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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

plötzlich abzustürzen, ist von jeher das eigentliche Wunder dieses merkwürdigen Landes gewesen. Steffens, der in Norwegen geboren wurde, aber in Deutschland lebte, der Verfasser der schönen Romane „Die Familien Walset und Leith“, „Die vier Norweger“ u. a., pflegte zu sagen, es wäre ihm, als hätte sich ihm dort die verborgenste Werkstätte im Innern der Erde geöffnet; die fruchtbare Erde mit ihren Blumen und Wäldern erschiene dort nur wie ein schöner Teppich, der unergründliche Schätze verberge, und ihm wäre es, als ob dieser Teppich fortgezogen würde und er in die Tiefe hinabsteigen müßte.

Kaum anders wird dem Fremden zu Muthe, der auf seinem Boot in die bis fünfundzwanzig Meilen langen Meeresbuchten, die Fjorde segelt und immer tiefer in die furchtbare Gebirgsöde gelangt, wo er sich schließlich von ungeheuren senkrechten Felswänden umgeben, ja eingeengt wie in einer Falle befindet und kaum einen Ausweg erblickt. Die Geologen sagen, diese Fjorde seien nichts als Spalten, entstanden durch Abkühlung der Gebirgsmassen; andere bringen sie mit der Bildung von Gletschern in Verbindung; der witzige Reisende sagt wohl, sie seien wie die Spalten in einem heißen Brote, das plötzlich der kalten Luft ausgesetzt worden. Zu den gewaltigsten Fjorden, deren Scenerie die der Alpenthäler weit übertrifft, gehören mehr im Süden Norwegens der Lysefjord, berühmt durch seine Lichterscheinung an einer unzugänglichen Felswand, blitzartige, aus einer Höhle mit Donnergekrach schießende Lichter, ferner der Hardanger- und der Sognefjord. Eine Verzweigung des letzten heißt Näröfjord, über dessen zwölf- bis fünfzehnhundert Meter hohe Felswände in großer Zahl Wasserfälle stürzen, die, aus dem Abfluß der Schneefonden oben genährt, wie ungeheure Schleier den schwarzen Gneis unterbrechen.

Im Lyngenfjord.

Noch seltsamer in dieser Art ist der Geirangerfjord, wo die Wasserfälle oft von zwölfhundert Meter hohen Wänden herabstürzen, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu berühren. Der Wasserfall zerstäubt, verschwindet in der Luft; erst unten auf dem Fjorde verräth das Plätschern und Kräuseln des Wassers seine Spur. Er findet sich wieder, indem er aufhört zu sein.

Von ganz anderem Charakter ist der Moldefjord mit dem Städtchen Molde, der Schauplatz von Björnsons „Fischermädchen“. Hier glaubt man auf einen schweizer See zu schauen mit seinen vielen Buchten, mit reichen Geländen und großartigem Gebirgshintergrunde. Wer im Sommer 1887 hier wohnte, mochte oft den Dichter Ibsen erblicken, wie er stundenlang auf der Ladebrücke stand und unverwandt in die ruhige Fluth schaute. Hier entstand und hier spielt auch seine „Frau vom Meere“; und will man wissen, wohin sich die Frau von der „Stickluft“ dieses Fjordes fortwünscht, so muß man an die kleine Insel Ona mit einem Leuchtthurm denken, welche, weit in den Atlantischen Ocean vorgeschoben, nur einmal jede Woche von einem Dampfboot besucht wird.

Der Moldefjord gilt als das landschaftliche Paradies Norwegens. Anderswo mag man staunen, hier will man bloß leben und athmen. Dem entsprechend haben sich hier auch bereits große Gasthöfe aufgethan, und der Strand vernimmt die Sprachen aller Völker. Besonders herrlich habe ich hier immer die Wolkenbildung gefunden, und das ist kein Wunder, da der feuchte und kalte Nordwest gerade hier auf die warme Landströmung vom Romsdal stößt. Ein Sonnenuntergang am Moldefjord gehört wohl zu den schönsten norwegischen Erinnerungen.

Auf der Fahrt hierher haben wir in Bergen mancherlei deutsche Erinnerungen kennengelernt; war diese Stadt doch einst so gut wie hanseatisch, und noch jetzt hat dort jeder zweite Kaufmann einen deutschen Namen. Die Bergener sind die Neapolitaner Norwegens, heiter, leichtlebig, beweglich, aber auch phantasiereich und bildungsfroh. Sie sprechen schnell und begleiten das Gesprochene mit ausdrucksvollen Gebärden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_178.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)