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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Falkenried grüßte und trat zurück – ihm war es sehr gleichgültig, ob er den Jugendfreund überhaupt wiedersah oder nicht, auch das war längst erstorben. Aber als er die Treppe wieder hinaufstieg, murmelte er doch halblaut:

„Arme Ada – sie hätte auch ein besseres Los verdient!“




In Fürstenstein ging inzwischen alles seinen gewohnten, ruhigen Gang. Willibald befand sich seit einer Woche dort. Er war allerdings zwei Tage später gekommen, als er ursprünglich beabsichtigt hatte; aber daran trug die Verletzung an seiner Hand schuld, die er sich, seiner Erklärung nach, durch eigene Unvorsichtigkeit zugezogen hatte und die jetzt bereits in voller Heilung begriffen war. Der Oberforstmeister fand, daß sein künftiger Schwiegersohn sich in der kurzen Zeit sehr zu seinem Vortheil verändert habe, daß er viel ernster und bestimmter geworden sei, und äußerte hochbefriedigt zu seiner Tochter:

„Ich glaube, der Willy fängt an, menschlich zu werden! Man merkt es auf der Stelle, wenn die Frau Mama einmal nicht an seiner Seite steht und kommandirt.“

Im übrigen hatte Herr von Schönau nicht viel Zeit, sich um das Brautpaar zu kümmern, da er gerade jetzt mit Amtsgeschäften überhäuft war. Der Herzog hatte bei seinem Aufenthalt in Fürstenstein allerlei Aenderungen und Neuerungen in der Forstverwaltung angeordnet, auf die Vorschläge des Oberforstmeisters selbst, und dieser war nun mit vollem Eifer dabei, das alles vorzubereiten und auszuführen. Er sah und hörte es ja täglich, daß Antonie sich mit ihrem Bräutigam im besten Einvernehmen befand, daher überließ er die beiden meistentheils sich selber.

Inzwischen war in Waldhofen im Hause des Doktors Volkmar Angst und Sorge eingezogen. Die Krankheit des Doktors, die anfangs zu keinen Besorgnissen Anlaß gegeben hatte, nahm plötzlich eine sehr gefährliche Wendung, und bei dem Alter des Kranken erschien der Zustand mehr als bedenklich. Da er dringend nach seiner Enkelin verlangte, so wurde sie telegraphisch herbeigerufen; sie hatte auch sofort den erbetenen Urlaub erhalten, ihre Rolle in „Arivana“ wurde anderweitig besetzt, und sie selbst eilte unverzüglich nach Waldhofen.

Bei dieser Gelegenheit nun zeigte Antonie eine wahrhaft rührende Anhänglichkeit an die Jugendfreundin. Tag für Tag ging sie nach dem Volkmarschen Hause, um Marietta, die mit ganzer Seele an ihrem Großvater hing, zu trösten und aufzurichten. Willibald schien zu diesen Tröstungen gleichfalls nothwendig zu sein, denn er ging regelmäßig mit, und der Oberforstmeister fand es natürlich, daß man sich des „armen kleinen Dinges“ nach Kräften annahm, um so mehr, als es in seinem Hause eine unverschuldete Kränkung erlitten hatte, die er noch heute seiner Schwägerin nicht vergeben konnte.

Endlich, nach drei bangen Tagen und Nächten, siegte die kräftige Natur Volkmars, die Gefahr war gehoben und sichere Hoffnung auf Genesung vorhanden. Herr von Schönau, der dem Doktor freundschaftlich zugethan war, freute sich aufrichtig darüber, und so schien alles wieder in bester Ordnung zu sein.

Da zog ein dräuendes Ungewitter von Norden heran. Urplötzlich, ohne jede Anmeldung erschien Frau von Eschenhagen in Fürstenstein; sie hatte sich nicht einmal Zeit genommen, in der Stadt anzuhalten, wo ihr Bruder lebte, sondern kam geradeswegs von Burgsdorf und brach nun wie ein wirkliches Ungewitter bei ihrem Schwager ein, der eben ganz behaglich in seinem Zimmer saß und die Zeitung las.

„Alle guten Geister – Du bist es, Regine!“ rief er erschrocken. „Das nenne ich eine Ueberraschung; aber Du hättest uns doch wenigstens eine Nachricht schicken können.“

„Wo ist Willibald?“ fragte Regine statt aller Antwort in einem unheilverkündenden Tone. „Ist er in Fürstenstein?“

„Natürlich, wo sollte er denn sonst sein? Er hat Dir doch seine Ankunft hier gemeldet, so viel ich weiß.“

„So laß ihn rufen – auf der Stelle!“

„Was machst Du denn eigentlich für ein Gesicht?“ fragte Schönau, der jetzt erst die Aufgeregtheit seiner Schwägerin bemerkte. „Brennt es in Burgsdorf oder was ist sonst los? Auf der Stelle kann ich Dir übrigens Deinen Willy nicht herbeischaffen, denn er ist augenblicklich in Waldhofen –“

„Bei dem Doktor Volkmar vermuthlich! Und sie ist wohl gleichfalls dort?“

„Welche ‚sie‘? Toni ist allerdings mitgegangen, sie besuchen jetzt täglich das arme kleine Ding, die Marietta, die anfangs ganz verzweifelt war. In dem Punkte habe ich übrigens noch ein Wort mit Dir zu reden, Frau Schwägerin. Wie konntest Du das Mädchen so tief kränken, noch dazu in meinem Hause? Ich habe es erst nachträglich erfahren, sonst –“

Ein lautes, grimmiges Auflachen der Frau von Eschenhagen unterbrach ihn. Sie hatte Hut und Mantel auf den ersten besten Stuhl geworfen und trat jetzt dicht vor ihren Schwager hin.

„Willst Du mir vielleicht noch Vorwürfe machen, weil ich versuchte, das Unheil abzuwehren, das Du selbst auf Dein Haus herabgezogen hast? Freilich, Du bist ja stets blind gewesen, Du hast auf meine Warnungen nicht hören wollen – jetzt ist es zu spät!“

„Ich glaube, Du bist nicht recht bei Troste, Regine,“ sagte der Oberforstmeister, der wirklich nicht wußte, was er davon denken sollte. „Wirst Du mir endlich sagen, was das alles heißen soll?“

Regine zog ein Zeitungsblatt hervor und reichte es ihm, während sie mit dem Finger auf eine Stelle deutete:

„Lies!“

Schönau begann zu lesen, und jetzt allerdings wurde auch sein Gesicht dunkelroth vor zorniger Ueberraschung. Die betreffende Stelle, die aus der süddeutschen Hauptstadt datirt war, lautete folgendermaßen:

„Wie wir erst jetzt erfahren, hat am letzten Montage in dem entlegensten Theil unserer Anlagen in früher Morgenstunde ein Pistolenduell stattgefunden. Die Gegner waren ein in der hiesigen Gesellschaft wohlbekannter Herr, Graf W., und ein junger norddeutscher Gutsbesitzer, W. v. E., der sich augenblicklich hier zum Besuch befindet bei seinem Verwandten, einer hochgestellten diplomatischen Persönlichkeit. Als Veranlassung des Streites, der zum Duell führte, wird ein Mitglied unseres Hoftheaters genannt, eine junge Sängerin, die sich übrigens des besten Rufes erfreut. Graf W. wurde an der Schulter verwundet, Herr von E. trug nur eine leichte Verletzung an der Hand davon und ist sofort abgereist.“

„Da schlage doch der Donner drein!“ brach der Oberforstmeister wüthend los. „Der Bräutigam meiner Tochter schlägt sich um Mariettas willen! Daher stammt also die Verletzung, die er mitgebracht hat, das ist ja allerliebst! Was weißt Du davon, Regine? Meine Zeitung hat die Notiz nicht gebracht.“

„Aber die meinige! Die Nachricht stammt aus einem Eurer Blätter, wie Du siehst. Gestern las ich sie und bin sofort hierhergeeilt; ich habe nicht einmal Herbert aufgesucht, der noch nichts von der Sache wissen muß, sonst hätte er mich unterrichtet.“

„Herbert kommt heute mittag,“ sagte Schönau, indem er die Zeitung heftig auf den Tisch warf. „Er ist mit Adelheid in Ostwalden und hat mir geschrieben, daß er den Rückweg über Fürstenstein nehmen und einige Stunden hier bleiben werde. Möglicherweise kommt er deswegen, aber das ändert nichts an der Geschichte selbst. Ist der Junge, der Willy, denn toll geworden?“

„Ja, das ist er!“ fiel Frau von Eschenhagen mit der gleichen Empörung ein. „Du hast mich ja verspottet, Moritz, als ich es Dir vorhielt, daß Du Dein Kind nicht dem Umgange einer Komödiantin preisgeben dürftest. Daß die Sache eine solche Wendung nehmen könnte, ahnte ich allerdings nicht, bis zu dem Augenblick, wo ich entdeckte, daß Willy, daß mein Sohn, verliebt war in diese Marietta Volkmar. Ich entriß ihn augenblicklich der Gefahr und kehrte mit ihm nach Burgsdorf zurück, das war der Grund unserer plötzlichen Abreise, den ich Dir verschwieg, weil ich Willys Zustand für eine flüchtige Verirrung hielt. Der Junge schien ja auch vollständig wieder zur Vernunft gekommen zu sein, sonst hätte ich die neue Reise nicht zugegeben, und der Sicherheit wegen stellte ich ihn unter den Schutz meines Bruders. Er kann nicht länger als drei oder vier Tage in der Stadt gewesen sein, und nun müssen wir das erleben!“

Sie warf sich ganz erschöpft in einen Lehnstuhl, der Oberforstmeister dagegen begann stürmisch im Zimmer auf und nieder zu schreiten.

„Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste!“ rief er. „Das Aergste ist die Komödie, die der Junge mir und seiner Braut hier vorgespielt hat. Da läuft mein armes Kind Tag für Tag nach Waldhofen und tröstet und hilft, wie es nur weiß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_346.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)