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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Nein. aber ich weiß Eure seltene Großmuth zu schätzen.“

„Seltene Großmuth?“ wiederholte Schönau lachend. „Nun ja, es mag nicht gerade häufig vorkommen, daß die ehemalige Braut und der ehemalige Schwiegervater ein gutes Wort einlegen für den durchgegangenen Bräutigam und Schwiegersohn, damit ihm und seiner Herzallerliebsten endlich der mütterliche Segen zutheil wird. Aber wir sind nun einmal so erhaben in unseren Gesinnungen, und überdies haben wir beide eingesehen, daß der Willy eigentlich jetzt erst ein vernünftiger Mensch geworden ist, und das hat – ja, ich kann Dir nicht helfen, Regine – das hat einzig und allein die kleine Marietta zustande gebracht.“

Frau von Eschenhagen runzelte die Stirn bei dieser Bemerkung; sie fand nicht für gut, darauf zu antworten, sondern fragte in einem Tone, der deutlich verrieth, daß sie das Gespräch über diesen Gegenstand abzubrechen wünschte:

„Ist Toni angekommen? Ich erfuhr von Adelheid, daß sie in der Stadt sei, aber täglich zurückerwartet werde.“

Der Oberforstmeister, der inzwischen Platz genommen hatte, lehnte sich behaglich in seinen Stuhl zurück.

„Ja, sie ist gestern wiedergekommen – aber in doppelter Auflage. Sie hat sich nämlich jemand mitgebracht, von dem sie behauptet, er solle und müsse ihr künftiger Ehegemahl werden, und er behauptet das ebenfalls mit solcher Bestimmtheit, daß mir wirklich nichts anderes übrig blieb, als Ja und Amen zu sagen!“

„Wie? Toni ist wieder verlobt?“ fuhr Frau von Eschenhagen überrascht auf.

„Ja, diesmal machte sie das aber allein ab, ich wußte keine Silbe davon. Du weißt ja, sie hatte sich damals in den Kopf gesetzt, sie wolle nun auch ganz übermäßig geliebt werden und die nöthige Romantik dabei genießen. Das scheint Herr Lieutenant von Walldorf denn auch besorgt zu haben. Er hat, wie sie mir mit höchster Genugthuung erzählte, vor ihr auf den Knieen gelegen und erklärt, er könne nicht ohne sie leben, sie hat ihm eine ähnliche rührende Versicherung gegeben, und so weiter. Ja, Regine, es geht heutzutage nicht mehr, die Kinder noch am Gängelband zu führen, wenn sie heirathsfähig sind, sie bilden sich ein, das Heirathen sei ihre Sache allein, und da haben sie wirklich nicht so unrecht.“

Die letzte Bemerkung klang sehr anzüglich, aber Regine überhörte sie vollständig. Nachsinnend wiederholte sie:

„Walldorf? Der Name ist mir ganz fremd. Wo hat Toni denn den jungen Offizier kennengelernt?“

„Er ist ein Freund meines Sohnes, der ihn bei seinem letzten Besuche als Gast mitbrachte. Infolge dessen spann sich auch die Bekanntschaft mit seiner Mutter an, die Toni auf einige Wochen zu sich einlud, und da ist denn das Verlieben und Verloben vor sich gegangen. Ich habe im Grunde nichts dagegen einzuwenden. Hübsch ist Walldorf, lustig und bis über beide Ohren verliebt; ein wenig flott und leicht scheint er allerdings auch zu sein, aber das wird sich geben, wenn er eine vernünftige Frau bekommt. Die Musterknaben sind gar nicht mein Geschmack, die sind die allerschlimmsten, wenn sie erst einmal wild werden, das haben wir an Deinem Willy gesehen. Also wird Walldorf im Herbste seinen Abschied nehmen, denn zur Lieutenantsfrau paßt meine Tochter nicht; ich werde dem jungen Paare ein Gut kaufen, und zu Weihnachten ist die Hochzeit.“

„Das freut mich um Tonis willen,“ sagte Frau von Eschenhagen mit aufwallender Herzlichkeit. „Du nimmst mir eine Last vom Herzen mit dieser Nachricht.“

„Ist mir lieb,“ nickte der Oberforstmeister; „aber nun solltest Du meinem Beispiele folgen und einem gewissen anderen Brautpaar auch eine Last vom Herzen nehmen. Sei vernünftig, Regine, und gieb nach! Die kleine Marietta ist brav geblieben, trotzdem sie beim Theater war, alle Welt giebt ihr und ihrem Ruf das beste Zeugniß. Du brauchst Dich Deiner Schwiegertochter nicht zu schämen!“

Regine erhob sich plötzlich und stieß mit einer heftigen Bewegung ihren Stuhl zurück.

„Ich bitte Dich ein für allemal, Moritz, mich mit solchen Zumuthungen zu verschonen. Ich bleibe bei meinem Worte. Willibald kennt die Bedingung, unter der allein ich nach Burgsdorf zurückkehre; wenn er sie nicht erfüllt, bleibt es bei der Trennung.“

„Er wird sich hüten!“ meinte Schönau trocken. „Die Braut und die Hochzeit aufzugeben, nur weil sie seiner Frau Mutter nicht recht ist – solche Bedingungen erfüllt man überhaupt nicht.“

„Du drückst Dich ja recht liebenswürdig aus!“ rief Frau von Eschenhagen gereizt. „Freilich, was wißt Ihr Männer von der Sorge und Liebe einer Mutter, von der schuldigen Dankbarkeit der Kinder! Ihr seid allesammt undankbar, rücksichtslos, selbstsüchtig –“

„Oho, dergleichen Ausfälle verbitte ich mir im Namen meines Geschlechtes,“ fiel der Oberforstmeister ebenso hitzig ein. Urplötzlich aber besann er sich und lenkte ein:

„Wir haben uns seit sieben Monaten nicht gesehen, Regine, da brauchen wir uns wirklich nicht gleich am ersten Tage wieder zu zanken, das können wir spater abmachen. Lassen wir also vorläuflg Deinen widerspenstigen Majoratsherrn bei Seite und sprechen wir von uns! Wie gefällt es Dir in der Stadt? Du siehst nicht gerade sehr zufrieden aus.“

„Ich bin außerordentlich zufrieden,“ erklärte Regine mit großer Bestimmtheit. „Was mir fehlt, ist nur die Arbeit, ich bin den Müßiggang nicht gewohnt.“

„So schaffe Dir eine Thätigkeit! Es steht ja nur bei Dir, wieder an die Spitze eines großen Hauswesens zu treten –“

„Fängst Du schon wieder an?“

„Nun, ich meinte diesmal nicht Burgsdorf,“ sagte Schönau, mit seiner Reitgerte spielend. „Ich meinte nur – Du sitzest doch ganz allein in der Stadt, und ich sitze auch allein in Fürstenstein, wenn Toni heirathet – das ist sehr langweilig! Wie wäre es denn – nun, ich habe Dir das ja schon einmal auseinandergesetzt, damals wolltest Du nicht, vielleicht hast Du Dich jetzt eines Besseren besonnen – wie wäre es denn, wenn wir bei dieser doppelten Heirath das dritte Paar abgäben?“

Frau von Eschenhagen sah finster zu Boden und schüttelte den Kopf.

„Nein, Moritz, ich bin jetzt weniger als je in der Stimmung, zu heirathen!“

„Schon wieder ein Nein!“ rief der Oberforstmeister aufgebracht. „Das ist nun der zweite Korb, den Du mir giebst! Erst wolltest Du mich nicht, weil Dir Dein Sohn und Dein geliebtes Burgsdorf an das Herz gewachsen waren, jetzt, wo Du siehst, daß sie sich alle beide ohne Dich behelfen, willst Du mich wieder nicht, weil Du ‚nicht in der Stimmung‘ bist. Stimmung gehört überhaupt gar nicht zum Heirathen, nur etwas Vernunft; aber wenn man die Unvernunft und der Starrsinn in höchsteigener Person ist –“

„Du wirbst ja in einer recht schmeichelhaften Weise um mich,“ unterbrach ihn Regine, nun auch in voller Entrüstung. „Das würde eine friedliche Ehe werden, wenn Du schon als Freier so auftrittst!“

„Friedlich würde sie nicht, aber langweilig auch nicht,“ erklärte Schönau. „Ich glaube, wir hielten sie beide aus. Noch einmal, Regine – willst Du mich, oder willst Du mich nicht?“

„Nein! Ich habe keine Lust, eine Ehe ‚auszuhalten‘!“

„So laß es bleiben!“ rief der Oberforstmeister wüthend, indem er aufsprang und nach seinem Hute griff. „Wenn es Dir so großes Vergnügen macht, immer und ewig nein zu sagen, so thue es; aber Willy heirathet doch, und da thut er recht, und jetzt werde ich bei seiner Hochzeit den Brautführer machen, nur um Dich zu ärgern!“

Damit stürmte er fort, ganz außer sich über diese erneute Abweisung, und Frau von Eschenhagen blieb in einer ganz ähnlichen Stimmung zurück. Sie hatten sich richtig wieder gezankt bei dem ersten Wiedersehen und dem zweiten Korbe, sie konnten nun einmal nicht lassen von dieser freundlichen Gewohnheit. –

Inzwischen befand sich Fürst Adelsberg bei Frau von Wallmoden im Parke. Er hatte sie dringend gebeten, ihren Spaziergang nicht zu unterbrechen, und nun schritten sie beide im Schatten der mächtigen Bäume dahin, im kühlen, grünen Dämmerlicht, während draußen auf den Wiesen noch heiße Sonnengluth lag.

Egon hatte die junge Frau nicht wiedergesehen seit dem Tode ihres Gemahls; der förmliche Beileidsbesuch, den er damals abgestattet hatte, war von Eugen Stahlberg im Namen seiner Schwester angenommen worden, und gleich darauf hatten die Geschwister die Stadt verlassen. Adelheid trug selbstverständlich noch die

Witwentrauer, aber ihr Begleiter glaubte sie nie so schön gesehen

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