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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

hinüber nach der benachbarten Riedenburg und wieder zurück reite und zuerst wieder auf Prunn eintreffe, der solle das Bergschloß haben. Dem zweiten war das Schloß im Thale, dem dritten eine Geldabfindung zugesichert. Der Jüngste mit seinem Schimmel gewann das Schloß, und zum Dank ließ er sein flinkes Roß auf der Wand des Herrenhauses abkonterfeien.

So die Sage. Der nüchterne Heraldiker freilich sagt uns einfach: der Schimmel im rothen Felde ist das Wappen der Frauenberger. =     

Ein armloser Künstler. (Mit Abbildungen.) Im Wintergarten des Centralhotels in Berlin trat in den letzten Monaten ein deutscher Künstler mit Namen C. H. Unthan auf, der durch seine Vorführungen gerechtes Aufsehen erregte. Der Künstler verdient schon deshalb genannt und in weiten Kreisen bekannt zu werden, weil er als leuchtendes Beispiel dasteht, wie weit es ein Mensch durch Ausdauer und Thatkraft selbst dann zu bringen vermag, wenn es die Natur unterlassen hat, ihn mit denjenigen Rüstzeugen auszustatten, welche sie dem regelrecht gebauten Menschen zur Ausübung seines Lebensberufes mitgiebt. Unthan wurde ohne Arme geboren, aber er hat sich auch ohne dieselben zu einem nützlichen Mitgliede der Menschheit ausgebildet, das sich sein Brot durch eigene Kraft und anerlernte Fähigkeiten ehrenvoll zu erwerben versteht und mit seinen Füßen vollkommen das auszuführen imstande ist, was sonst ein anderer mit den Armen leistet. „Als ich,“ so erzählt ein Mitarbeiter unseres Blattes, „mich in das Hotel begab, um die Bekanntschaft des Künstlers zu machen, traf ich ihn auf dem Flur. Er kehrte mit mir um, öffnete mit der Schulter die Thür seines Zimmers, und ein paar Minuten später saßen wir uns – er die entblößten Füße auf den Tisch legend – einander gegenüber. Die Füße bewegte er nun so wie ein anderer Mensch die Arme, vielleicht etwas lebhafter, denn die Zehen waren meistens in einer unruhigen Bewegung, und mehrmals berührte er, einen Kitzel verspürend, die Nase, oder schlug, seine Worte bekräftigend und eine erstaunliche Gelenkigkeit an den Tag legend, mit dem rechten Fuß auf das linke Bein. Als im Laufe des langdauernden und anregenden Gespräches die Rede auf Politik kam, ergriff Unthan eine auf dem Tisch liegende Zeitung, die er mit dem großen und dem Nebenzeh erfaßte, und später entkorkte er eine Fl[as]che Wein und schenkte sich ein.“ Wie eine Eiche fest auf einem Bein stehend, besorgt er mit dem andern alle Verrichtungen, und so wenig die Hände eines Menschen das Bedürfniß fühlen, sich im Hause zu bedecken, so wenig spürt Unthan Kälte oder Unbehagen an den Füßen. Wenn er umhergeht, bedeckt diese ein handschuhartiger Strumpf, über den wiederum ein Schuh gezogen ist. Wenn er beispielsweise eine Thürklingel zu ziehen hat, streift er den Schuh ab, erhebt das Bein und zieht an der Glocke wie ein anderer mit der Hand. Es sei noch hinzugefügt, daß Unthan, der einen kraftvollen Körper hat und z. B. im Schwimmen geradezu Großartiges leistet, in glücklichster Ehe lebt. Seine junge Frau, eine Böhmin, überrascht wie er selbst durch aufgeweckten Verstand. Fortwährend ist Unthan, der mehrere Sprachen vollkommen beherrscht, darauf bedacht, sich geistig anzuregen und künstlerisch weiterzubilden.

Der Fußkünstler Unthan.
Nach einer Photographie von Hofphotograph J. C. Schaarwächter in Berlin.

Bei seinen Vorführungen, zu denen die ersten medizinischen Fachleute Berlins herbeieilen, erregt namentlich sein hervorragendes Schießtalent Erstaunen; er entfernt z. B. mit einer Kugel einen in einem Glascylinder sitzenden Pfropfen und trifft mit einer Sicherheit ins Schwarze, die nur wenige gute Schützen an den Tag legen. Er musiciert auch, spielt die Geige und bläst Cornet à Piston wie ein Künstler, und seine Erholungsstunden füllt er gern mit einem Kartenspiel aus.

Im Jahre 1869 ging Unthan auf Kunstreisen, wurde 1870 aus Paris ausgewiesen, wandte sich nach England und blieb dort bis 1872, in welchem Jahr er seinen Vater verlor. Von 1872–73 rastete er bei seiner Mutter in Ostpreußen, bereiste sodann Nord- und Südamerika, wobei er die im Innern Mexikos liegenden Städte zu Pferde – Unthan reitet und fährt so ausgezeichnet, daß er wiederholt Wettsiege errungen hat – erreichte. Im Staate Colima wurde er in die Revolution hereingezogen, rettete sich aber sowohl hier wie bei dem Brande von Iquique im Herbst 1875, wo er allerdings nur mit dem nackten Leben davon kam. Aber der thatkräftige Mann fand doch Gelegenheit, seinem Impresario die Kasse aus dem Feuer zu holen, wurde dafür von diesem neu ausgerüstet und überstieg nun, mit Gerstäckers Führer, auf einem Maulthier die Anden von Valparaiso bis Mendoza in 9 Tagen. Dann gings nach Buenos-Ayres. Bis zu diesem Zeitpunkte war Unthan nur mit der Geige aufgetreten, von da aber nahm er auch anderes inzwischen Erlerntes in seine Vorstellungen auf. Vom Jahre 1877 ab, nachdem er infolge einer edelmüthigen That sich drüben noch das gelbe Fieber zugezogen hatte, bereiste Unthan Europa und siedelte endlich dauernd nach Prag über, von wo aus er nun seine Kunstreisen unternimmt.

Der Fußkünstler Unthan.
Nach einer Photographie von Hofphotograph J. C. Schaarwächter in Berlin.

Menageriekinder. (Zu dem Bilde S. 269.) Das ist ein Bild aus dem Leben, von dem Künstler in einer Menagerie, die er in Slavonien sah, gemalt. Alle sind Menageriesprößlinge: der Löwe, die Affen, das Kaninchen, das lockenköpfige Kind, und alle gute Freunde, aber auch alle noch jugendlich und deshalb selbst der gefährlich aussehende Löwe harmlos. „Veränderte der letztere,“ so erzählt der Maler, „beim ‚Modellsitzen‘ seine Stellung, so zog ich ihn bei den Ohren selbst wieder herum.“ Er war drei Monate alt und ließ geduldig sogar die Belästigungen der überaus lebhaften Affen über sich ergehen. Die große Jugend des Thieres ließ es aber auch allein möglich erscheinen, das wehrlose Kind ohne Gefahr in seine Nähe zu bringen; die bösartige Natur des jungen Löwen pflegt bald zum Durchbruch zu kommen, und hätte derselbe statt dreier Monate deren mehr als sechs gezählt, so dürfte es dem Künstler schwerlich mehr vergönnt gewesen sein, diese seltsame Gruppe von Menageriekindern nach der Natur zu malen und die heranwachsende königliche Majestät ungestraft bei den Ohren herumzuziehen. **     

Adolf Wilbrandts „Neue Gedichte“, die soeben im Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung Nachfolger zu Stuttgart erschienen sind, werden überall willkommen geheißen werden; denn unter den Charakterköpfen des neuen deutschen Parnasses nimmt derjenige Wilbrandts durch seinen geistvollen Ausdruck und seinen idealen Schwung einen hervorragenden Rang ein. Wilbrandt ist jeder Zoll ein Dichter, wenn ihm auch das eigentliche stimmungsvolle Lied ferner liegt; aber eine tiefe, in breiterem Strom einherfluthende Empfindung ist ihm eigen, ebenso sinnige Lebensanschauung, Gedankenreichthum und hinreißender Schwung. Den größeren Gedichten, in denen diese Hochfluth der Gedanken hin- und herwogt, möchten wir den Vorzug geben vor den mehr liederartigen, obschon sich auch unter diesen einzelne von sehr glücklichem Wurf befinden. So ist reizend das Gedicht: „Winterfrühling“.

„Der Winter warf den Pelz beiseit’,
Der Schnee aus seinen Locken schwand;
Er schreitet in des Frühlings Kleid
Schalmeiend durch das Land.

Es dehnt der Wald sich, träumerisch,
Verwundert lauschen Busch und Baum;
Der Vogel pfeift, der stumme Fisch
Träumt seinen Frühlingstraum.

Märzveilchen steigt aus dem Wiegengrab; –
Und du, mein Herz! was rührt dich an?
Was hebst du deinen Wanderstab?
Was strebst du himmelan?

Ein leiser Wind im letzten Laub,
Ein süßer Ton vom ersten Lied; –
Ist’s Blüthenschnee, ist’s Blumenstaub,
Was durch die Lüfte zieht?

Der alte Winter lacht von fern.
‚Kein Blüthenschnee! Doch ja, es schneit.
Begrubt ihr schon den alten Herrn?
Noch sind wir nicht so weit!‘“

Auch unter den kleinen Sprüchen finden sich einzelne recht artige und sinnvolle:

     „Die Freude.
Tod, Alter, Sorge wollen nicht
Gebeten sein.

Die Freude harrt, im Schleier dicht,
Auf dein ‚Herein!‘“


     „Resignation.
Du hast ‚gelebt, gestrebt, geliebt‘ –
Das heißt: du hast des Daseins Fluth durchschwommen,
Hast festen Muths im Schwimmen dich geübt,
Ans Ufer bist du nie gekommen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_290.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)