hohen, behaglich erwärmten und beleuchteten Treppenflur, welcher verschiedene Thüren zur Rechten und Linken und im Hintergrunde eine breite Doppeltreppe aufwies, von einem schön geschwungenen Geländer aus gußeisernen Ranken und Blumen begrenzt.
Hier stieg er empor und trat durch eine Thür zur Rechten in einen sehr großen weiten Raum, der die ganze Tiefe des Hauses einnahm und dessen Höhe zwei Stockwerke maß. Das einzige Fenster nahm fast die ganze Vorderwand für sich in Anspruch – von ihm, trotzdem es von innen verhängt war, fiel jener helle Glanz in die tiefe Nacht hinaus.
Trotz seiner Größe war dieser Raum gut durchwärmt und strahlend beleuchtet durch zahlreiche Wandlampen und eine Krone, die an starken bronzirten Ketten von der Decke niederhing. In einem prächtigen, mit buntem Marmor ausgelegten Kamin loderte ein helles Feuer, und das Knacken der Holzscheite mischte sich mit dem leisen, schwirrenden Ton, mit welchem die Gasflammen in ihren Glaskelchen sangen.
Ueberall an den Wänden hingen herrliche Gobelins, schwere, schillernde Stoffe aus Brokat, Sammet und Seide; Ritterrüstungen, Standarten und hohe, alterthümliche Banner in allen Ecken, dazwischen wundervolle Spiegel in Barockrahmen; tiefe Sessel in den verschiedensten Formen und Farben standen umher, kunstvoll geschliffene Gläser, zart wie ein Hauch, schweres metallenes Trinkgerät, getriebene Schilder, Waffen jeder Gattung, – und, regellos vertheilt, Staffeleien, große und kleine, mit Landschaften, Porträts, Entwürfen bestellt; auf einem niedrigen Tisch, der trotz seiner Größe federleicht auf Rollen ging, lagen dick gefüllte Skizzen-Mappen und lose Blätter, Kartons, Reißbretter, Kohlenstifte – das ganze malerische Durcheinander eines Künstlerateliers, schön und reich in jeder seiner Einzelnheiten, geschmackvoll in der scheinbar mühelosen, zufälligen Art seiner ganzen Anordnung.
Auf dem Fell eines riesigen Eisbären, dessen ausgestopfter Kopf mit unheimlicher Lebendigkeit den Rachen aufriß, lag ein mächtiger schwarzer Neufundländer, mit weißem Brustfleck und weißen Vorderpfoten. Köstlich hob sein seidenglänzendes, leicht gelocktes Schwarz sich von dem blendenden Weiß des Eisbären ab, und über beides zuckte der unruhige Feuerschein und warf rothe Reflexe hierhin und dorthin.
Der Hund hatte beim Oeffnen der Thür den mächtigen Kopf, der zwischen den Tatzen lag, erhoben und ein leises bewillkommnendes Knurren ausgestoßen.
Jetzt hielt er sich offenbar nur mit Mühe auf seinem Platz; die schönen, ausdrucksvollen Augen unablässig auf den Eintretenden geheftet, mit dem buschigen Schweif in immer kürzeren Zwischenräumen den Boden klopfend, wartete das gut geschulte Thier mit Ungeduld auf den kleinsten Wink seines Herrn, der ihm eine andere Begrüßung gestattete.
Vorläufig blieb dieser Wink aus; wie ein Träumender stand Delmont inmitten seines Ateliers, er sah sich darin um, als erblickte er es zum ersten Male, er vergaß, Hut und Mantel abzulegen, und unter den zusammengezogenen Brauen starrten seine großen, dunkelgrauen Augen jetzt unverwandt auf die Arabesken des Smyrnateppichs, welchen sein Fuß betrat.
Endlich raffte er sich auf, athmete tief, warf den Mantel auf den nächststehenden Sessel, den Hut rechts auf den Boden und rief mit halblauter Stimme:
„Ego!“
Sofort sprang der Neufundländer empor und war in drei Sätzen bei ihm. Wie ein treuer Freund den andern zum Willkommen umarmt, so legte das Thier, aufrecht stehend, seine Pfoten auf die Schultern seines Herrn und drückte seinen klugen Kopf unter einem leisen Freudengewinsel an dessen Brust.
„Schön, Alter, schön! Jetzt genug! Ich will ans Feuer!“ Er zog mit einer raschen Bewegung den Tisch mit den Mappen und Skizzen nahe zu sich heran und warf sich in einen breiten, niedrigen Lehnstuhl dicht am Kamin. Der Hund hatte ihm aufmerksam zugeschaut, jetzt begann er gleich einer sorgsamen Hausfrau aufzuräumen; er faßte den Hut seines Herrn behutsam mit den Zähnen und trug ihn in eine Ecke auf eine Polsterbank, ebenso die Handschuhe und den Regenschirm, dann streckte er sich würdevoll zu Delmonts Füßen hin und sah von Zeit zu Zeit erwartungsvoll zu ihm auf … er wußte es ja genau, sein Herr würde schon, nach seiner Gewohnheit, mit dem treuen Gefährten zu reden anfangen.
Wie viele einsam lebende Menschen hatte auch der Professor die Eigenthümlichkeit, Selbstgespräche zu halten, meist kurze, abgerissene Sätze, die für einen Zuhörer – hätte er einen gehabt – schwerlich einen Sinn besessen haben würden. Frau Krämer, seine Haushälterin, von Natur redselig, klagte sehr über die große Schweigsamkeit ihres Herrn und meinte zu ihrer Nachbarin, bei der sie sich des öfteren für ihre erzwungene Enthaltsamkeit entschädigte: „Und wenn er überhaupt einmal spricht, dann thut er’s noch am ehesten mit dem unvernünftigen Vieh!“ – Mit dieser Bezeichnung that aber Frau Krämer dem wackeren Neufundländer entschieden Unrecht; derselbe war durchaus kein „unvernünftiges Vieh“, vielmehr so begabt und feinfühlig, wie man es selbst bei Hunden dieser feinen und klugen Rasse selten antrifft. Delmont hatte ihn von der dritten Woche seines Daseins an aufgezogen, sich selbst jeder Mühe und Unbequemlichkeit, welche die Wartung eines so jungen Hundes mit sich bringt, unterzogen und in der That in seinem „Ego“ eine Art von Freund gewonnen, ein „anderes Ich“, das seinen Herrn so gut kannte wie niemand sonst, das alles, was dieser ihm zu sagen hatte, anhörte, ohne zu widersprechen oder etwas auszuplaudern, das jede Stimmung verstand und würdigte, nichts vergaß, aber auch nichts nachtrug und mit unerschütterlicher Liebe und Treue an seinem Beschützer hing. Dies waren nicht zu unterschätzende Vorzüge, und bei Frau Krämer war es offenbar Eifersucht, wenn sie dieselben nicht anerkannte. Die biedere Frau gestand es überhaupt häufig, daß sie für ihr Theil aus ihrem Professor nicht klug werde. Auf der einen Seite von einer wahrhaft erstaunlichen Mäßigkeit und Anspruchslosigkeit, entwickelte er auf der andern eine Verschwendung, die ihr, als einer „verständigen Frau“, unbegreiflich erschien – miethete das ganze Haus sammt Garten, wie es stand, auf ein Jahr, um höchstens zwei bis drei Zimmer darin zu bewohnen, – wünschte mit hereinbrechender Dämmerung sein Atelier, sowie sein Wohn- und Schlafgemach glänzend erleuchtet zu haben, gleichviel, ob er darin sei oder nicht – es könne ihm ja einfallen, unerwartet heimzukommen, und dunkle, kalte Räume seien ihm ein Greuel; ließ diese Lichtfluth zuweilen bis gegen den hellen Morgen brennen, ohne daß außer ihm selber ein einziger Mensch etwas davon hatte – kaufte Dinge an, die, nach Frau Krämers Urtheil, schlechterdings altes Gerümpel waren und in den Trödelkram gehörten, handelte nie, sondern bezahlte Unsummen, ohne eine Miene zu verziehen. Dabei trank er im Verlauf des ganzen Tages höchstens zwei Gläser Wein, rauchte selten eine Cigarette, spielte nicht Karten, hatte fast nie Besuch, und von weiblichen Modellen hatte Frau Krämers wachsames Auge bisher nur eine alte Frau aus dem Volk mit einem prächtigen Charakterkopf und ein paar kleine, drei- bis vierjährige Mädchen erblickt, die auf einem Gemälde Schneeglöckchen feilboten. Ein seltener – ein unbegreiflicher Herr! Wenn sie – Frau Krämer – ihm etwas vorzutragen hatte, hörte er eigentlich nie zu, sondern unterbrach sie fast immer im zweiten Satz: es sei gut, sie möge das einrichten, wie sie wolle. Nur seinen bestimmt ausgesprochenen Willen wünschte er befolgt zu sehen, alles übrige war ihm gleichgültig. Ein schlechter Mensch konnte er doch nicht sein, denn er liebte Thiere und liebte Blumen; dies letztere war auch eine seiner kostspieligen Leidenschaften, stets mußten Vasen und Schalen mit Blumen gefüllt in seinem Atelier wie im Wohnzimmer stehen, und seine herrlichen Blattpflanzen pflegte er eigenhändig.
Auch jetzt hob sich seine Hand wie mechanisch zu dem breiten Gesims des Kamins empor und griff in eine Majolikaschale, die bis zum Rande mit duftenden Blumen gefüllt war; sie stammten aus dem Treibhause – natürlich! wie sollte es im März anders sein! – Von den Maiblümchen, Tazetten und Krokus hinweg tastete seine Hand sich weiter, fast war’s, als ob er etwas suchte.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_614.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)