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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

wohnt. Er tyrannisiert mich und Herrn Rojanow förmlich, ich habe wirklich schon daran gedacht, ihn zur Ruhe zu setzen.“

Er dachte natürlich nicht im Traume daran. Seine Durchlaucht hätten sich gehütet, dem Peter Stadinger einen solchen Vorschlag zu machen, und wären auch übel damit gefahren; aber Prinzessin Sophie, die in dem Rufe stand, sehr hochmüthig und unnachsichtig gegen ihre Diener zu sein, huldigte diesmal einer sehr milden Auffassung.

„Das sollten Sie unterlassen,“ bemerkte sie. „Einem Manne, der schon der dritten Generation der fürstlichen Familie dient, kann man immerhin etwas nachsehen, besonders im Angesicht der doch etwas genialen Wirthschaft, welche die jungen Herren da in Rodeck führen. Es scheint, man sieht dort nicht gern Gäste, sondern zieht die Einsamkeit vor.“

„Ach ja, die Einsamkeit!“ sagte Egon gefühlvoll. „Sie thut so wohl nach dem stürmischen Reiseleben und wir genießen sie in vollen Zügen. Ich beschäftige mich hauptsächlich –“

„Mit der Zähmung Ihrer wilden indischen Raubthiere,“ schaltete die Prinzessin boshaft ein.

„Nein, mit – mit meinen Reiseerinnerungen, die ich herauszugeben beabsichtige, und Hartmut dichtet schwermuthsvolle Lieder. Er hat jetzt gerade den Balladenstoff unter der Feder, auf den ihn Hoheit aufmerksam machten.“

„Wie, Herr Rojanow, haben Sie diesen Stoff wirklich benutzt?“ fragte die fürstliche Dame, deren Gesicht urplötzlich vollen Sonnenschein zeigte, als sie sich zu dem jungen Dichter wandte.

„Gewiß, Hoheit, ich bin Ihnen sehr dankbar für den Wink,“ sagte Hartmut, der keine Ahnung mehr hatte, wovon die Rede war, der aber doch merkte, daß er jetzt in Thätigkeit treten mußte.

„Das freut mich; ich liebe die Poesie und fördere sie bei jeder Gelegenheit.“

„Und mit welchem Verständniß!“ rief Egon begeistert, benutzte aber schleunigst die Gelegenheit, zu entrinnen, indem er seinen Freund als Opfer zurückließ, der denn auch einem sehr langen poetischen Gespräche standhalten mußte. Der Fürst selbst hatte sich schlenuigst wieder in die Nähe der Herzogin, das heißt zu Frau von Wallmoden begeben, wo er sich entschieden besser zu befinden schien, als bei seiner allergnädigsten Tante.

Im Frühling. Zeichnung von R. Püttner.


Nach beendigtem Frühstück wurde das Weidwerk fortgesetzt, es galt noch ein Jagen auf Hochwild, das mit erneutem Eifer begonnen wurde. Aber in den Nachmittagstunden änderte sich das bisher so sonnig klare Wetter; der Himmel umschleierte sich nach und nach völlig, dabei blieb es warm, beinahe schwül und im Westen stieg eine schwere Wolkenwand auf. Es sah aus, als bereite sich eins von den Spätgewittern vor, die in dieser Jahreszeit bisweilen über den „Wald“ hinzogen.

Die Herzogin hatte mit einem Theil ihrer Umgebung ihren Standpunkt auf einer Anhöhe genommen, die anscheinend den besten Ueberblick gewährte, bald aber nahm die Jagd eine andere, unerwartete Richtung und die Zuschauer schickten sich an, zu folgen. Dabei hatte Frau von Wallmoden einen kleinen Unfall, der Sattelgurt ihres Pferdes zerriß plötzlich, und nur die Geistesgegenwart, mit der sie rasch aus dem Bügel zur Erde sprang, bewahrte sie vor dem Falle. Die Fortsetzung des Rittes war freilich nicht möglich, denn wenn die begleitenden Diener der Dame auch ein Pferd hätten abtreten können, so war doch kein anderer Damensattel zu beschaffen. Sie mußte deshalb auf die weitere Theilnahme verzichten und wollte zu Fuß nach Bucheneck, wohin einer der Leute das Pferd führen sollte.

Adelheid hatte den Diener vorausgehen lassen und verweilte noch auf der Anhöhe, wo es still und einsam geworden war. Es schien fast, als sei ihr der Unfall willkommen gewesen, der sie der Nothwendigkeit überhob, der Jagd bis zum Schlusse beizuwohnen. Es ist ja immer eine Erleichterung, wenn man die Maske fallen lassen kann, die alle Welt täuscht, und aufathmen in der Einsamkeit, wäre es auch nur, um zu fühlen, wie schwer man an jener Maske getragen hat.

Wohin war die kalte, stolze Ruhe gekommen, mit der die junge Frau vor wenigen Monaten an der Hand ihres Gatten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_257.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)