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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Einrichtung hat das Zwischendeckshospital erhalten. - Ein wesentlicher Vorzug der großen Dampfer ist ihre ausgezeichnete Lüftung. Ueber 40 große Ventilatoren auf dem Oberdeck, wie sie auf unserer Abbildung (S. 239) ersichtlich sind, führen fortwährend Massen von frischer Luft in die unteren Räume. Die Luft- und Lichtschachte können selbst bei schlechtem Wetter offen gehalten werden; daneben sind noch mechanische Ventilatoren vorhanden, von denen jeder einzelne durch eine besondere kleine elektrische Maschine von einem durch Dampf getriebenen großen Elektricitätserzeuger in Gang gesetzt wird. So bietet denn auch in dieser Beziehung das heutige Zwischendeck selbst bei stürmischem Wetter einen erfreulichen Gegensatz zu den Höllenqualen vergangener Zeiten.

Die Hauptbequemlichkeit jedoch, auf welche die neuen Schnelldampfer mit dem stolzen „Uns kann keiner!" hinweisen dürften, liegt eben in der schnellen Fahrt begründet. Das weiß jeder, der jemals als Fahrgast das Weltmeer durchkreuzt hat. Die ersten

Telegraphie nach Achter.

Tage an Bord sind genußreich. Wie viele Stunden kann man nicht schon mit der Besichtigung der Schiffseinrichtungen angenehm und lehrreich zubringen! Dann dient als etwas schmerzlicher Zeitvertreib die Seekrankheit, gegen welche bekanntlich kein Kraut gewachsen ist; zum Glück hat sie noch nie einen Menschen das Leben gekostet und geht bald vorüber; ach, und wie prächtig ist nachher der Appetit der Genesenen! Nunmehr macht man Bekanntschaften, bei schlechtem Wetter in den Sälen, bei gutem auf dem Promenadendeck, wo sich prächtig wandeln, plaudern, beobachten und rauchen läßt und wo manche jüngere Dame derjenigen Unterhaltung pflegen kann, welche die Engländer mit dem unübersetzbaren Zeitwort „to flirt" bezeichnen und für welche das deutsche „liebeln" schon ein zu starker, derber Ausdruck ist. Da bilden sich Gruppen, später Parteien, es entstehen Freundschaftsbündnisse, die freilich oft nicht lange dauern, und selbst Verlobungen kommen vor, denen nicht selten die „Entlobungen" bald folgen; denn das „engagement“ der Engländer ist bekanntlich ganz anderer Art als der deutsche Brautstand. Außerdem aber sorgen Bücher, Musik, Skat und andere Spiele für Kurzweil.

So macht sich die Sache während der ersten Tage wunderschön.

Doch wenn die erste Woche zu Ende ist? - Ja, dann steigen Wolken am Horizont dieser Welt im Kleinen auf. Der Koch mag anfangen, was er will, der Inhalt seiner Fleischkammer hat trotz des Eisvorrathes den Jugendschmelz eingebüßt. Die freundlichen kleinen Hecheleien, welche man einem seiner Nächsten anvertraut, hat derselbe durch Vermittelung eines anderen Nächsten dem betreffenden Durchgehechelten mitgetheilt. Da giebt es kühle Blicke und spitze Redensarten. Aus Freundschaften werden Feindschaften. Die Bücher sind durchgelesen, neue Zeitungen werden schmerzlich vermißt; die Paradestücke der klavierkundigen Damen kennt man nunmehr schon auswendig, und selbst die Vorträge der von den Stewards gebildeten kleinen Schiffskapelle, welche zuerst auf dem Promenadendeck stürmischen Erfolg hatten, bieten keinen Reiz mehr. Der Geschäftsmann wird immer gespannter auf Nachrichten vom Gange seiner Unternehmungen. Doch wozu das Register noch lange fortführen? Aus allem Gesagten geht schon hervor: nach Ablauf der ersten Woche an Bord wird nach und nach das erst so begeistert gepriesene Schiff zum Gefängniß, und bleiern herrscht in demselben die Langeweile!

Und das ist denn auch der Hauptgrund, weshalb jeder, der zu öfterem Durchkreuzen des Atlantischen Oceans Anlaß hat, den Schnelldampfer wählen wird; denn über die hier gebotene Bequemlichkeit, so und so viel Tage und Stunden früher anzukommen, geht doch nichts. Mögen die Ueberfahrtspreise auch theurer sein, was schadet's? Es weiß ja jeder, daß nach einem althamburgischen Scherz die Buchstaben H A P A G auf der Flagge der „Hamburg - Amerikanischen Packetfahrt - Aktien - Gesellschaft" zugleich die sinnige Frage bedeuten: "Haben alle Passagiere auch Geld ?" Kostspielig ist so eine Reise, aber auch Zeit ist Geld, und die ersparten Reisetage sind Goldes werth!




Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
3. Sonderlinge und Käuze.
b. Käuze: Zwergkauz. Uhu.


Wir wählen für unsere Charakterzeichnungen zwei ganz entgegengesetzte Originalgestalten aus einer und derselben Vogelgruppe: die niedlichste Eule aus der Familie der „Tageulen“, Surniae, und einen Vertreter aus der Familie der „Ohreulen“, Bubones. Die erstere ist die Zwerg- oder Sperlingseule, auch „Zwergkauz“ oder „Käuzchen“ genannt, der letztere der Riese Uhu.

Lichtscheu und Nachtvögel sind sie zwar beide wie alle unsere Eulen. Allein die Zwergeule ist von der Wissenschaft nicht mit Unrecht in die Reihe der Tageulen versetzt worden, oder vielmehr, das Käuzchen hat es selbst gezeigt, daß es sich auch bei Tage sehen lassen kann und im hellen Lichte sogar ganz gut fortzukommen weiß.

Besonders die Minnezeit benimmt dem Käuzchen ein gut Theil seiner Zurückgezogenheit, und aus seinen dämmerigen Verstecken in Baumhöhlen, hinter Mauern und Steinrissen und aus dunklem Baumwuchs treibt es die Liebe mehr denn je hervor an den hellen Tag. Es ist freilich immer noch ein sonderbares Käuzchen, bei dessen Anblick die anderen Vögel des Lichtes in große Aufregung und Unruhe gerathen. Namentlich ist es die aufmerksame, rührige Wache der Meisenschaar, die das Käuzchen gewaltig auszuschimpfen pflegt, sobald es sich im Bereiche des hellen, sonnigen Lebens, der lustigen Tagvögelgesellschaft zeigt. Doch Erfahrung und eine untrügliche vererbte Furcht läßt sogar die kecke Kohlmeise Vorsicht gebrauchen, wenn sie den fremden Gast umschwirrt. Denn der ungefährlich scheinende Zwerg, der nicht viel größer als ein Sperling und nur 16-18 cm lang ist, benimmt sich manchmal riesig räubermäßig und packt unversehens, flink wie er ist, den ersten besten Vogel am Kragen und rupft und würgt ihn zum Entsetzen der ihn umgebenden Schar trotz allen Schimpfens und Wetterns. Er ist ein Kauz - - aber ein solcher, der für den Thierfreund so außerordentlich viel Anziehendes, Unterhaltendes und Drolliges hat, daß man nicht müde wird, sein niedliches Bild und sein ergötzlich komisches Betragen zu betrachten.

Manchmal sitzt das Kerlchen längere Zeit in dem Laube eines Obstbaumes oder auf seinem Lieblingsorte, einer dichtbeasteten Eiche, sodaß man es mit einem Fernrohre ungestört beobachten kann. Da hockt es in der Ruhe mit dem etwas gesträubten, mausgrauen, mit weißen Flecken gezierten Mäntelchen und der weißen, braungestrichelten, ebenfalls leis aufgebauschten Unterseite, das


  1. Vergl. Halbheft 18 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_242.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)