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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

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Das Passionsspiel zu Oberammergau.

Schilderung von Max Haushofer. Mit Zeichnungen von Fritz Bergen.

Dem höchsten Gipfel des Deutschen Reiches, der weit ins Land hinaus grüßenden Zugspitze, liegt eine ausgedehnte waldreiche Berglandschaft vorgelagert, aus welcher ein klargrüner Alpenfluß, die Amper oder Ammer, in zahllosen Windungen durch unbeschreiblich einsame Waldthäler hinausfließt in die weite Spiegelfläche des Ammersees. Während andere Alpenströme neben sich Raum lassen für verkehrsreiche Straßen und belebte Ortschaften, ist das Ammerthal auf meilenlange Strecken eigentlich nur menschenleere Waldschlucht. Erst in seinem oberen Theile öffnen sich weite grünende Wiesenflächen, in welchen die Ortschaften Unter-, und Oberammergau und Graswang liegen, überragt von mattenreichen waldgekrönten Bergen. Der Zugang zu diesem Thalboden führt aber nicht durch das untere Thal des Flusses, sondern aus dem benachbarten breiten Loisachthale her über ein bewaldetes Joch.

Von den Ortschaften dieses Thalbodens hat sich das Dorf Oberammergau einen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigenden Ruf erworben als Heimstätte des großartigsten Volksschauspiels.

Oberammergau liegt dort im Ammerthale, wo dessen Landschaft aus den Hochalpen in die Vorberge übergeht. So sieht man nach Süden zu, thaleinwärts, schon recht ansehnliche felsige Berge; nach Norden aber wird die Gegend zur harmlosen Hügellandschaft. Die Lage ist immerhin schon so gebirgig, daß der rauhe und lange Winter nur spärlichen Landbau gestattet. So waren die Ammergauer genöthigt, sich nach einem Nebenerwerb umzusehen, der ihnen das Wenige, was von der rauhen Bergnatur geboten ward, ergänzen sollte. Sie fanden einen solchen Nebenerwerb in der Holzschnitzerei, welche sie seit etwa hundert Jahren zu achtbarer Höhe brachten. Fast in jedem Hause sieht man Schnitzerwerkstätten. Die erste Anregung zur Ammergauer Holzindustrie sollen übrigens schon im zwölften Jahrhundert die Mönche eines benachbarten Stiftes gegeben haben. Eine besondere Ausbildung hat auch in der That das Schnitzen größerer Holzfiguren für kirchliche und weltliche Zwecke gefunden; daneben werden Kinderspielsachen, Möbel und Nippzeug gefertigt. Ehedem gingen die Schnitzer selbst mit ihrer Ware hausirend im Lande umher; jetzt lassen sie sich den Absatz von einigen größeren Verlegern besorgen.

Der künstlerische Zug, den die Bevölkerung des Ortes dadurch erhielt, äußert sich indessen in der Bauweise des Dorfes nur wenig. Schön geschnitzte Holzarchitektur findet man nicht; dafür sind die Häuserfronten mitunter ganz artig bemalt, wie z. B. das Haus des Bürgermeisters, das unsere Abbildung zeigt.

Einen weit glänzenderen Ausdruck hat dieser künstlerische Zug in dem Passionsspiele gefunden, welches während der letzten Jahrzehnte wirklich zu einer Weltberühmtheit geworden ist.

Das Ammergauer Passionsspiel ist eine ganz einzig in ihrer Art dastehende Erscheinung der Kulturgeschichte, eine gleichzeitige Betätigung religiöser und künstlerischer Triebe aus des Volkes breitester Schicht heraus. Die Entwickelungsgeschichte dieses Spiels hängt zusammen mit den schon im frühen Mittelalter in den christlichen Ländern üblichen geistlichen Schauspielen, welche Mysterien genannt wurden, da sie die Geheimnisse der christlichen Religion versinnlichen sollten. Solche geistliche Spiele wurden namentlich an hohen Kirchenfesten aufgeführt; sie waren von Geistlichen gedichtet und geleitet; ihr erhabenster und zugleich beliebtester Inhalt war das Leiden Christi. So weit später die Reformation die Geister in gährende Aufregung brachte, kamen, besonders in den Städten, diese geistlichen Schauspiele außer Brauch und erhielten sich nur in der Einsamkeit der Alpenthäler. Hier aber wurden sie zu einer Art Laiengottesdienst, bei welchem in einer der kindlichen Weltanschauung des Alpenvolks trefflich entsprechenden Mischung religiöse Erbauung, künstlerische Anregung und sittsame Unterhaltung sich vereinigten. Während die Greuel des Dreißigjährigen Krieges unser

Das Haus des Bürgermeisters.
Mit Fresken, Christus vor Pilatus darstellend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_397.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2021)