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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Augen war erloschen, während das Haar schwer und feucht auf die Stirn fiel. Der Sturm hatte ihm den Hut vom Kopfe gerissen, er hatte es nicht bemerkt, so wenig wie den Regenschauer, der ihn durchnäßte. Nach stundenlangem Umherirren im Walde hatte er sich endlich an diesem Orte wiedergefunden, wohin ihn halb unbewußt eine Erinnerung zog – es war der rechte Ort für sein Vorhaben.

Die mit so fieberhafter Spannung erwartete Nachricht war endlich eingetroffen: kern Brief, nur einige Zeilen, ohne Anrede und mit der Unterschrift „Egon, Fürst Adelsberg“ – aber in diesen kurzen Zeilen lag für den, der sie empfing, die Vernichtung. Für immer ausgestoßen und geächtet, auch von dem Freunde gerichtet, ohne auch nur gehört zu werden – das Verhängniß erfüllte sich furchtbar an dem Sohne Zalikas!

Das Krachen eines mächtigen Astes, der unter dem Drucke des Sturmes brach und dann sausend niederstürzte, weckte Hartmut aus seinem dumpfen Brüten. Er war nicht einmal aufgefahren dabei, sondern wandte nur langsam den Kopf nach der schweren Last, die dicht neben ihm niederfiel; nur einen Fuß breit seitwärts, dann hätte sie ihn getroffen und vielleicht in einem Augenblick all der Schmach und Qual ein Ende gemacht; aber so leicht ging es nicht mit dem Sterben. Solch ein Geschick traf nur den, der das Leben liebte, – wer es von sich werfen wollte, der mußte das schon mit eigener Hand thun!

Hartmut nahm seine Flinte von der Schulter und stellte sie mit dem Kolben auf den Boden; dann legte er die Hand auf die Brust, um die geeignete Stelle zu suchen. Noch einmal blickte er hinauf zu dem umschleierten Himmel mit den gährenden Wolkenmassen und hinab zu dem kleinen dunklen Waldsee mit der trügerischen Wiese, über deren Moorgrund sich die Nebel zusammenballten wie einst in der Heimath. Dort waren sie ihm erschienen, die lockenden, winkenden Irrlichter, er war den Flammenzeichen der Tiefe gefolgt, und nun zogen sie ihn rettungslos hinab, nun gab es kein Aufsteigen mehr zu der Höhe, wo andere, lichte Zeichen strahlten. Ein Schuß in das Herz, und alles war zu Ende!

Er wollte die Flinte ansetzen, da hörte er seinen Namen rufen, aber es war ein Ruf der Todesangst, eine schlanke Gestalt in dunklem Regenmantel stürmte vom Waldesrande her auf ihn zu, und die Waffe entfiel seinen Händen, denn er sah in das Antlitz Adelheids, die, an allen Gliedern bebend, vor ihm stand.

Es vergingen Minuten, ohne daß eines der beiden sprach. Hartmut war es, der sich zuerst faßte.

„Sie hier, gnädige Frau?“ fragte er mit erzwungener Ruhe. „Sie sind bei diesem Unwetter im Walde?“

Die junge Frau blickte auf die Waffe nieder, die zu ihren Füßen lag, und schauderte zusammen.

„Die Frage möchte ich an Sie richten,“ erwiderte sie.

„Ich war auf der Jagd, aber es ist kein Wetter heute zum Jagen, und ich wollte eben meine Flinte entladen, um –“

Er vollendete nicht, denn der schmerzlich vorwurfsvolle Blick, der ihn traf, sagte ihm, daß die Lüge hier umsonst war, – er brach ab und sah finster vor sich nieder. Auch Adelheid gab es auf, die Unwissende zu spielen, in ihrer Stimme bebte noch die ganze Todesangst, als sie rief: „Herr von Falkenried – allmächtiger Gott, was wollten Sie thun?“

„Was jetzt vollbracht wäre ohne Ihre Dazwischenkunft,“ sagte Hartmut herb. „Und glauben Sie mir, gnädige Frau, es wäre besser gewesen, wenn der Zufall Sie fünf Minuten später hergeführt hätte.“

„Es war kein Zufall! Ich war in der Rodecker Försterei und hörte, daß Sie schon seit Stunden fort seien; da trieb mich eine entsetzliche Ahnung, Ihnen zu folgen und Sie hier zu suchen, ich hatte beinahe die Gewißheit, daß ich Sie an dieser Stelle finden würde.“

„Sie suchten mich? Mich, Ada?“ Seine Stimme wogte stürmisch auf bei der Frage. „Woher wußten Sie denn, daß ich in der Försterei war?“

„Durch den Fürsten Adelsberg, der heute vormittag bei mir war. Sie haben einen Brief von ihm erhalten?“

„Nein, nur eine Nachricht,“ entgegnete Hartmut mit zuckenden Lippen. „In den kurzen Zeilen war auch nicht ein einziges Wort an mich persönlich gerichtet, sie brachten mir im Geschäftston eine Mittheilung, die der Fürst für nothwendig hielt – ich verstand sie vollkommen.“

Adelheid schwieg; sie hatte es ja gewußt, daß ihn das in den Tod treiben würde. Langsam trat sie mit ihm in den Schutz der Bäume, denn es war kaum möglich, sich auf der freien Höhe zu behaupten in diesem Sturmestoben; nur Hartmut schien das nicht zu empfinden.

„Sie kennen den Inhalt jenes Schreibens, ich sehe es,“ begann er wieder, „und fremd ist er Ihnen überhaupt nicht. Sie wußten ja, was damals in Rodeck geschehen ist; aber glauben Sie mir, Ada, was ich empfand in dem Augenblick, als Sie vor mir standen in dem geisterhaften Schimmer, der jene furchtbare Nacht durchstrahlte, als es mir klar wurde, daß ich vor Ihnen in den Staub niedergeworfen war – das hätte selbst meinen Vater befriedigt, das hat alles gerächt, was ich je an ihm gesündigt habe.“

„Sie thun ihm unrecht,“ entgegnete die junge Frau ernst. „Sie sahen ihn nur in der starren, eisernen Unerbittlichkeit, mit der er Sie von sich stieß. Ich sah ihn anders, als ich nach Ihrem Verschwinden zu ihm kam. Da brach er zusammen in wildem Schmerz, da ließ er mich einen Blick thun in das Herz eines verzweifelten Vaters, der seinen Sohn über alles geliebt hat. Haben Sie seitdem keinen Versuch gemacht, ihn zu überzeugen?“

„Nein, er würde mir so wenig glauben wie Egon. Wer einmal sein Wort gebrochen, der hat den Glauben verwirkt, und wenn er ihn mit seinem Leben zurückerkaufen möchte. Vielleicht hätte mein Tod auf dem Schlachtfelde ihm und Egon die Augen geöffnet; wenn ich jetzt falle durch eigene Hand, so werden sie nur die Verzweiflungsthat eines Schuldigen darin sehen und werden mich noch im Grabe verachten!“

„Nicht alle!“ sagte Adelheid leise. „Ich glaube an Sie, Hartmut, trotz alledem!“

Er sah sie an, und mitten durch die düstere Hoffnungslosigkeit seiner Seele flammte etwas auf von der alten Gluth.

„Sie, Ada? Und das sagen Sie mir an dieser Stelle, wo Sie mich verwarfen? Damals wußten Sie noch nichts –“

„Und eben deshalb graute mir vor dem Manne, dem nichts heilig war, der kein Gesetz kannte als seinen Willen und seine Leidenschaft; aber jene Winternacht, da ich Sie zu den Füßen Ihres Vaters sah, zeigte mir, daß Sie mehr einem Verhängniß als einer Schuld erlagen. Seitdem weiß ich, daß Sie das unselige Erbtheil der Mutter von sich werfen können und müssen. Raffen Sie sich auf, Hartmut! Der Weg, den ich Ihnen damals zeigte, ist noch offen, ob er zum Leben oder zum Tode führt – er führt aufwärts.“

Hartmut schüttelte finster das Haupt.

„Nein, das ist vorbei! Sie ahnen nicht, was mein Vater mir angethan hat mit jenen furchtbaren Worten, was mein Leben seitdem gewesen ist. Ich – lassen Sie mich schweigen darüber, das begreift ja niemand, aber ich danke Ihnen für Ihren Glauben an mich, Ada – damit gehe ich leichter in den Tod!“

Die junge Frau machte eine rasche, angstvolle Bewegung nach der Waffe, die noch zu seinen Füßen lag.

„Um Gotteswillen! Nein, das dürfen Sie nicht!“

„Was soll ich denn noch im Leben!“ stieß Hartmut mit furchtbarer Heftigkeit hervor. „Meine Mutter hat mir ja ein Brandmal aufgedrückt, mit dem ich gezeichnet bin wie mit einem glühenden Eisen, und das schließt mir jeden Weg zur Sühne, zur Rettung. Ich bin geächtet, ausgestoßen aus den Reihen meines Volkes, wo selbst der ärmste Bauer kämpfen darf; das Recht, das man nur dem ehrlosen Verbrecher weigert, wird mir versagt, denn ich bin nichts anderes in Egons Augen. Er fürchtet ja, daß ich auch an meinen eigenen Brüdern zum Verräther, zum – Spion werden könnte!“

Er schlug außer sich beide Hände vor das Antlitz und das letzte Wort erstarb in einem Stöhnen. Da fühlte er, wie eine andere Hand sich leise auf seinen Arm legte.

„Das Brandmal erlischt mit dem Namen Rojanow. Werfen Sie ihn von sich, Hartmut! Ich bringe Ihnen, was Sie vergebens zu erreichen suchten – den Eintritt in das Heer!“

Hartmut fuhr auf und blickte sie mit ungläubigem Staunen an.

„Unmöglich! Wie können Sie –?“

„Nehmen Sie diese Papiere,“ unterbrach ihn Adelheid, indem sie eine Brieftasche hervorzog. „Sie lauten auf Joseph Tanner, neunundzwanzig Jahre alt, schlank, mit dunkler Gesichtsfarbe, schwarzen Haaren und Augen. Sie sehen, es trifft alles zu – darauf hin wird man einem Freiwilligen den Eintritt nicht weigern.“

Sie reichte ihm die Tasche, um die sich seine Rechte mit krampfhaftem Griffe schloß, als sei es der kostbarste Schatz.

„Und diese Papiere?“ fragte er, noch immer zweifelnd.

„Gehören einem Todten! Sie wurden mir freilich zu einem

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