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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

meisterlich ausgeführte und ausgezeichnet erhaltene ‚Madonna im Rosenhag‘ einen viel höheren Betrag gezahlt haben würde.“

„Der Dieb muß also in gewissem Sinne Kenner gewesen sein!“

„Ohne Frage! Auf den ersten Blick hat das Bildchen so wenig Bestechendes, daß ein Laie sicherlich eine andere Wahl getroffen haben würde.“

„Und der Aufseher hat gar nichts Verdächtiges wahrgenommen?“

„Nichts, das einen Anhalt zu Nachforschungen in einer bestimmten Richtung ergeben hätte.“

„Aber man verhaftete doch noch in der Vorhalle des Museums einen Menschen, der als verdächtig bezeichnet wurde?“

„Es geschah infolge eines Mißverständnisses, dessen Aufklärung alsbald erfolgte. Eine junge Dame, welche in dem an das fragliche Kabinett anstoßenden Oberlichtsaale mit dem Kopiren eines Rubens’schen Gemäldes beschäftigt war, hatte dem Galeriediener sofort nach der Entdeckung des Diebstahls die Mittheilung gemacht, daß ihr ein armselig aussehender Mensch durch sein anscheinend zweckloses Umherstreifen und durch seine merkwürdig verstörten, irren Blicke aufgefallen sei. Der Betreffende hatte sich angeblich erst wenige Minuten früher entfernt, und die Malerin eilte darum mit dem vor Bestürzung fast sinnlosen Beamten und mit einem ganzen Haufen rasch zusammengeströmter Neugieriger in die Eingangshalle hinab. Dort sah sie wirklich den Gesuchten noch im Gespräch mit zwei anderen Museumsdienern stehen; ihr Zuruf aber, den Verdächtigen festzuhalten, wurde in der allgemeinen Aufregung auf einen andern bezogen, und ehe sich der Irrthum aufgeklärt hatte, war der zuerst Bezichtigte verschwunden.“

„Und trotzdem sind Sie der Ansicht, Herr Assessor, daß keine Spur des Diebes vorhanden sei? Erscheint denn dieser Verschwundene nicht schon um seines Verschwindens willen verdächtig genug?“

Nein! Ein Zufall hat es übernommen, ihn zu entlasten, ohne daß er selber genöthigt gewesen wäre, seine Unschuld zu betheuern. Beim Verlassen des Museums, das nach der übereinstimmenden Bekundung der beiden Thürhüter in durchaus ruhiger und unauffälliger Weise erfolgt war, hatte dieser Unbekannte das Mißgeschick gehabt, seinen Geldbeutel zu verlieren, und einer der beiden Beamten, die den Fund gemacht hatten, war ihm nachgeeilt, um ihn zurückzurufen. Wäre er nun wirklich der Dieb gewesen und hätte er das Bild also unter seinen Oberkleidern verborgen gehalten, so ist doch wohl tausend gegen eins zu wetten, daß er der Aufforderung zur Umkehr nicht ohne weiteres Folge geleistet, sondern viel eher sofort die Flucht ergriffen haben würde. Und selbst angenommen, daß er in unglaublicher Frechheit die Stirn gehabt hätte, mit seinem Raub die Innenräume des Museums noch einmal zu betreten, wie sollte er es angefangen haben, während eines minutenlangen Gespräches vor den Blicken der Galeriediener zu verheimlichen, daß er etwas unter dem Mantel versteckt halte? Die beiden Männer erklärten bei ihrer Vernehmung aufs bestimmteste, ein solches Bemühen hätte ihnen unmöglich entgehen können, und sie weisen die Vermuthung, daß der Verlierer des Geldbeutels der Dieb der van Eyckschen Madonna gewesen sei, mit aller Entschiedenheit zurück.“

„Wenn aber sein Gewissen rein war, warum hatte es der Mann denn so eilig, sich zu entfernen, als er von der Entdeckung des Diebstahls Kenntniß erhielt? Jeden andern hätte doch sicherlich schon die Neugier zurückgehalten.“

„Selbstverständlich würde auch ich mir diese Frage vorgelegt haben, wenn nicht die Aussagen der beiden erwähnten Thürhüter ihre einleuchtende Beantwortung enthalten hätten. Die Beamten hatten sich nämlich, wie dies durch die Umstände geboten war, zuvor von dem Inhalt des gefundenen Geldbeutels unterrichtet, und da derselbe nur aus zwei Fünfpfennigstücken, dem Pfandschein über eine versetzte Uhr und einem werthlosen Pferdebahnfahrschein bestand, muß es ziemlich begreiflich erscheinen, daß den Verlierer die Scham, seine Armuth geoffenbart zu sehen, zu eiligem Rückzug veranlaßte. – Trotz aller dieser Umstände indessen, welche mich bestimmen, der vermeintlichen Wahrnehmung der jungen Malerin sehr wenig Gewicht beizulegen, würde es mir von großem Werthe gewesen sein, die Persönlichkeit des Mannes festzustellen. Aber meine Bemühungen, ihn durch die Organe der Polizei ausfindig zu machen, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Des auf dem Pfandscheine angegebenen Namens vermag sich keiner der beiden Thürhüter mehr zu erinnern, und da ich einen meiner innersten Ueberzeugung nach ganz unschuldigen Menschen doch nicht steckbrieflich verfolgen lassen kann, werde ich wohl dem Zufall überlassen müssen, ob ich seine Bekanntschaft machen werde oder nicht.“

Die dröhnenden Schläge eines im Festsaal aufgestellten chinesischen Tam-Tams zeigten die Beendigung der Eßpause an, und man erhob sich eilig von den kleinen Tischen, um zu der bevorstehenden Quadrille rechtzeitig am Platze zu sein.

Auch Lothar, welcher selbst nicht zu tanzen beabsichtigte, zog sich sofort mit einer verabschiedenden Verbeugung zurück, um dem Paare, dessen Gesellschaft er so lange genossen hatte, volle Freiheit zu lassen.

Marie hätte ihn wohl jetzt gern noch durch ein freundliches Wort zurückgehalten, aber wie ihre Beziehungen sich nun einmal gestaltet hatten, wagte sie ein solches Wort nicht. In einer Schüchternheit, die ihr sonst ihm gegenüber ganz fremd gewesen war, hatte sie sogar nicht einmal den Muth, zu ihm aufzusehen, während sie am Arm des Regierungsraths in den Festsaal zurückkehrte; seine Worte aber beschäftigten ihre Gedanken auch noch unter dem Rauschen der Musik und inmitten des lauten Geschwirrs lebhafter Unterhaltung. –

Die Mazurka kam heran, und Engelbert, der sich auch nach dem Essen ausschließlich der Gräfin Hainried gewidmet hatte, ließ seine Base nicht vergeblich auf sich warten. Mit festem Drucke legte er seinen muskelschwellenden Arm um ihre schlanke Gestalt, und so kraftvoll und sicher leitete er sie durch den Wirbel der Tanzenden dahin, daß sie kaum den Boden zu berühren meinte, und daß ein Gefühl wonniger Sicherheit über sie kam. Und nachdem sie sich einige Sekunden lang schweigend dem Genusse des berauschenden Vergnügens hingegeben hatten, so Arm in Arm zu ruhen und sich gleichsam allein zu wissen inmitten des bunten, geräuschvollen Menschenschwarmes, begann Engelbert seiner Tänzerin allerlei kühne, leidenschaftliche, heißathmige Worte in das Ohr zu flüstern. Hier, wo sie ihm nicht entrinnen und ihn nicht zurückweisen konnte, sprach er zu ihr, wie er nie zuvor gesprochen hatte. Der scherzhaft übermüthige Klang, den bis dahin selbst seine Liebesversicherungen gehabt hatten, war ganz aus seiner Stimme geschwunden; er sprach ernsthaft, aber in raschen, abgebrochenen, sich überstürzenden Worten wie jemand, der aus dem Schlafe oder im Fieber redet. Er sagte, daß ihr jeder Pulsschlag seines Blutes gehöre, daß er nie eine andere geliebt habe oder lieben werde als sie, daß sie ihm zu eigen werden müsse um jeden Preis, und gelte es, eine Welt in Trümmer zu legen. Er ließ ihr nicht Zeit zu antworten oder abzuwehren. Je stürmischer er ihr Herz an dem seinigen klopfen fühlte, desto wilder schien ihn die Raserei seiner Leidenschaft zu erfassen, und Marie ließ den schrankenlosen Gluthstrom seiner Rede über sich ergehen wie einen Sturm von Naturgewalten, dem man sich beugen muß, weil es unmöglich ist, ihm zu entfliehen.

Zuletzt hämmerte und wirbelte es in ihren Schläfen ebensosehr von der Erregung, welche Engelberts Worte hervorriefen, als von der übermäßigen Anstrengung des Tanzes. Willenlos und nur durch ihres Tänzers stählerne Kraft aufrecht erhalten, lag sie in seinem Arme, ihr blondes Haupt neigte sich wie das Blüthenköpfchen einer verschmachtenden Pflanze, und sie hatte nicht einmal die Kraft, es zu erheben, als sie fühlte, wie seine brennenden Lippen einmal und noch einmal ihre Stirn streiften.

Mit einer letzten Anstrengung nur vermochte sie zu flüstern:

„Laß mich – ich bitte Dich!“ – Dann schlossen sich unwillkürlich ihre Augen, weil sich ihr plötzlich der ganze Saal in ein kreisendes und tosendes Feuermeer zu verwandeln schien.

Ihrer Bitte ungeachtet, tanzte der Dragoneroffizier wohl noch zwei Minuten lang fort; dann erst ließ er die halb Ohnmächtige aus seinem Arm in einen Sessel gleiten, und mit der Unverwüstlichkeit einer kräftigen, durch ritterliche Uebungen und soldatische Strapazen gestählten Natur forderte er eine andere Dame zum Tanze auf, ohne sich auch nur die flüchtigste Erholung zu gönnen.

Für Marie aber bedurfte es einer langen Zeit, ehe ihre raschen Athemzüge und das ungestüme Wogen ihres Blutes sich gesänftigt hatten. Sie hörte inzwischen kaum, was in ihrer Nähe gesprochen wurde, und erst als die Musik verstummt war, ließ der Klang ihres Familiennamens, der da irgendwo in der Nachbarschaft laut geworden war, ihre Theilnahme für die Vorgänge in ihrer Umgebung wieder etwas rege werden.

Mehrere Offiziere und ein Herr in bürgerlicher Kleidung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_363.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)