Seite:Die Gartenlaube (1890) 458.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Tromholt bewegte den Kopf wie ein Mensch, der sich lange nach einer Aussprache gesehnt hat.

„Gut denn! Höre!“ sagte er.

Bianca setzte sich aufrecht in ihrem Stuhl und winkte dem Diener Ole, der eben die Fensterladen geschlossen und das Feuer im Kamin geschürt hatte, sich zu entfernen. „So, lieber Richard, nun sind wir ganz ungestört.“

„Du weißt – als damals das Unglück geschehen war,“ – hob Richard Tromholt an, – „bestand der alte Ericius darauf, daß ich in seinem Hause bleiben und dort gepflegt werden sollte. Es blieb auch wohl zunächst nichts anderes übrig; aber auch meine späteren Einwendungen scheiterten an seinem Widerspruch und noch mehr an dem seiner Tochter Susanne, die ich bei jener traurigen Gelegenheit zum ersten Male gesehen hatte. Eine liebevollere Pflege, als sie mir dort im Hause wurde, hätte mir selbst von Dir nicht werden können.

Susanne selbst sah ich nur selten, obwohl sie sich täglich nach meinem Befinden erkundigen ließ. Wenn sie persönlich bei mir erschien, so geschah es nur auf ganz kurze Zeit, immer in großer Toilette. Sie sagte dann etwa folgendes: ,Wie geht’s Ihnen, mein lieber Herr Tromholt? Ich bitte jeden Tag den Himmel, daß er Sie gesund machen möge! Besser? O, das macht mich sehr glücklich. Ich will mich Ihnen heute zeigen. Finden Sie, daß mir diese Robe gut steht? Ich denke mir, daß Sie einen besonders guten Geschmack besitzen. Daß Sie gut, sehr gut sind und schlechten, unvorsichtigen Menschen nichts nachtragen, habe ich ja genügend erfahren. Und daß ich Sie nicht so oft besuche, wie ich gerne möchte, daran ist meine Mutter schuld. Sie findet, daß es sich nicht paßt. Sie wissen doch, Herr Tromholt, daß wir in einer Welt leben, in der das Natürliche, Vernünftige stets in der Aschenbrödelecke stehen muß.’

Diese Ungezwungenheit und dieser Freimuth der Sprache machten einen großen Eindruck auf mich, wenn ich auch sonst Susanne Ericius zu den Oberflächlichen zählen zu müssen glaubte, bis – bis” Tromholt brach ab.

„Nun, Richard?“ knüpfte Bianca nach einer kurzen Pause rücksichtsvollen Schweigens an.

„Wenige Tage bevor ich von dem Arzte entlassen werden sollte, trat sie wiederum eines Mittags in mein Zimmer und sagte: ,Ich höre von dem Doktor, Herr Tromholt, daß Ihre Reise unmittelbar bevorsteht. Da drängt es mich, Ihnen noch einmal zu sagen, wie mich das Geschehene schmerzt, und nochmals von Ihnen zu hören, daß Sie mir meine Unvorsichtigkeit nicht nachtragen.‘

‚Sie wissen es doch, mein Fräulein. Habe ich Ihnen je auch nur durch eine Miene einen Vorwurf gemacht –‘ Sie unterbrach mich.

,Nein, Sie suchten mich sogar zu trösten! Sie vertauschten in Ihrem Edelmuth die Rollen; kein Mensch konnte großmüthiger handeln. Und da dem so ist, wollte ich Ihnen erklären, daß mir kein Gegendienst, kein Opfer für Sie zu groß ist. Vermag ich irgend etwas für Sie zu thun, so sagen Sie es mir! Keinen Augenblick werde ich zaudern, selbst dem höchsten Anspruch nach Umfang meiner Kräfte gerecht zu werden.‘

Ich kann Dir nicht sagen, was da in meinem Herzen vorging, welche Wünsche in meiner Brust aufstiegen, aber ich bezwang mich und sagte nach kurzem Zögern:

,Sicher sind Sie sich der Tragweite Ihres Angebots nicht bewußt, mein Fräulein! Wenn ich Sie wirklich beim Wort hielte?‘

‚Sie zweifeln?‘ rief das schöne Mädchen stürmisch und mit leuchtenden Augen. ,Ich bitte, stellen Sie mich auf die Probe!‘

Diese Worte, der Ausdruck, mit dem sie gesprochen wurden, vollendeten die Täuschung, der ich mich in diesem Augenblick hingab, und drängten mich zu einem Entschluß.

,Wohlan!‘ rief ich und griff nach ihrer Rechten ,Werden Sie mein Weib!‘

Aber kaum hatte ich gesprochen, als Susanne Ericius, wie von einem Schlage berührt, den Kopf zurückwarf und ihre großen Augen mit einem Ausdruck höchsten Schreckens auf mich richtete.

Auch rang sie vergeblich nach Worten. Ich sah, sie liebte mich nicht, aber in ihrem Inneren ging ein gewaltiger Kampf vor sich. Ich senkte den Kopf und sagte:

‚Ihr Schweigen, Ihr Staunen ist Antwort genug. Richard Tromholt giebt Ihnen Ihr Wort zurück; verzeihen Sie ihm, daß er so zu Ihnen zu sprechen wagte!‘

Nun aber richtete sie sich empor. In ihr Gesicht trat ein Ausdruck edler Entschlossenheit, den ich nie vergessen werde, und mit ausdrucksvoller Betonung sagte sie: ‚Ich schwöre hier, daß ich Ihr Weib werden will, wenn Sie Ihren Wunsch wiederholen. Ich werde Sie lieben lernen, denn ich achte wohl niemand höher auf der Welt als Sie. Aus Achtung entsteht Liebe, sie ist der Urgrund des höchsten menschlichen Gefühls. Nun entscheiden Sie, Herr Richard Tromholt!‘

Ich sah, wie sie vor der Entscheidung bebte, aber ich sah auch, daß es ihr heiliger Ernst war mit ihren Worten. Und da - da -“

„Und da?” drängte Bianca, als ihr Bruder den Kopf sinken ließ und schwieg.

„Nun ja, Du weißt ja, was ich entgegnen mußte. Ich erwiderte: ,Ich verzichte, Susanne Ericius. Es sei denn, daß Sie eines Tages zu mir kommen und mir sagen: Ja, jetzt liebe ich Dich!‘ Und weiter: ‚Ich selbst werde nie eine andere lieben, Sie aber sind frei.‘

Sie erwiderte nichts, sondern ließ sich langsam in einen Stuhl gleiten und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür, und ihre Schwester Dina trat ein.

Dieser Zwischenfall trennte uns. Am Nachmittag desselben Tages erhielt ich von Susanne einen Brief. Es standen nur die Worte darin:

,Innigen Dank, mein edler, unvergleichlicher Freund! Verzeihen Sie, daß ich Ihnen nun auch noch diesen großen Schmerz bereitete. S. E.‘

Das war das Ende!“ schloß Tromholt.

„Und Du liebst sie, liebst sie noch und hast nie wieder von ihr gehört?“ fragte Bianca, tief erregt von ihres Bruders Erzählung.

Tromholt beantwortete nur den letzten Theil der Frage. „Doch,“ sagte er, „heute.“

„Heute? – Und was?“

„Dieses hier,“ entgegnete Tromholt mit gepreßter Stimme, indem er aus der Seitentasche seines Rocks einen Brief hervorzog und ihr hinreichte. „Lies!“

Sie griff eifrig nach dem Gebotenen und entfaltete es.

„Die Verlobung unserer ältesten Tochter Susanne mit dem kaiserlichen Lieutenant zur See, Herrn Grafen Leo von Utzlar, beehren wir uns hierdurch anzuzeigen.

John Ericius und Frau,
geb. Gräfin von Tolk.«

„A – h!“ rief Bianca langgezogen.

Tromholt aber bedeckte das Gesicht mit den Händen. Ein leiser Ton entrang sich seiner Brust, während sich die Hand seiner Schwester in zärtlicher Theilnahme auf sein Haupt legte.

*               *
*

In der Nacht nach dieser Unterredung wurde Richard Tromholt durch einen Lärm auf dem Gutshofe geweckt. Rasch sprang er aus dem Bett, kleidete sich nothdürftig an, öffnete vorsichtig die Fenster seines nach dem Hof liegenden Schlafgemaches und spähte hinaus.

In demselben Augenblicke floh eine weibliche Gestalt bis an die Mauer des Hauses und suchte sich hier in dem Dunkel zu verstecken. Als sie aber den vorgebeugten Körper des Direktors bemerkte, tastete sie zitternd nach seiner Hand und flüsterte: „Um Gotteswillen, schützen Sie mich, Herr!“

„Was ist?“ forschte Tromholt leise und hielt die dargebotene Rechte fest.

„Peter Jeppe – der Däne – er ist betrunken und zerrte mich auf dem Flur an sich. – Wir saßen noch spät beim Spinnen, und dann wollte ich ins Wirthschaftsgebäude hinübergehen. – Ich lief von ihm fort, – er hinter mir her, packte mich. Ich riß mich los und schrie. Nun fiel er – ich weiß nicht, ob er liegen geblieben ist. – Ich fürchte mich. O Herr! Lassen Sie mich ins Herrenhaus oder geleiten Sie mich zurück!“

{PRZU}}

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_458.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)