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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

sichtbar beruhigend auf sie, und seit ihrer Krankheit hatte sie nicht so wohl ausgesehen wie an diesem Tag. Während Bianca und Susanne in Altens Begleitung einen Gang nach den Mooren machten, blieb Dina mit der Freundin allein in deren Stübchen zurück und suchte durch ihr lustiges Geplauder die letzten Spuren des Kummers aus Ingeborgs Zügen zu verscheuchen. Alle ihre Erlebnisse, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, gab Dina in ihrer drolligen Weise zum besten. Es war dabei viel, sehr viel vom Grafen Snarre die Rede und auch von Susanne und Richard Tromholt.

Nachdem Dina lange geplaudert und Ingeborg ihr sinnend zugehört hatte, trat die erstere ans Fenster und rief: „Sieh doch, wie wunderschön es draußen ist! Wollen wir nicht einen Gang ins Freie machen?“ Die Natur lag in den tiefen, satten Farben des Frühherbstes, die Sonne warf goldene, gaukelnde Lichter durch das Gezweig der Bäume auf den grünen Rasen, Vögel haschten sich zwitschernd und pfeifend in dem Geäst.

„Ja, herrlich!“ rief Ingeborg, die mit vollen Zügen die Düfte, die ihr wohlthaten, einsog.

„Aber warum sehen wir das alles durchs Fenster? Laß uns doch in den Garten gehen, nur ein paar Schritte, ich führe Dich und spiele die Wärterin. Komm, Ingeborg!“ Dina glaubte damit dem Arzt, der ihr geklagt hatte, wie schwer Ingeborg zum Ausgehen zu bewegen sei, einen Dienst zu leisten. „Komm, Ingeborg, thu’s mir zu lieb!“ flehte sie, den Arm der Freundin in den ihrigen legend, und zu Dinas nicht geringer Genugthuung ließ sich Ingeborg nach kurzem Zögern zu dem Gang bewegen.

Sorgsam lenkte Dina die Schritte durch den stillen Garten; Ingeborg war wie geblendet von der Fülle des Lichts, berauscht von dem starken, langentwöhnten Hauch, den die ganze Schöpfung um sie her ausathmete. Aber als nun, wie sie um die Ecke des Hauses bogen, ein kühlerer Luftzug ihnen entgegenwehte, überlief ein leises Frösteln den Körper der Genesenden.

„Du frierst!“ rief Dina. „Wie leichtsinnig auch, daß Du nicht ein Tuch umgelegt hast, und daß ich, Deine Wärterin, nicht daran gedacht habe! Aber wart’, ich hole es Dir rasch. Bleib nur, lehne Dich hier an den Baumstamm, ich bin im Augenblick wieder bei Dir, und dann setzen wir uns auf die Bank dort.“ Ingeborg machte eine abwehrende Bewegung, aber schon war Dina, ins Haus zurückeilend, unter den Bäumen verschwunden.

Ingeborg war allein, sie stützte sich an den dicken Stamm einer alten Buche, eine große Ermattung war plötzlich über sie gekommen, sie hatte nicht einmal die Kraft, Dina nachzurufen, daß sie bei ihr bleibe, denn langsam schlich sich wieder das alte Bangen beklemmend an ihr Herz heran. Vor ihr in nicht allzugroßer Entfernung dehnte sich die Hecke, die den Garten von den Feldern abschloß; von dorther sollten Alten und die Damen kommen, welche Dina zu überraschen gedachte. Aber niemand zeigte sich in der weiten, von einem zitternden Duftgespinst verhüllten Ferne.

Da raschelte etwas im Gebüsch – Ingeborgs Sinne verwirrten sich. Träumte sie oder sah sie, erkannte sie wirklich die Gestalt des Mannes, der da auftauchte, über die Hecke sprang und auf sie, die regungslos dem Schrecklichen entgegensah, zueilte? Es war nicht Larsen und doch war er’s, er hatte nur durch Abnahme des Bartes sein Gesicht entstellt, auch die seemännische Kleidung mit der eines gewöhnlichen Landarbeiters vertauscht, und jetzt glühten seine wilden Raubtieraugen dicht vor ihrem Gesicht, sein linker Arm umschlang sie, hob sie, die in einer Art von Starrkrampf lag, vom Boden empor. Gluthheiß traf sein Athem ihre Wangen, wie er jetzt auf sie einredete: „Ingeborg, ich kann und will Dich nicht lassen! Folge mir gutwillig, ich kann nicht länger hier warten, und ohne Dich gehe ich nicht. Du hörst nicht, Du schweigst? Wohl, so trag’ ich Dich fort, und keiner“ – dabei schwang er ein Messer – „soll Dich mir lebend wieder entreißen!“

Mit Riesenkraft preßte er sein Opfer an sich und eilte mit ihm der Hecke zu.

Aber schon kehrte Dina zurück, ihr Hilfegeschrei, als sie den Vorgang von ferne sah, rief die Arbeiter von den Scheunen herbei, von verschiedenen Seiten kamen sie erst vereinzelt und dann in Scharen gelaufen, und dieweil Larsen, vor der Hecke angelangt, einen Augenblick stutzte, waren die vordersten schon so nahe heran, daß sie ihn trotz seiner Verkleidung erkannten.

Da wandte sich der Mann, und es schien einen Augenblick, als ob er ihnen allen standhalten und um die Beute mit ihnen kämpfen wollte auf Leben und Tod, da er die Unmöglichkeit, sie weiter zu schleppen, einsah. Doch der Selbsterhaltungstrieb war stärker – mit einem wilden Schrei bohrte er das gegen die Verfolger erhobene Messer plötzlich in Ingeborgs Brust. „So bleib denn!“ rief er, den blutbefleckten Stahl zurückziehend, „nun weiß ich wenigstens, daß Du keinem anderen mehr gehörst!“ Damit ließ er die Bewußtlose niedergleiten, schwang sich über die Hecke und floh. Indeß die anderen ihm nachsetzten, warf sich Dina entsetzt aufkreischend über die Freundin.




13.

Nach diesen wechselvollen Ereignissen waren fast zwei Jahre verstrichen. Die Hoffnungen, die jeder einzelne für sich selbst oder für die ihm näherstehenden Personen genährt hatte, waren, entsprechend der Unberechenbarkeit, mit der das Schicksal seine Wege geht, nicht in Erfüllung gegangen, und es schien auch keinerlei Aussicht vorhanden, daß durch die Zeit irgend eine Aenderung eintrete werde.

Graf Snarre hatte das Vergebliche seiner Bewerbung um Susannens Hand eingesehen, ohne daß sie genöthigt gewesen wäre, Dinas Prophezeiung wahr zu machen, indem sie ihm einen förmlichen Korb gab. Er war anfangs selbst erstaunt über diese friedliche, fast schmerzlose Lösung einer Angelegenheit, die eine Zeitlang seine Gedanken so stark beschäftigt hatte. Was er für eine große Leidenschaft, von der das Glück seines Lebens abhing, gehalten hatte, war nicht viel mehr als ein flüchtiges Strohfeuer gewesen; genährt und geschürt durch die Umstände, die Verschiedenheit ihrer beiderseitigen Charaktere, war es schließlich aus Mangel an weiterer Nahrung in sich selbst zusammengesunken, und was unter der Asche einstiger Flammen fortglimmte, war nur ein Gefühl aufrichtiger Freundschaft. So schien es dem Grafen jetzt. In wie weit diese Erkenntniß mit seiner wachsenden Freundschaft für Dina, deren frisches, munteres Wesen dem seinigen mehr zusagte, zusammenhing oder gar davon beeinflußt wurde, darüber legte er sich zunächst keine Rechenschaft ab. Immerhin war ihm Susannens Wesen ein Räthsel, für das er, trotz mancher Andeutung, die sie selbst und Dina ihm gegeben hatten, keine Lösung fand. Daß er, der Graf Esbern-Snarre, der reiche, geistvolle, vielumworbene Kavalier, sich beinahe der Gefahr ausgesetzt hätte, von einer Dame, der er seine Huldigung dargebracht hatte, der er seinen Namen zu geben geneigt gewesen war, eine ablehnende Antwort zu erhalten, daß es eine solche Dame überhaupt gab, erschien ihm fast unbegreiflich und erfüllte ihn trotz allem mit einem Gefühl des Verdrusses und der Beschämung. So fest er sich auch vornahm, nicht mehr über die Ursache nachzugrübeln, immer wieder kam er mit seinen Gedanken darauf zurück; unwillkürlich verdoppelte er noch die Sorgfalt, die er von jeher auf seine äußere Person verwendet hatte, allein es fehlte ihm jetzt an Menschen, an denen er die Wirkung hätte erproben können.

Bald nach der Familie Ericius war auch die Gräfin, seine Tante, etwas verstimmt über das Mißlingen des Heirathsplanes, dessen Förderung ihr Besuch gegolten hatte, abgereist, und nun gesellte sich bei dem Grafen zu allem andern noch ein Gefühl der Verlassenheit und Langenweile, wie er es nie zuvor empfunden zu haben glaubte.

Solch übler Laune war auch der Uebereifer, mit dem Herr von Alten seiner neuen Stellung gerecht zu werden strebte, auf die Dauer nicht gewachsen, im Gegenteil, er verschärfte sie noch. Thatsächlich mochte der neue Direktor selbst fühlen, daß er sich für die Gutsverwaltung besser eigne als für die selbständige Leitung von Werken, wie sie in Limforden theils schon bestanden, theils noch im Entstehen begriffen waren. Eine Folge dieser Selbsterkenntniß mochte es sein, daß er in übertriebener Gewissenhaftigkeit den Grafen mit einer Menge meist unliebsamer Berichte über Kleinigkeiten belästigte, während er ihm andererseits wieder zu rasch und selbständig verfuhr. Daraus ergaben sich Meinungsverschiedenheiten, die nicht selten zu heftigen Auseinandersetzungen führten.

Mehrmals stand Alten im Begriff, dem „hochmüthigen Aristokraten und Besserwisser“, wie er den Grafen nannte, sein Amt vor die Füße zu werfen, und die ruhiger und nüchterner denkende Bianca hatte Mühe, den leicht Gereizten von einem so unvorsichtigen Schritt zurückzuhalten. Graf Snarre seinerseits bereute mehr und mehr den voreiligen, jetzt völlig zwecklos gewordenen Ankauf von Limforden, von welchem er nur Widerwärtigkeiten hatte.

Ja, wenn Tromholt geblieben wäre, da lägen die Dinge

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