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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Das Wohl des gesammten Staates und die einheitliche Verwaltung der bisher durch Eifersüchteleien, Vorurtheile und Verkehrsschranken getrennten Provinzen wurde sein Hauptaugenmerk. Die Binnenzölle wollte er aufheben, dagegen, entsprechend den damals herrschenden volkswirthschaftlichen Ansichten, Oesterreich durch Grenzzölle vor dem Wettbewerb des Auslandes sichern. Ein für die ganze Monarchie geltendes Justiz- und Verwaltungssystem, eine von oben her gelenkte, sich streng gliedernde und abstufende Beamtenschaft, das Deutsche als Amtssprache sollten die Vielheit der provinziellen und ständischen Rechte, Gewohnheiten, Behörden und Sprachen verdrängen.

Kein Wunder, daß die in ihren altererbten Vorrechten Gekränkten erst durch stillen Widerstand, dann durch offene Widersetzlichkeit diesen Einheitsplänen entgegenarbeiteten, daß die Selbständigkeitsgelüste der Ungarn von dem amtlichen Gebrauche des Lateins nicht lassen, auf den Besitz der Krone des heil. Stephan, welche Josef II. nach Wien bringen ließ, und die Krönung des neuen Herrschers zum König von Ungarn nicht verzichten wollten! Begreiflicher noch, daß die Vlamen und Wallonen in Belgien, die sich ohnehin nie als Oesterreicher gefühlt hatten, den Aufhetzereien der gekränkten Geistlichen und Edelleute, sowie den Umsturzgedanken radikaler Geister Gehör gaben und die letzten Jahre der Regierung Kaiser Josefs durch offene Empörung und Losreißung von der habsburgischen Monarchie noch mehr erschwerten.

Die Beamtenschaft, seit lange an einen gemächlichen, bequemen Schlendrian gewöhnt und im geheimen den hohen Plänen des Kaisers unzugänglich, konnte den sich überstürzenden Anforderungen des neuen Dienstes nicht folgen – und selbst strenge Strafen und Drohungen mit Amtsentsetzung waren den mangelnden Fähigkeiten und dem bösen Willen gegenüber machtlos.

Man darf übrigens dem edlen Monarchen nicht den Vorwurf machen, daß er mit einem Male das Bestehende hätte wegfegen wollen, vielmehr ging er in seinen Reformen allmählich und schrittweise vor. So führte er die Preßfreiheit zwar im Grundsatze ein, verbot aber alle unsittlichen und religionsfeindlichen Schriften, wirkte namentlich der Verbreitung von Flugschriften durch Forderung von Bürgschaftssummen und Stempelabgaben entgegen und suchte auch die Zeitungen, Theaterstücke u. a. in ihrer freien Richtung einzuschränken. Wenn er Schmähschriften gegen seine eigene Person geradezu für straffrei erklärte, so stand ihm das Beispiel Friedrichs II., der solche Pamphlete des bequemeren Lesens halber niedriger hängen und öffentlich verkaufen ließ, vor Augen, aber er übersah, daß seine Stellung keine so unbestritten feste war wie die seinem großen Zeitgenossen. Wie die Preßfreiheit, so sollte auch die Glaubensfreiheit keine unbeschränkte sein. Die katholische Religion blieb die staatlich allein anerkannte, die anderen Konfessionen waren nur geduldet, und kleineren Sekten befahl der Kaiser, in die größeren Religionsgemeinschaften einzutreten. Als er an die Aufhebung der überflüssigen Klöster ging, beschränkte er sich zunächst auf die völlig zwecklosen, weder dem Unterrichte noch der Seelsorge noch der Krankenpflege dienenden Stiftungen, sorgte für Entschädigung der obdachlos gewordenen Mönche, für die nützliche Verwendung des frei gewordenen Einkommens zur Errichtung von Schulen, Hospitälern, bäuerlichen Niederlassungen.

Die Geistlichkeit sollte, wie der weltliche Beamtenstand, ganz von ihm abhängen, darum verbot er die Bekanntmachung päpstlicher Erlasse ohne kaiserliche Genehmigung, ließ dem heranwachsenden Klerus eine einheitliche, zeitgemäße Bildung in staatlichen Generalseminarien geben und suchte den Zusammenhang der Priester mit Papst und Kurie zu beseitigen oder doch zu lockern. Wie der Volksunterricht, der dem Kaiser ganz besonders am Herzen lag, so sollte auch die Einwirkung auf das Familienleben den Geistlichen thunlichst entzogen werden; daher wurde die Ehe für eine staatliche Einrichtung erklärt und die heutige Civilehe wenigstens vorbereitet, der Gottesdienst, die kirchlichen Feste, Prozessionen etc. kamen unter die Oberaufsicht des Staates. In diesem Bestreben, auch Kirche und Klerus in den einheitlichen Staatsgedanken einzufügen, ließ er sich durch den Widerspruch des Papstes und das Widerstreben der hohen Geistlichen nicht irre machen, auch eine Reise des Papstes Pius VI. nach Wien änderte nichts an der Richtung des kaiserlichen Verfahrens. Natürlich fanden diese religiösen Neuerungen den Beifall aller Geistlichen, die von den Gedanken der Aufklarung erfüllt oder durch den Druck der Kurie in ihrer Selbständigkeit gehemmt waren, namentlich die nun besser ausgestattete und unabhängiger gestellte Weltgeistlichkeit jauchzte ihnen zu. In einem Augenblicke offener Hingebung soll sogar Papst Pius geäußert haben, er würde als Herrscher von Oesterreich auch nicht anders handeln. Widerspruch fand Kaiser Josef nur bei denjenigen Geistlichen, deren Einkünfte und Rechte im Staatsinteresse geschmälert werden mußten.

Von gleich eigensüchtigen Beweggründen war der Widerstand geleitet, den die Befreiung der schwergedrückten Bauern, die theilweise Aufhebung der Zunftrechte, die Beseitigung der grausamen Härte der Justiz bei Edelleuten, Bürgern und Beamten fand. Gerade diese wohlthätigsten Neuerungen schnitten zu sehr in das Geldinteresse und die alte Gewohnheit ein, um von den zunächst Geschädigten geduldig ertragen zu werden.

Auch hier trug Kaiser Josef den Verhältnissen Rechnung, soweit sein kaiserliches Ansehen und das Staatswohl keine Nachtheile erlitten. Der Widerstand der Ungarn gegen die neuen Justizgesetze und Verwaltungsnormen bestimmte ihn zum Maßhalten und zu einschränkenden Erlassen, selbst die Stephanskrone gab er wieder zurück. Eine gleiche Schonung der belgischen Unzufriedenen machte ihm der revolutionäre, staatsfeindliche Charakter der in Brüssel und anderen Orten auftretenden Bewegung unmöglich.

Was die letzten Jahre seiner Regierung mit Mißerfolgen und Demüthigungen erfüllte, das war seine unheilvolle äußere Politik.

Nachdem sein Plan, Bayern mit Oesterreichisch-Belgien zu vertauschen und dem habsburgischen Staate in Süddeutschland eine erdrückende Uebermacht zu gehen, an Friedrichs II. Widerstande und der diplomatischen Einsprache Rußlands gescheitert war, ging er einen unvorsichtigen und nachtheiligen Vertrag mit der russischen Herrscherin, Katharina II. ein, um dem preußischen König seine einzige Bundesgenossin zu entziehen. Der Eroberungssucht der nordischen Macht dienend, nahm er 1788 und 1789 an einem ungerechten, verlustreichen Kriege gegen die Türkei theil, während es im Innern seines Reiches, in Ungarn, gährte und in Belgien eine Niederlage der österreichischen Truppen und offene Lossagung der Unterthanen erfolgte und zugleich Preußen und England eine drohende Haltung gegen die Eroberungspläne Josefs einnahmen.

Die Strapazen des türkischen Feldzuges, der Unwille über die in Belgien erlittene Demüthigung und den Widerstand der Ungarn, die ihm Geld und Truppen zur Kriegführung versagten, warf die ohnehin erschütterte Gesundheit des edlen Fürsten gänzlich zu Boden. In dem Gefühle, daß seine hohen Entwürfe mißlungen seien, sein Leben ein verfehltes gewesen, von seinem Bruder Leopold und seinem Minister Kaunitz in den letzten Kämpfen mit körperlichen und seelischen Leiden verlassen, starb er in der fünften Morgenstunde des 20. Februars 1790.

Sein Reich hinterließ er an der Ost- und Westgrenze, in Ungarn und Belgien, im Aufruhr und in einem Kriege, der die finanziellen Kräfte des Staates zerrüttete; aber was er für das Wohl seines Volkes gethan hatte, blieb auch unter seinen Nachfolgern bestehen. Ueber seinem Grabe schlugen die Sturmwellen der französischen Revolution zusammen, die mit den gewaltthätigsten Mitteln das niederriß, was selbst der Macht eines Kaisers unbezwingbaren Widerstand entgegengestellt hatte. Die Entrüstung, welche die Unthaten des französischen Jakobinerthums später in ganz Europa hervorriefen, gab den Anhängern der alten Zustände neuen Vorwand, das Andenken des „kirchenfeindlichen“ Herrschers zu schmähen, während edeldenkende Volksfreunde ihn als „Schützer der Menschheit“ verherrlichten. In seinem Volke aber, in den niederen Schichten vor allem, draußen auf dem Land unter den Bauern, da lebte er fort als der „gute Kaiser Josef“. Ihm liehen diese einfachen Gemüther alle Tugenden einer vollkommenen Obrigkeit und eines warmfühlenden Herrn, und tausend Geschichtchen hielten sein freundliches Bild in ihrem Herzen lebendig. Sie vergaßen es ihm nicht, daß er einem von ihnen den schweren Pflug aus der Hand genommen und selber durch die harte Scholle geführt hatte. R. Mahrenholtz.     




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