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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Männerkopf mit den ebenmäßigen, feinen Zügen wirkungsvoll ab. Der stattliche Ulan, der neben dem Herrn im schwarzen Gesellschaftsanzug stand, sah an dessen Seite fast unbedeutend aus. Die zwei sprachen lebhaft miteinander – der Offizier machte oft eine Bewegung mit seiner behandschuhten Rechten, setzte das Monocle ein, ließ es wieder herabfallen – der andere bewahrte seine ruhig-stolze Haltung und ließ seine Blicke ernst über die glänzende Versammlung hingleiten, während er ab und zu ein Wort erwiderte.

„Er sieht aus wie ein Fürst!“ flüsterte es in der Mädchenschar.

„Eine echt aristokratische Erscheinung!“

„Warum er nicht in Uniform erschienen ist?“

„Schöner kann er auch als Ulan nicht aussehen!“

„Habt Ihr denn gehört, heute soll ja auch der neue Prediger an der Lukaskirche hier sein, Papa sagt, er wird eine Koryphäe!“

„Prediger? Gnade Gott, wer den zum Tischnachbar bekommt! Na – die Langeweile, ich danke!“

„Ist Delmont noch nicht erschienen?“

„Nein, er ist noch nicht da! Am Ende kommt er gar nicht. Er soll ja so menschenscheu sein, und nur weil Herr Weyland seit Jahren sein Bankier ist und ihm viele Dienste erwiesen hat, ließ er sich bereit finden, hierher zu kommen.“

„Sein neuestes Bild soll himmlisch sein, ich brenne auf die Eröffnung der Ausstellung.“ –

Hier schritt der Herr des Hauses mit dem schönen, aristokratischen Mann, den die jungen Mädchen eben so überschwenglich bewundert hatten, an der Gruppe vorüber zu Annie Gerold hin und sagte laut genug, daß die Damenwelt es verstehen konnte:

„Sie gestatten, liebe Annie, daß ich Sie mit Ihrem Tischnachbar bekannt mache: Herr Reginald von Conventius, neu angestellter Prediger unserer Kirche zu St. Lukas.“

Die Wirkung dieser Worte war eine großartige. Beinahe betäubt vor Staunen, Schreck, Enttäuschung sahen alle die hellen und dunkeln Mädchenaugen auf Herrn Weyland zuerst, dann auf seinen Begleiter, als sei das, was sie eben gehört, nur ein schlechter Witz gewesen, und als müßte noch eine Aufkärung nachkommen. Aber als gar nichts weiter erfolgte wie eine höfliche, kleine Unterhaltung Annies mit dem zukünftigen Tischnachbar, da löste sich der Zauber.

„Das also –“

„Unglaublich!“

„Wie ist es nur möglich, daß ein Mann mit dem Gesicht und der Figur Prediger werden konnte!“

„Vielleicht war er arm!“

„Aber sein Name – der hätte ihm doch überall geholfen, vorwärts zu kommen. Habt Ihr wohl gehört: Reginald von Conventius!“

„Ein reizender Name!“ –

Wieder steuerte der Gastgeber auf die Nische zu, diesmal aber von einem ganzen Schwarm von Herren begleitet – die Massenversorgung zu Tisch sollte beginnen. Es waren die Ulanen dabei, dann einige Assessoren, Kaufleute, junge Aerzte, die den Damen schon bekannt waren. Eine unwillkürliche, leichte Bewegung entstand in der Damengruppe, als einer der Ulanen, eine flotte Erscheinung mit einem zierlichen Bärtchen, als Lieutenant von Conventius vorgestellt wurde. Verschiedene Köpfe drehten sich nach dem schönen Blonden zurück, der mit Annie Gerold sprach; es war, als wünschte man, einen Vergleich zu ziehen. Der findige Lieutenant sah dies kleine Manöver sofort, er lächelte, drückte ein wenig die Augen zusammen und sagte mit einer leichten Bewegung nach der betreffenden Seite hin: „Mein Vetter!“

Bei Weylands war alles von sprichwörtlicher Pünktlichkeit. Das Essen war auf acht Uhr angesagt, jetzt war die Uhr halb neun vorüber, die Gäste schienen vollzählig versammelt – auf wen oder auf was wartete man denn noch?

Frau Hedwig bemühte sich, heiter und unbefangen auszusehen und recht fröhlich zu plaudern, aber sie hatte das sichere Gefühl, daß ihr das alles mißlang. Sie hob die Augenbrauen und sah fragend zu ihrem Gatten hinüber: sollte man nicht doch auftragen lassen? Herr Weyland hatte ein kleines ungeduldiges Fältchen auf der Stirn, aber er schüttelte den Kopf. Also warten! Frau Hedwig wünschte, der Abend wäre erst vorüber; ihre trüben Ahnungen verließen sie nicht, und wenn sie daran dachte, bis zwei, drei Uhr morgens fortgesetzt Komödie spielen zu müssen, ihren Gästen zuliebe, dann wurde es ihr eiskalt vor Schreck.

„Sie erwarten noch jemand?“ fragte eine ältere Dame, deren helles, auffallendes Seidenkostüm mit ihrem Aeußeren durchaus nicht im Einklang stand, den Hausherrn.

„Allerdings – und doch werden wir uns ohne den Herrn zu Tisch setzen müssen, wenn er nicht bald erscheint. Die Augensprache meiner Frau wird immer ausdrucksvoller … ah! Da kommt er!“

Herr Weyland machte der Dame in der jugendlichen Toilette eine abschiednehmende Verbeugung und ging einem Herrn entgegen, der eben unter die Thür trat. Die Dame hob neugierig ihr an einem langen, schwarzen Stiel befestigtes Lorgnon an die Augen, und sie ließ es davor, denn es lohnte schon der Mühe, sich diesen schlanken Mann mit der trotzigen Stirn und dem darüber fallenden schwarzbraunen Haar anzusehen, wie er dem Hausherrn die Hand schüttelte und seine mächtigen, gebieterischen Augen wie einen Blitz, der rasch erlosch, über die Versammlung flammen ließ.

„Wer kann denn das sein? Liebe, wissen Sie es vielleicht?“ fragte sie, zur Frau eines Journalisten gewendet, die doch eigentlich verpflichtet war, jedermann zu kennen. Zum Glück entsprach diese den an sie gestellten Anforderungen.

„Das ist der Maler Delmont, seit ganz kurzer Zeit hierher als Professor an unsere Akademie berufen – man sagt, er habe die Ausstellung mit einem wunderschönen, ganz überwältigenden Gemälde beschickt –“

„Nun – wer ihn ansieht, kann es ihm schon zutrauen. Anziehend genug sieht er aus, obschon nicht gerade liebenswürdig!“

Und wenig liebenswürdig war allerdings die Miene, welche Professor Delmont zeigte, als er jetzt von Herrn Weyland der Dame, die seine Tischnachbarin werden sollte, vorgestellt wurde. Er hatte einen flüchtigen Blick auf sie geworfen, dann die Augen gesenkt und so, mit einem Gesicht, das von kalter Höflichkeit wie überfroren schien, ein paar herkömmliche Redensarten mit ihr ausgetauscht. Und sie war doch ein hübsches Mädchen, diese brünette Hertha Kreutzer, etwas kokett und herausfordernd dreinschauend freilich und ein wenig gepudert – sie wurde leicht erhitzt beim Weintrinken und Tanzen – aber so hochfein gekleidet, wenn auch ein wenig dekolletirt, und so gut frisirt … lauter gebrannte schwarze Löckchen, die alle wie gedrechselt saßen. –

„Meine Herrschaften, ich bitte, zu Tische!“ – „Ah!“ – Allgemeine Bewegung – die Thürflügel weichen weit zurück – zahlreiche Arme krümmen sich – zahlreiche zarte Händchen legen sich hinein – vorwärts!

Da saß nun die Gesellschaft an der von Silber, Lichtglanz, Blumen und Fruchtpyramiden strotzenden Tafel. Frau Hedwigs ahnungsvoller Blick überflog das Ganze – alles in Ordnung – die Schlacht konnte beginnen! –

„Sehen Sie doch, bitte, die hübschen Tischkarten!“ Hertha Kreutzer reichte ihrem Herrn die ihrige hin, in der stillen Erwartung, er werde ihre niedliche Hand dabei bewundern, die sie zur Feier des Tages mit süßduftender Lilienmilch gewaschen hatte. „Aber – ich vergaß – Sie verachten gewiß solch’ kleine Malereien auf Karten und dergleichen.“

„Ich verachte nichts, mein Fräulein, als absichtliche Fälschung der Natur! Weiß oder roth gefällig, gnädiges Fräulein?“

„Roth, bitte, und etwas Soda hinzu – danke sehr! – Ist es wahr, Herr Professor, daß wir auf der Ausstellung ein Gemälde von Ihnen werden bewundern können?“

„Ja, es ist eins von mir da! Ob Sie es bewundern werden, lasse ich dahingestellt.“

„O, natürlich! Sicher ein Meisterwerk!“

Seine dichten, schwarzen Brauen schoben sich so unmuthig zusammen, daß sie einander berührten. Das hatte er nun davon! Warum war er gekommen? Er hätte es ja im voraus wissen können, daß er gezwungen sein würde, fades Geschwätz anzuhören! Diese albernen, koketten, heirathssüchtigen Mädchen! Diese jungen Gänse! Wie ihre dummen Bemerkungen ihn ärgerten, ihre dünnen, hoch hinaufgeschraubten Stimmchen sein empfindliches Ohr quälten!

Von seiner linken Seite sagte eine dunkle, ein wenig verschleierte Stimme:

„Was das ist, sich langweilen – sehen Sie, Herr Prediger, das kenne ich wahrhaftig nicht! So lange ich lebe, habe ich das noch nie empfunden – ich denke, es muß das Verdienst meines Vaters und meiner Schwester sein, die mich lehrten, mich immer

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