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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

mit dem alten Lagerbuch zu reden, dem „Stupfelfeld“, gedeihen die herbstlichen Futtergewächse.

Zur Linken haben wir Wiesen, durch welche der erlenumbuschte Leudelsbach sich der Glems zuschlängelt. Die Gegend athmet behäbigen Frieden; sie ist fast zu anspruchslos, als daß man sie träumerisch nennen könnte. Es ist die echte Hirtenlandschaft; wir befinden uns mitten in der Idylle.

Die Straße, die sonst nicht zu den betretensten des Schwabenlandes gehört, wiewohl der Postwagen täglich dreimal zwischen Markgröningen und Asperg hin- und herfährt, ist heute ungewöhnlich belebt. Die Schäfer im landesüblichen „blauen Hemd“, die Schäfermädchen in weißem Mieder, weißer Schürze und vielgefälteltem grünem, rothem oder

Der Graf bat und schmeichelte und bot dem Knecht viel Geld.

blauem Wollrock schreiten singend oder plaudernd die gerade Straße dahin. Sie haben das erste Anrecht auf das Fest, das zu Ehren der Treue eines ihrer Berufsgenossen gestiftet worden ist, wie wir später erfahren werden. Neben ihnen bewegen sich in größeren oder kleineren Gruppen die biederen Landleute der näheren oder ferneren Umgebung: der unternehmende landeskundige Metzger, der Bauer, den nebelspaltenden „Dreimaster“ auf dem würdigen Haupt, in straffgespannten, gelben hirschledernen Hosen; die Bäuerin im Sonntagsstaat mit der Haube und den langflatternden breiten Bändern. Auch der vornehmere Städter, der weiter her kommt, „das Volk zu studieren“, oder vielleicht, wie Richard Weitbrechts „Stadtjompfer“ – das Volk zu „geniren“, ist nicht daheimgeblieben.

Nach etwa fünfviertelstündiger Wanderung haben wir „Gröningen in der Mark“, wie die Stadt zum Unterschied von andern gleichnamigen Orten genannt wird, erreicht. So wehrhaft, wie Merians Kupferstich vom Jahre 1643 die Stadt darstellt, sieht sie heutzutage nicht mehr aus. Doch ragen die beiden, übrigens nicht ausgebauten Thürme der geräumigen gothischen Stadtkirche würdig über die Dächer empor, die sich im Eirund um sie her lagern. Die Häuser haben sich in festlichen Schmuck, in Tannenreis und Heidekrautgewinde gekleidet. Durch bescheidene, doch nicht drückend enge Gassen führt unser Weg auf den Marktplatz, wo das hochgiebelige, mit einem fast verschwenderischen Reichthum von Eichenbalken ausgeführte Rathhaus unsere Blicke fesselt.

Hier nimmt gegen elf Uhr vormittags die eigentliche Festlichkeit ihren Anfang. Schäferjünglinge und Schäfermädchen sammeln sich auf dem Rathhaus. Zunächst werden aus einer milden Stiftung zehn Neue Testamente unter sie verlost. „Ansonsten ist die christlöbliche Ordnung, daß die Schäfere von dem Rathaus aus mit Fahnen, Trommeln und Pfeiffen in einer wohleingerichteten Procession in die Kirchen ziehen zur Anhörung der ihnen besonders zu haltenden Predigt unter obrigkeitlichem Präsidio“.

In alten Zeiten wurde statt der Verlosung der Neuen Testamente das Leggeld von „denen Schäferen“ entrichtet, nämlich so lange noch Markgröningen die „Hauptlade“ oder der Vorort der Schäferzunft so ziemlich für alle Städte und Bezirke des württembergischen Unterlandes war. Dies ist aber nicht mehr der Fall, da im Jahre 1828 die Schäferzunft sich aufgelöst hat. Ihr Vermögen ist an die Stadtpflege Markgröningen übergegangen, von welcher demgemäß auch die Kosten der allgemeinen festlichen Veranstaltungen bestritten werden.

Betrachten wir uns nun die „wohleingerichtete Procession“, welche sich zu ordnen beginnt, etwas näher im einzelnen. Voran schreiten die Trommler und eine Abtheilung der Feuerwehr mit Fahnen. Eine Stadt wie Markgröningen, welche zwar von größeren Feuersbrünsten verschont blieb, aber im Jahr 1634 also ausgeplündert worden ist, daß mehr als die Hälfte der Häuser nach dem Dreißigjährigen Krieg in Trümmern lag, wird den Werth dieser neuzeitlichen Einrichtung wohl zu schätzen wissen. Es folgen die „Festreiter“, von welchen einer auf dem Festplatz außerhalb der Stadt seine Rolle zu spielen hat. An dem Festreiter bemerken wir, wie übrigens auch bei andern Festgästen, die „Nestel“ in gelben, rothen, grünen, blauen Farben.

Die „Nestel“, dünne, lange, bunte Bänder, aus Schafleder geschnitten, oder auch aus Florettseide oder Baumwolle geflochten, sind das Wahrzeichen des Schäferlaufs, wenn man auch jetzt kein „Koller“ und keine „Schnallenschuhe“ mehr damit zu knüpfen hat. Trägt doch auch der steinerne Herzog, der dort auf der Brunnensäule des Markplatzes steht, neben dem Herrscherstab in seiner Rechten jahraus jahrein seine Nestel, welche lustig im Winde flattern. – Den „Festreitern“ folgt die Musik. Daß sich ohne Sang und Klang ein Volksfest und vollends ein Schäferfest gar nicht denken läßt, versteht sich von selbst. Am Gasthaus „Zur Krone“ ist ein Gemälde angebracht, allwo drei Musikanten auf Dudelsack, Klarinette und Flöte muntere Weisen blasen, indeß sich im Hintergrund Hirt und Hirtin im Reigen drehen. Unsere Musikanten sind, seitdem sich vor noch nicht gar langer Zeit die Neuerung anläßlich eines Stuttgarter Schützenfestes bewährt hat, mit einer besonderen Tracht ausgestattet, welche der bekannten Betzinger oder auch der Steinlachthaler Volkstracht ähnelt.

Nunmehr kommen die zum Feste besonders eingeladenen „Ehrengäste und die Mitglieder der Kollegien“. Hier bemerken wir den Oberamtmann von Ludwigsburg oder den Stellvertreter, den er entsendet hat. „Von Ludwigsburg!“ – Früher war Markgröningen selbst eine Oberamtsstadt, wie Heyd in seiner vortrefflichen „Geschichte der vormaligen Oberamtsstadt Markgröningen“ gleich auf dem Titelblatt und auch sonst nachdrücklich der Welt zum Bewußtsein bringt. Die Wunde schmerzlicher Erinnerung, daß Markgröningen eine Oberamtsstadt gewesen ist – sie ist vielleicht jetzt noch nicht ganz vernarbt! – Hier bemerken wir den Stadtschultheißen, der uns einen Blick in das „Saal- und Lagerbuch“ verstattet hat; hier den Stadtpfleger, der das Jahr über die im Eigenthum der Stadt befindlichen Festkeidungen verwahrt und bei den Anordnungen zu würdiger Begehung des Bartholomäustages alle Hände voll zu thun hat. Hier schreiten die Männer vom Gemeinderath und vom Bürgerausschuß, die das Fest seit den Tagen ihrer Kindheit schon so oft mitgefeiert haben.

Hinter ihnen folgt die Schäfermusik. Sie stimmt den „Schäfermarsch“ an, welcher, wenigstens nach Heyds Versicherung, auf das Gemüth des echten und gerechten Markgröningers denselben Zauber ausübt wie der Kuhreigen auf das Herz des Schweizers. Die rührend einfache Weise theilen wir am Schlusse unseres Artikels mit.

Nun zwei Kronenträger. Der Schäferbursche und das Schäfermädchen, welche aus den Wettkämpfen des Tages als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_561.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)