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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Er hat mich zerschmettert mit seiner Verachtung, mit den furchtbaren Worten, die er mir in das Antlitz schleuderte. Das war es, was mich forttrieb aus Deutschland, was mich ruhelos von Ort zu Ort jagte! Aber seine Worte gingen mit mir und schufen mir das Leben zur Hölle. Ich habe den Kriegsruf wie eine Erlösung begrüßt, ich wollte kämpfen für das Vaterland, das ich einst von mir stieß, und nun schließt sich mir die Thür, die sich allen, allen öffnet. Egon, Du wendest Dich ab? Nun, dann bleibt mir nur noch ein Weg!“

Er wandte sich mit einer jähen, verzweiflungsvollen Bewegung nach dem Tische, wo die Pistolen des Fürsten lagen, aber dieser stürzte auf ihn zu und riß ihn zurück.

„Hartmut! Bist Du wahnsinnig?“

„Vielleicht werde ich es noch! Ihr foltert mich ja alle bis zum Wahnsinn!“

Es lag eine grenzenlose Verzweiflung in den Worten. Auch Egon war bleich geworden und seine Stimme bebte, als er sagte:

„Ehe es dahin kommen soll – ich werde versuchen, Dir Aufnahme bei einem Regimente zu verschaffen!“

„Endlich! Ich danke Dir!“

„Versprechen kann ich Dir allerdings nichts, denn der Herzog muß jetzt gänzlich aus dem Spiel bleiben, da er nichts erfahren darf. Er geht auch morgen schon nach dem Kriegsschauplatz ab. Vernimmt er später, daß Du in seiner Armee dienst, so sind wir mitten im Sturm des Krieges, und einer vollendeten Thatsache gegenüber fragt man nicht so eingehend nach dem Wie und Warum. Aber es wird immerhin einige Tage dauern, ehe die Entscheidung erfolgt – willst Du so lange mein Gast sein?“

Der junge Fürst hätte das sonst als selbstverständlich angenommen und wäre außer sich gewesen bei einer Weigerung seines Freundes; jetzt fragte er, und Hartmut fühlte, was in dieser Frage lag.

„Nein, ich bleibe überhaupt nicht in der Stadt,“ versetzte er. „Ich gehe zu dem Rodecker Förster und bitte Dich, mir dorthin Nachricht zu senden, in wenigen Stunden kann ich ja wieder hier sein.“

„Wie Du willst. Du gehst also nicht nach dem Schlosse?“

Hartmut sah ihn mit einem langen, schmerzlichen Blicke an.

„Nein, in die Försterei. Leb’ wohl, Egon!“

„Leb’ wohl!“

Sie schieden, ohne Händedruck, ohne ein ferneres Abschiedswort, und als die Thür hinter ihm zufiel, da wußte es auch Hartmut, daß er den Freund verloren, der ihn bis dahin vergöttert hatte. Auch hier verurtheilt und ausgestoßen – er mußte sie furchtbar büßen, die alte Schuld!



Plauderstündchen.
Nach einem Gemälde von Fr. Prölß.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

Ueber dem „Walde“ lag ein düsterer, wolkenumschleierter Himmel, der von Zeit zu Zeit einen Regenschauer herabsandte. An den Höhen hingen graue Nebel und in den Baumwipfeln brauste der Sturm. Es war ein herbstlich rauher Tag, mitten im Hochsommer.

In Ostwalden war die Schloßherrin jetzt allein; sie hatte von ihrem Bruder die Nachricht erhalten, daß er sich bereits auf dem Marsche befinde und daß das geplante Wiedersehen der Geschwister unterbleiben müsse. Adelheid hatte infolgedessen ihre Abreise nach Berlin verschoben, um noch der Trauung Willibalds und Mariettas beizuwohnen, die in aller Stille und nur in Gegenwart der nächsten Verwandten stattfand. Unmittelbar darauf war das neue Ehepaar nach Berlin gereist, wo Willy sofort in sein Regiment eintreten mußte; seine junge Frau wollte die wenigen Tage bis zum Ausmarsch noch in seiner Nähe bleiben und dann nach Burgsdorf gehen, wo sich ihre Schwiegermutter bereits befand.

Es war in den Vormittagsstunden, als Fürst Adelsberg am Schlosse von Ostwalden vorfuhr. Er war für heute beurlaubt worden, um noch einiges „Nothwendige“ zu ordnen, aber diese Nothwendigkeit führte ihn nicht nach Rodeck, sondern nach Ostwalden; er kam, um Abschied zu nehmen von Adelheid, die er seit jenem ersten Besuche nicht wiedergesehen hatte.

Als sein Wagen in den Schloßhof einbog, kam ihm der Priester des benachbarten kleinen Waldortes mit dem Sakrament und in Begleitung des Meßners entgegen. Er hatte offenbar einem Schwerkranken die letzte Oelung gespendet – eine ernste Mahnung in ernster Zeit, und der Fürst erkundigte sich beim Aussteigen sofort, wem der traurige Besuch gegolten habe. Er erfuhr, daß es einer der Beamten sei und daß die Schloßherrin augenblicklich bei dem Kranken weile, man wolle ihr aber sofort den Besuch melden.

In dem Empfangszimmer, wohin man ihn gewiesen hatte, schritt Egon unruhig auf und nieder. Er kam, um sich Gewißheit zu holen, ohne die er nicht hinausziehen zu können meinte in den Kampf auf Leben und Tod, und dieser Kampf mußte es rechtfertigen, wenn er einer Frau, die noch die Witwentrauer trug, jetzt schon mit solchen Wünschen nahte. Es sollte ja noch keine Werbung sein, nur eine Hoffnung wollte er mit sich nehmen, jene Hoffnung, die bei dem letzten Zusammensein so hell und beglückend in ihm aufgeflammt war, als Adelheid eine so warme Theilnahme bei seinem Schmerze um den fernen Freund zeigte. Er ahnte nicht, daß er sich in einem verhängnißvollen Irrthum befand.

Aber trotzdem lag ein Schatten auf den sonst so heiteren Zügen des jungen Fürsten. Es war nicht der Abschied, der ihn bekümmerte, er ging in den Kampf mit der glühenden Begeisterung, der frohen Zuversicht der Jugend, die nur von Siegen träumt und alle trüben Ahnungen weit von sich wirft. Er träumte ja überdies noch von einem künftigen Glück, das er jetzt sich sichern wollte. Da öffnete sich die Thür und Frau von Wallmoden trat ein.

„Ich bitte um Verzeihung, daß ich Sie so lange warten ließ, Durchlaucht,“ sagte sie nach der ersten Begrüßung. „Man hat es Ihnen wohl mitgetheilt, daß ich bei einem Sterbenden war.“

„Ich hörte es bei meiner Ankunft,“ versetzte Egon, der ihr entgegengeeilt war. „Ist der Fall wirklich so schwer?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_381.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)