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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Von Fjord zu Fjord.
Schilderungen aus Norwegen von L. Passarge.0 Mit Zeichnungen von C. Saltzmann.

Fast wie ein Wunder erscheint es uns, jenes Land im Norden, das schmal sich hinstreckt am westlichen Rande der skandinavischen Halbinsel bis hinauf zu Europas nördlichster Spitze, und in welches die Bilder C. Saltzmanns[1] von seiner Reise mit Kaiser Wilhelm II. uns mitten hinein versetzen. Vor mehr als zweitausend Jahren taucht es auf in halb sagenhaftem Dämmerlichte bei dem Geographen Pytheas von Massilia; es hat seine selbständige Geschichte im Mittelalter; es wird vergessen und tritt wieder auf mit einemmal, übernimmt in neuester Zeit gar die Führung in der nordischen Litteratur – immer mit einer Art mystischen Glanzes umgeben, fast wie ein Nordlicht in der langen Polarnacht. Wie man im Alterthum der Kunde von dem ununterbrochenen Sommertage keinen Glauben schenken mochte, so vermochte man auch bei uns lange nicht von der Vorstellung abzulassen, Norwegen sei ein dunkles, hartes, abstoßendes Gebilde; kalt wie seine Winternacht, die Menschen, solcher Natur entsprechend, rauh, freudlos und unfreundlich.

Jacht „Hohenzollern“.
Der Näröfjord.

Und doch giebt es kaum ein zweites Land in Europa, das zugleich von so gewaltiger und so lieblicher Natur wäre wie gerade Norwegen. Wie oft habe ich nicht in schönen Sommertagen – und es giebt deren dort so viele! – mich an die Küsten Siciliens versetzt geglaubt; so am Hardangerfjord, wo der Schnee der Folgefond durch die Kronen herrlicher Fruchtbäume glänzt; oder am Moldefjord, wo die Häuser bis zu den höchsten Giebelspitzen ganz mit blühendem Gaisblatt übersponnen sind und die Pracht der Rosen an die von Kasanlik in Ostrumelien erinnert!

Und die Menschen? – Hier möchte ich nur sagen: versucht es doch einmal und wandert durch dieses Land, tretet in die Hütten der Bönder und Fischer oder in die Häuser reicher Besitzer und Handelsherren und fragt, wo denn der Norweger sei, wie ihn Unkenntniß und Uebelwollen so häufig geschildert haben. Wagt es nicht, euren Kutscher, euren Führer zu fragen, ob er lesen und schreiben könne, denn er würde euch auslachen; zweifelt nicht an der Treue und Aufrichkgkeit dieser Leute, die bereit sind, für euch durch Feuer und Wasser zu gehen; der gebildete Norweger begleitet euch weit, um den rechten Weg zu zeigen; er tritt euch, ist der Gasthof voll, sein Zimmer ab. Denn der Fremde erscheint ihm als ein Gast seines Landes, den man ehren müsse. Darum erhält er auch den Ehrenplatz an der Tafel.

Aber der Norweger erwartet dafür auch seinerseits Achtung der Persönlichkeit und Höflichkeit. Kein Land der Welt denkt und empfindet demokratischer als Norwegen. Der Dienst wird hier nicht belohnt, sondern entgolten. Wie oft hat mein Kutscher, mein Schiffer mir nicht herzlich die Hand gedrückt, wenn ich ihn bezahlte; ja, wie oft hat mein Führer sich nicht an meinen Tisch gesetzt und mich mit einer Flasche bewirthet! So vollkommen auf gleicher Stufe stehend fühlt man sich in Norwegen. Wer freilich die großen Straßen niemals verläßt, nur in den großen Gasthöfen einkehrt, der mag sich trösten, er findet dort das gewohnte Europa wieder; denn Norwegen civilisirt, europäisirt sich rettungslos. Aber wie man beim Russen, wenn man ihn reizt, wohl noch den Bären findet, so steckt verborgen unter der Hülle im Norweger noch immer der offene, ehrliche, starke Fjällbewohner, einer jener Menschen, von denen Goethe sagen könnte:

„Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.“

Dieser Boden Norwegens, jene ungeheure Gebirgsbildung, die gleich einer Woge von Osten her aufsteigt, um im Westen

  1. C. Saltzmann, dessen Bildniß wir seinen Schöpfungen von der Nordlandsreise anreihen, ist heute einer unserer hervorragendsten Marinemaler. Er wurde 1847 zu Berlin als Sohn armer Eltern geboren, erlernte erst das Goldschmiedehandwerk und durfte erst mit 20 Jahren zur Malerei übergehen. Schon in der Mitte der siebziger Jahre durch ein Bild „Morgendämmerung am Meer“ bekannt geworden, lenkte er bald darauf die Aufmerksamkeit Kaiser Wilhelms I. auf sich und erhielt die Erlaubniß, mit dem Prinzen Heinrich auf der Korvette „Adalbert“ eine Reise um die Welt zu machen. 1888 bekam er die „Große goldene Medaille“ für sein Bild „Im stillen Ocean“, nachdem er bereits 1887 die „Kleine goldene Medaille“ davongetragen hatte. In jüngster Zeit ist sein Name durch seine Berufung unter die Begleiter Kaiser Wilhelms II. auf dessen Seereisen in weite Kreise gedrungen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_176.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)