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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Mauerstraße, Friedrichstraße, Spandauerstraße und Schiffbauerdamm). In diesen arbeiten Dampfmaschinen mit einer Gesammt-Leistung von 8000 Pferdekräften; durch ein über den Haupttheil der Stadt verbreitetes Leitungsnetz von etwa 150 Kilometern Länge werden jetzt schon 90000 Lampen, jede zu 16 Kerzen, gespeist.

Sinnreich ist die Vorrichtung für die Verbrauchsberechnung. In der Wohnung eines jeden Abnehmers sind nämlich zwei durch Gewichte getriebene Uhren aufgestellt, von denen nur eine mit der Leitung in Verbindung steht; der Gang dieses Werkes wird nun durch elektromagnetische Anziehung während der Arbeitsleistung aufgehalten und verlangsamt, so daß sich später aus dem Unterschiede der Zeigerstellung beider Uhren die verbrauchte Elektricitätsmenge berechnen läßt.

Den mächtig aufstrebenden Berliner Elektricitätswerken ist die Lösung großer Aufgaben vorbehalten, denn wir stehen erst am Anfange einer neuen Zeit, und ein Blick in die Zukunft scheint uns eine Märchenwelt zu öffnen. Läßt sich doch der an seinem Ziel angekommene Strom nicht allein in Licht, sondern auch in Bewegung umsetzen, so daß damit der Menschheit eine neue unversiegliche Kraftquelle erschlossen ist! Bei der Kraftübertragung, einem wichtigen Zweige der Elektricitätsverwendung, wird durch den Strom eine sogenannte sekundäre Dynamomaschine, ein Elektromotor, in Drehung versetzt und als Arbeitskraft verwendet. Die Vortheile und Bequemlichkeiten, welche diese bietet, haben ihr bereits in vielen amerikanischen Städten eine weite Verbreitung im häuslichen und gewerblichen Leben verschafft. Die Maschine, welche keine behördliche Genehmigung, sehr geringen Raum, eine geringe Fundirung und keine Rohrleitung erfordert, deren Betrieb keine Gefahr und Belästigung verursacht, die sich jederzeit von jedem Orte aus augenblicklich in oder außer Thätigkeit setzen läßt, wird in Wohnhäusern und Wirthschaftsräumen zum Betriebe von Aufzügen, Nähmaschinen, Ventilatoren, Pumpen, Wringmaschinen, Eismaschinen, Drehbänken, Bohrmaschinen, Blasebälgen, Schleifsteinen, Drucker- und Lithographenpressen, überhaupt zu allen Vorrichtungen, welche einer bewegenden Kraft bedürfen, werthvolle Verwendung finden.

Kabellegung in einer Straße Berlins.

Die Einführung elektrischer Eisenbahnen, deren Schienennetze sich jenseit des Oceans täglich weiter ausbreiten, ist für Berlin nur eine Frage der Zeit; die neue Maschine schont das Straßenpflaster, ist sparsam, beansprucht wenig Raum, trotzt allen Einflüssen der Jahreszeiten, arbeitet geräuschlos und verbraucht vom Augenblicke des Stillstandes an keine Kraft mehr. Die elektrische Eisenbahn scheint daher berufen, mit der Zeit allen anderen Verkehrsmitteln den Rang abzulaufen.

Die Wirkung der Elektricität auf Metalle und Flüssigkeiten eröffnet der Elektrotechnik und der Chemie ein unabsehbares Arbeitsfeld, Bleicherei und Färberei finden in dem elektrischen Strom einen mächtigen Förderer, Häute lassen sich in kurzer Zeit mit Hilfe der Elektricität gerben; die für die Großstadt so verhängnißvollen Abwässer können durch den elektrischen Strom zersetzt und geklärt werden. Jene wunderbare Kunst, die Galvanoplastik, welche die Aufgabe hat, Gegenstände mit einer dünnen Kupfer-, Silber-, Gold- oder anderen Metallschicht zu überziehen, wird zu erhöhter Thätigkeit angeregt.

Dem Jahrtausende alten Verfahren der Metallgewinnung durch Feuer erwächst in der Elektricität ein mächtiger Gegner, fast mühelos werden jetzt damit Metalle aus Erzen und Salzen geschieden oder behufs chemischer Untersuchung in ihre Bestandtheile zerlegt. Hochwichtig ist das von Thomson erfundene elektrische Schweißverfahren: man befestigt die zu schweißenden Metallstücke aneinander, leitet den Strom durch die Berührungsstellen, dieser erzeugt starke Glühhitze, ein Hebeldruck, und die beiden Stücke sind zu einem Ganzen verbunden. Das Verfahren eignet sich vortrefflich zur Herstellung von Kesseln ohne Naht, wodurch der Eisentechnik ein unschätzbarer Vortheil gewonnen und die Sicherheit des Dampfbetriebes erhöht wird. Durch seine überall hinzuführende Leuchtkraft, Wärmeentwickelung und wunderbare Einwirkung auf Nerven, Muskeln etc. stellt sich der dynamoelektrische Strom in den Dienst der medizinischen Wissenschaft. Radirungen, Zeichnungen etc. lassen sich mittels der Elektricität leicht und billig vervielfältigen, wodurch der Verbreitung veredelnden Kunstsinnes kräftig Vorschub geleistet wird.

Jenes „Metall der Zukunft“, das Aluminium, bewirkt in seinen nur durch den elektrischen Strom ermöglichten Verbindungen mit unedlen Metallen wahre Wunder, und fast möchte man sagen, der bisher vergeblich gesuchte Stein der Weisen sei in der Dynamo-Elektricität gefunden, denn durch das geheimnißvolle Schaffen dieser Naturkraft entstehen Rubin und Korund.

„Das Neue dringt herein mit Macht!“

Ueberwältigt von diesem Gefühl verlassen wir die Berliner Elektricitätswerke; wir sehen in ihnen den vorgeschobenen Posten einer neuen Zeit.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_367.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)