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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ganz anders! Immer wieder mußte er an ihn denken. Es hieß, daß es ihm sehr gut gehe, daß er durch glückliche Bodenspekulationen sogar schon ein reicher Mann geworden sei. Wenn der Graf sich auszudenken versuchte, wie er wohl die Werke auf gute Art wieder losschlagen könnte, verfiel er immer auf Tromholt; das wäre der rechte Mann dazu, und sicher stünden ihm jetzt auch die nöthigen Mittel zur Verfügung.

Einige Monate noch hatte sich Graf Snarre unzufrieden mit sich und der Welt auf seinem Landsitz aufgehalten, dann hatte er, kurz entschlossen, all den Verdrießlichkeiten ein Ende gemacht, seine Koffer gepackt, oder vielmehr von der sorgsamen Hand des in alle Launen seines Herrn eingeweihten alten Kammerdieners packen lassen, und war abgereist, hinaus in die Welt. Ihn verlangte nach Abwechslung, er mußte andere Menschen, andere Gesichter und Verhältnisse sehen, nur so ließ sich das gestörte Gleichgewicht seiner Seele wiederherstellen.

Vor seiner Abreise hatte er der Familie Ericius in Kiel einen Abschiedsbesuch gemacht, und dabei hatte er Dina, die über den plötzlichen Entschluß beinahe ihre fröhliche Laune verlor, halb im Scherz das Versprechen gegeben, ihr und durch sie der Familie von Zeit zu Zeit briefliche Nachricht über sein Befinden, seine Eindrücke und Erlebnisse zukommen zu lassen. Dieses Versprechen hatte er auch wirklich gehalten; verschiedene Briefe waren inzwischen aus allen Weltgegenden an Dinas Adresse gelangt, sie waren meist in satirisch heiterem Plauderton gehalten und wurden regelmäßig ebenso erwidert. Der letzte, der Dina die größte Freude bereitete, meldete des Grafen baldige Heimkehr.

Aber selbst auf der Reise vermochte der Graf die Geschäfts–Sorgen, die er nun einmal auf sich geladen hatte, nicht ganz abzuwälzen; Altens Berichte folgten ihm überall hin, sie wußten ihn, wenn auch auf den größten Umwegen, zu finden. Selten war ihr Inhalt ein angenehmer, meist bezogen sie sich auf Dinge, deren Erledigung Eile gebot, und die der Graf unerledigt gelassen hatte. Diese ewigen „Molesten“, wie Snarre sich ausdrückte, verleideten ihm jeden Genuß, und fester denn je entschlossen, der Sache bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ein für allemal durch Verkauf der Werke – und wäre es selbst mit Verlust – ein Ende zu machen, trat er die Heimreise an.

Er war schon über ein Jahr fort gewesen, und da ihn der Rückweg über Kopenhagen führte, so wollte er nicht versäumen, Tromholt dort aufzusuchen. Er hatte ihm diese Absicht sowie die Zeit seiner Ankunft mitgetheilt und war aufs angenehmste überrascht, im Gasthofe bereits ein Schreiben Tromholts vorzufinden, in welchem dieser seinerseits um die Erlaubniß bat, dem Herrn Grafen die erste Aufwartung machen zu dürfen. Solche Aufmerksamkeit schmeichelte Snarres Eitelkeit, wie denn überhaupt dieser Zug seines Wesens stärker als je in manchen kleinlichen Einzelheiten zu Tage trat.

Ein heller Anzug brachte zwar seine zierliche Gestalt in vortheilhaftester Weise zur Geltung, aber Schnitt und Farbe verriethen die Vorliebe für die Uebertreibungen der herrschenden Mode. Der Aufenthalt in London und Paris und sein dortiger Verkehr mit der vornehmen Gesellschaft waren nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben, er legte noch mehr als bisher Werth auf Aeußerlichkeiten; die zahlreichen, kostbaren Kleidungsstücke und Toilettengegenstände, die vielen Kämme, Bürsten, Seifen, Pomaden und Parfüms, welche der Kammerdiener Morten eben aus den Koffern packte, legten dafür Zeugniß ab. Morten selbst trug eine neue reiche Livree mit Snarres Wappen.

Die Begrüßung der beiden Herren war eine überaus herzliche. Tromholts treffliches Aussehen überraschte den Grafen. Sein Gesicht zeigte eine frischere Farbe, sein Auge blickte weniger ernst als damals, da Snarre ihn zuletzt gesehen hatte.

Auch die Stimme klang frischer und heiterer, als er anhub:

„Ja, dem Himmel sei’s gedankt, mir geht es soweit ganz nach Wunsch! Ich habe mit meinem Gedanken, nordische Erzeugnisse nach Deutschland auszuführen, einen ungewöhnlichen Erfolg gehabt. Schon wird der dritte große Speicher für mich gebaut; in meinem Bureau arbeiten gegenwärtig über zwanzig Leute, und im ganzen Norden bis nach Hammerfest hinauf sind meine Vertreter thätig. Auch hatte ich das Glück, sehr vortheilhaft zu spekuliren, so günstig, daß ich durch einen einzigen Grundverkauf schon bald nach meiner Niederlassung hier ein bedeutendes Kapital erwarb. Zudem habe ich in Kopenhagen einen äußerst angenehmen geselligen Verkehr.“

„Sie führen also ein eigenes Hauswesen?“ bemerkte Snarre, aufrichtig erfreut über diese guten Nachrichten.

„Allerdings! Bald nach dem Tode des alten Elbe, der, wie Sie ja wissen, an den Folgen des ihm durch Larsen beigebrachten Messerstichs starb, nahm ich seine Tochter Ingeborg zu mir. Sie war von ihrer tödlichen Wunde nur wie durch ein Wunder genesen. Aus Trollheide, wo sie alles an den schrecklichen Vorfall erinnerte, wollte sie nicht bleiben, auch gebot ihr Zustand dringend eine Luftveränderung; mein Schwager Alten fand bald eine andere Hilfe, und ich war, obwohl das arme Geschöpf bis heute die Nachwirkungen ihrer Krankheit nicht ganz überwunden hat, froh, eine so zuverlässige Persönlichkeit um mich zu haben. Daß ich auf Vorurtheil und Geschwätz der Welt nichts gebe, wissen Sie, Herr Graf.“

„So – so –?“ machte Snarre überrascht, „bei Ihnen befindet sich das junge Mädchen? Ja, das sieht Ihnen nun wieder ganz ähnlich, Sie vortrefflichster der Menschen.“

„Ich bitte, ich bitte, Herr Graf –“

„Nein, Tromholt –“ betonte Snarre halb freundschaftlich, halb in seiner aristokratisch herablassenden Weise und Tromholt ohne das Wort „Herr“ anredend. „Sie sind ein seltener Mensch, und deshalb nahm ich auch den Weg über Kopenhagen. Es trieb mich, Sie wieder zu sehen und, da unter Ihrer Hand eigentlich alles gelingt, Sie auch zu bitten, mir mit Rath und That beizustehen.“

„Ich Ihnen helfen, Herr Graf?“ erwiderte Tromholt lächelnd und sich bei den wiederholten Schmeichelreden höflich verneigend. „Indessen! Ich bitte, ganz über mich zu verfügen –“

Snarre streifte die Asche einer inzwischen angesteckten Cigarre ab und neigte befriedigt den Kopf.

„Ich möchte die Ericiusschen Werke wieder verkaufen!“ sagte er dann kurz und ohne Einleitung. „Haben Sie nicht Lust, dieselben zu übernehmen, lieber Tromholt?“

„Die Werke verkaufen?“ – Tromholt sah Snarre groß an, seine Achtung vor ihm schien durch diese Erkärung nicht gerade zu wachsen. „Darf ich fragen, verzeihen Sie, Herr Graf, was Sie zu diesem mich aufs äußerste überraschenden Entschlusse bewegt? Von meinem Schwager Alten hörte ich doch nur Gutes –“

Snarre unterbrach Tromholt; eine leichte Wolke flog bei Nennung von Altens Namen über sein Gesicht.

Dies entging Tromholt nicht, und schon stieg die Befürchtung in ihm auf, daß inzwischen ein ernstliches Zerwürfniß zwischen den beiden eingetreten sei.

„Da ist mir zu viel kleiner Krimskrams, und ich habe zu viel Aergerniß,“ erklärte Snarre. „Ich nahm damals an, daß ich wenig oder nichts von Limforden und Trollheide hören würde. Jeden Monat eine Uebersicht und Abrechnung, so halte ich’s bei meinen übrigen Besitzungen. Aber der Teufel weiß, womit ich geguält werde! Widerspenstigkeit des Personals, Krankheit, Einfluß der Witterung auf die Arbeiten, Stillstand der Maschinen, Ausbesserungen, ungünstige Marktverhältnisse, Verfall der Arbeiterhäuser, Veruntreuungen, Streit zwischen den Beamten, Zahlungsunfähigkeit der Abnehmer – und so weiter und so weiter! Nein, liebster Tromholt, das ist wohl für einen Tromholt, aber nicht für Graf Snarre! Also, was meinen Sie? Oder wenn Sie nicht selbst Lust haben, – Sie brauchten mir nichts bar auszuzahlen, ich würde nur den üblichen Zins verlangen – wissen Sie mir nicht einen Käufer?“

Tromholt sah eine Weile vor sich hin, dann warf er den Kopf zurück und sagte:

„Nein, Herr Graf, ich kann nicht. Ich bin hier gebunden, das Zuviel ist der Feind jeder gesunden Entwickelung. Aber wenn’s Ihr Ernst ist, vielleicht überlassen Sie meinem Schwager den Besitz pachtweise, ich trete nöthigenfalls als Bürge für ihn ein.“

Aber dieser Vorschlag paßte Snarre durchaus nicht, und so wenig verhehlte er seine Abneigung gegen den Plan, daß er ziemlich abweisend den Kopf schüttelte.

Nach einer kurzen Pause nahm der Graf das Gespräch wieder auf. „Aus Ihrem Vorschlage, lieber Tromholt,“ erklärte er mit fast plumpem Freimuthe, „würde weder etwas Gutes für Ihren Schwager, noch für Sie, noch für mich entstehen. Offen gestanden, wir haben uns beide bezüglich der Fähigkeiten Altens, einer solch verwickelten Sache vorzustehen, geirrt. Ihr Schwager ist, abgesehen von seinen sonstigen liebenswürdigen Eigenschaften, fleißig, ehrlich und gewissenhaft, aber ihm fehlt die rechte Uebersicht, die nöthige Fähigkeit zu einer planmäßigen Leitung und vor allem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_599.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)