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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Frau von Wallmoden hatte sich wieder in ihre frühere Unnahbarkeit gehüllt und ließ ihn seine Uebereilung büßen.

„Wozu denn diese feierliche Erklärung, Durchlaucht? Es waren ja nur Gerüchte, und ich begreife es ebenso vollkommen wie Ihre anderen Gutsnachbarn, daß Sie sich vorläufig noch die Freiheit Ihrer Entschlüsse wahren wollen. Doch ich glaube, wir müssen nach dem Schlosse zurückkehren; Sie sagten ja, mein Schwager Schönau sei gleichzeitig mit Ihnen gekommen, und ich möchte ihn doch begrüßen.“

Egon verneigte sich zustimmend und war gehorsam bemüht, während des Rückweges einen möglichst gleichgültigen und harmlosen Ton anzuschlagen, er sollte ja hier nichts anderes als der „Gutsnachbar“ sein. Im Schloßhofe ergriff er den ersten besten Vorwand, um sich zu verabschieden, der auch sofort angenommen wurde, jedoch nicht, ohne daß eine Einladung zum Wiederkommen hinzugefügt worden wäre, und das war für jetzt die Hauptsache.

„Verwünschte Uebereilung!“ murmelte er, als er davonsprengte. „Jetzt werde ich wieder so fern als möglich gehalten, vielleicht auf Wochen. Sobald man dieser Frau nur einen Schritt näher kommen will, starrt einem wieder das Eis entgegen. Aber –“ hier leuchtete das Antlitz des jungen Fürsten auf – „aber dies Eis beginnt doch endlich zu schmelzen, ich sah und hörte es an diesem Ton und Blick, da heißt es geduldig sein – der Preis ist es schon werth, daß man ausharrt!“

Egon von Adelsberg ahnte es nicht, daß jener Blick und Ton, auf den er seine Hoffnungen baute, einem anderen galt, und daß man nur von diesem anderen hören wollte, wenn man ihm selbst die Erlaubniß zum Wiederkommen gab.




Der Juli war erst zur Hälfte vorüber, aber die Welt, die eben noch im tiefsten Frieden zu liegen schien, wurde plötzlich aufgeschreckt aus ihrer Ruhe. Am Rhein war ein Blitz aufgeflammt, dessen grelles, unheimliches Leuchten bis zum Meere und zu den Alpen zuckte, im Westen stand schwer und drohend ein Kriegsgewitter, und bald hallte der Kriegsruf durch das ganze Land.

Auch in Süddeutschland brach es herein wie ein Sturmwind, riß die Männer aus ihren Lebenskreisen, änderte alle Verhältnisse und stürzte alle Pläne und Berechnungen um. Was vor acht Tagen noch behaglich und sicher im gewohnten Geleise dahinschritt, das wurde jetzt von diesem Sturme ergriffen und fortgerissen.

In Fürstenstein, wo die Tochter des Hauses ihre Verlobung feierte, mußte sie zugleich Abschied nehmen von ihrem Bräutigam, der zu seinem Regimente abging. In Waldhofen, wo man Willibald zu einem längeren Aufenthalt erwartete, erschien dieser plötzlich in stürmischer Eile, um Marietta wiederzusehen in den wenigen Tagen, die ihm noch bis zu seiner Einberufung vergönnt waren. In Ostwalden rüstete sich Adelheid zur Abreise, um ihren Bruder, der bereits unter den Fahnen stand, noch einmal in die Arme zu schließen. Fürst Adelsberg hatte schon auf die ersten Nachrichten hin Rodeck verlassen und war nach der Stadt geeilt, wo er gleichzeitig mit dem Herzog eintraf. Die Welt schien auf einmal ein ganz anderes Gesicht bekommen zu haben und die Menschen mit ihr.

In Waldhofen, in dem kleinen Gärtchen des Doktorhauses, stand Willibald und sprach lebhaft und eindringlich zu dem Großvater seiner Braut, der vor ihm auf der Bank saß und nicht ganz einverstanden schien mit dem, was Willy ihm auseinandersetzte.

„Aber, lieber Willy, das ist ja eine Ueberstürzung ohnegleichen,“ sagte er kopfschüttelnd. „Ihre Verlobung mit Marietta ist noch nicht einmal veröffentlicht, und jetzt wollen Sie sich Hals über Kopf trauen lassen! Was wird die Welt dazu sagen?“

„Die Welt findet alles erklärlich im Angesicht der jetzigen Verhältnisse,“ entgegnete Willibald, „und um äußere Rücksichten können wir uns überhaupt nicht kümmern. Ich muß in den Krieg, und da ist es meine Pflicht, Mariettas Zukunft zu sichern, für alle Fälle. Ich ertrage den Gedanken nicht, daß sie nach meinem Tode jemals die Bühne wieder betreten oder von der Gnade meiner Mutter abhängig sein könnte; das Vermögen, dessen Erbe ich dereinst werden sollte, ist in den Händen meiner Mutter, die ausschließlich darüber verfügt. Ich besitze nur das Majorat, das, wenn ich falle, an eine Seitenlinie übergeht, aber unser Familiengesetz sichert der Witwe des früheren Majoratsherrn ein reiches Witthum. Ich will meiner Braut, wenn es mir nicht vergönnt sein sollte, aus dem Kriege heimzukehren, wenigstens den Namen und die Lebensstellung geben, auf die sie ein Recht hat – ich kann nicht ruhig in das Feld ziehen, wenn das nicht alles zuvor geordnet ist!“

Er sprach ruhig, aber mit voller Bestimmtheit. Der blöde, unbeholfene Willibald war nicht wiederzuerkennen in diesem jungen Manne, der so klar die Verhältnisse überschaute und seine Wünsche so entschieden vertrat. Er hatte freilich eine Schule der Selbständigkeit durchgemacht in den letzten sechs Monaten, wo er ganz auf sich allein gestellt war und seine Festigkeit im Kampfe mit der Mutter fortwährend erproben mußte, und er hatte etwas gelernt in dieser Schule, das sah man. Auch sein Aeußeres erschien männlicher, vortheilhafter als sonst, er war, wie der Oberforstmeister sich ausdrückte, jetzt erst zum Menschen geworden.

Doktor Volkmar konnte sich seiner Beweisführung nicht verschließen; er wußte am besten, daß Marietta, wenn der Krieg ihr den Verlobten nahm, wieder schutzlos und mittellos dastand, und auch ihm sank eine Last vom Herzen, wenn er ihre Zukunft gesichert wußte. Er gab daher die Einwendungen auf und fragte nur:

„Was sagt Marietta dazu? Ist sie einverstanden?“

„Gewiß, wir haben das schon gestern abend, gleich nach meiner Ankunft, beschlossen. Ich sprach ihr natürlich nicht von Versorgung und Witthum, denn sie wäre außer sich gewesen, wenn ich den Fall meines Todes so ausführlich erörtert hätte, aber ich stellte ihr vor, daß sie, wenn ich verwundet werden sollte, als meine Frau sofort, ohne Umstände und Begleitung zu mir eilen und bei mir bleiben könnte, und das entschied. – Wir würden ja ohnehin nur eine stille Hochzeit gefeiert haben.“

Sein Gesicht verdüsterte sich bei den letzten Worten und der Doktor sagte seufzend:

„Jawohl, wir hätten wohl alle keine Neigung gehabt, ein großes Fest zu feiern, wenn das Brautpaar ohne den Segen der Mutter vor den Altar treten muß. Haben Sie denn auch wirklich alles versucht, Willy?“

„Alles!“ versetzte der junge Majoratsherr ernst. „Glauben Sie, daß es mir leicht wird, an einem solchen Tage meine Mutter zu entbehren? Aber sie hat mir keine Wahl gelassen, so muß ich es denn tragen. Ich werde also sofort die nöthigen Schritte thun und habe in Voraussicht dessen bereits meine Papiere mitgebracht.“

„Und Sie glauben, daß eine Verbindung in wenig Tagen möglich ist?“ fragte der Doktor zweifelnd.

„In jetziger Zeit gewiß, die Förmlichkeiten sind auf das Nothwendigste beschränkt und alle Weitläufigkeiten aufgehoben, um eine schleunige Trauung zu ermöglichen, wo es gewünscht wird. Sobald Marietta meine Frau ist, begleitet sie mich nach Berlin und bleibt dort, bis mein Regiment abgeht. Dann kehrt sie zu Ihnen zurück, bis zur Beendigung des Feldzuges.“

Volkmar stand auf und reichte ihm die Hand.

„Sie haben recht, es ist wohl das Beste unter diesen Umständen. – Nun, mein kleiner Singvogel, Du willst also wirklich so geschwind heirathen, wie Dein Bräutigam es wünscht?“

Die Frage war an Marietta gerichtet, die soeben in den Garten trat. Ihre blassen Wangen zeigten noch die Spuren von vergossenen Thränen, aber trotzdem war es ein glückseliger Ausdruck, mit dem sie in Willibalds Arme flog.

„Ich bin jede Stunde bereit, Großpapa,“ sagte sie innig. „Der Abschied wird uns leichter werden, wenn wir uns ganz angehören, und Du willigst ein, nicht wahr?“

Der alte Herr blickte halb schmerzlich, halb freudig bewegt auf das junge Paar, das sich so unmittelbar vor der Trennung noch vereinigen wollte, dann sagte er ergriffen:

„Nun, so heirathet denn in Gottesnamen! Ich gebe Euch aus dem Grunde des Herzens meinen Segen!“

Es wurde nun rasch das Nöthige besprochen. Die Trauung sollte sobald als möglich, selbstverständlich in aller Stille und Einfachheit stattfinden, und Willibald wollte noch heute nach Fürstenstein, um dem Oberforstmeister, der ihm ganz mit der alten Herzlichkeit die Wiederverlobung seiner Tochter gemeldet hatte, den eben gefaßten Entschluß mitzutheilen. Dann ging Doktor Volkmar, um einen Krankenbesuch zu machen, und Willy blieb mit seiner Braut allein. Sie hatten sich so lange nicht gesehen, und jetzt lag die Zukunft so schwer und drohend vor ihnen! Aber die nächsten Stunden und Tage gehörten ihnen noch, und in diesem Gedanken waren sie trotz alledem glücklich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_376.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)