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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

langsam geht, vorzüglich bei älteren Leuten. Gewöhnlich ist der Verlauf einer solchen Kur, die in Baden, Schwitzen, Tragen von nassen Umschlägen, Sitzbädern, Fußbädern etc. besteht, zuerst mit einer zufriedenstellenden Besserung, später mit allerlei Geschwüren an mancherlei Stellen des Körpers, Ausschlag, zuweilen über den ganzen Körper; hernach vielleicht von[1] einer bedeutenden Verschlechterung des Befindens und wiederholtem Ausschlag verbunden, bis dann diese Ausscheidungen geheilt und der Kranke geheilt entlassen wird. Das Baden selbst, das Schwitzen und alle die einzelnen Prozeduren sind Kinderspiel, man gewöhnt sich sehr bald daran, schlimmer ist der Zustand, wenn die Geschwüre und der Ausschlag kommen, wo dann auch sehr über Schlaflosigkeit geklagt wird; indessen versichern alle, daß man bei aller Schlaflosigkeit doch nicht erschöpft sei. Wie Du siehst, kann durch alle diese Zwischenfälle die Kur sehr in die Länge gezogen werden. Ich für meine Person muß erklären, daß ich noch nie so auf dem Damme gewesen bin, wie jetzt, obgleich ich die Kur jetzt vielleicht am schärfsten gebrauche. Ausschlag habe ich noch nicht, werde ihn aber wohl kriegen. – – – Essen und Trinken ist gut, und ich meine, die Kranken langen zu! Deine Frau kann sich freuen, wenn ich wiederkomme, die Wurst wird nicht sauer und die Spickgans nicht zu alt werden.

Mein lieber Fritz, Du bist ein verständiger Mensch und wirst gewiß mich soweit kennen, daß ich das Beste zu thun glaube, wenn ich zurathe, Du wirst aber auch nicht so ungerecht sein und mir Vorwürfe machen, wenn es sich nicht zum guten wenden sollte; das steht in Gottes Hand! Daß ich nicht ein alberner Nachbeter neu aufgekommener Wahrheiten bin, weißt Du, und noch heute habe ich dreist in Gegenwart von Leuten, die die Wasserheilkunst in den Himmel erheben und die übrige Medizin verdammen, die letztere allein gegen fast alle in Schutz genommen, ich bin von allen der kühlste Verehrer der Wasserkur, vielleicht weil ich der zuletzt angekommene bin, darum wird mein Rath kein übertriebener sein, und mein Rath ist, schicke Deine Mutter hierher. – – – Grüße meine liebe Freundin, Deine gute Frau, und sage ihr, wenn ich nach Th. käme, würde der Kaffeetopf Ruhe vor mir haben, den wird man hier ab. Lebe wohl und schreibe an Deinen Freund. F. Reuter.“ 




Zum hundertjährigen Todestage Kaiser Josefs II.

Das Dichterwort „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“ findet in vollem Maße auf den unglücklichen Fürsten Anwendung, der nach einer kaum zehnjährigen Regierung voll der höchsten Entwürfe und des edelsten Thatendrangs bitter enttäuscht auf einsamem Krankenlager dahinsiechtc. Als er nach der langen Herrschaft seiner zielbewußten, kraftvollen Mutter Maria Theresia im besten Mannesalter auf den Thron kam, rühmten begeisterte Vorkämpfer der neuen Zeitrichtung ihn als den Beglücker der Menschheit, als den Erretter seines Volkes aus weltlichem und geistlichem Drucke. Dann aber erhoben sich Stimmen, die sein Wirken mit dem Philipps II. von Spanien und Albas verglichen, ihn im Hinblick auf seine Reformen und die Aufhebung der alten Landesverfassung in den österreichischen Niederlanden als den Mörder der in heißen Kämpfen errungenen niederländischen Freiheit brandmarkten. Und ähnlich standen sich die Meinungen der Parteien auch nach seinem Tode gegenüber. In den Zeiten, da Napoleons I. eherne Hand schwer auf dem habsburgischen Kaiserstaate lastete, errichtete man ihm als dem Schirmherrn der Größe Oesterreichs ein Denkmal auf dem Josefsplatze in Wien, österreichische Dichter verherrlichten ihn noch in den stürmischen Jahren 1848–1850, als die künstlich zusammengefügte Monarchie in den Fugen krachte, und selbst in den jüngsten Tagen hat sein Andenken die edelsten Verfechter des Deutschthums in dem Kampfe der Nationalitäten zu muthigem Ausharren und zuversichtlicher Hoffnung gestärkt. Dagegen stehen die nichtdeutschen Bewohner des österreichischen Kaiserstaates ihm zumeist nicht bloß kühl und zurückhaltend, sondern geradezu feindlich gegenüber, ein Grund mehr für uns Deutsche, seinen Namen in Ehren zu halten.

Wir können das Wirken Josefs II. nur im Zusammenhange mit der Regierung seiner Mutter begreifen, ist es doch in vieler Hinsicht nur die rücksichtslose Fortführung ihres vorsichtig und einsichtsvoll begonnenen Werkes. Die große Fürstin, deren männliche Festigkeit und unbeugsame Zähigkeit schon in ihrer äußeren Erscheinung sich kundgiebt, hatte es verstanden, den buntgemischten, vielsprachigen Kaiserstaat zu einer fast einheitlichen Monarchie umzugestalten, wobei ihr das Beispiel ihres großen Gegners Friedrich II. oft den Weg gezeigt hat. Als sie zum Beginn ihrer Regierung im Kampfe mit Frankreich, Preußen und Bayern um den Bestand ihrer Herrschaft rang, wußte sie durch ihr unverzagtes Auftreten und durch kluge Rücksichtnahme alle Stämme ihres Reiches – auch die Ungarn, welche so oft den Feinden Habsburgs den Weg ins Herz der Monarchie gebahnt hatten – zu ihrem Schutze zu vereinigen und den gefahrvollen Streit nur mit dem Verluste einer Provinz zu enden. In dem siebenjährigen Ringen mit Friedrich dem Großen um die Vorherrschaft im Deutschen Reiche standen wiederum die Volksstämme diesseit und jenseit der Donau für sie in Waffen, und als der Hubertusburger Friede geschlossen war, nutzte sie die letzten siebzehn Jahre ihrer Herrschaft, um den Wohlstand und die freie Bewegung ihres Volkes zu heben, die lähmenden Einflüsse im geistigen und kirchlichen Leben zu mindern, ihre Herrschaft nach außen hin zu vergrößern und durch mächtige Bundesgenossen zu sichern. Aber wie sehr auch das Staatswohl sie zu manchen Maßregeln nöthigte, die den Anhängern der alten Zeit schmerzlich ins Fleisch schnitten, so blieb sie aus Ueberzeugung wie aus Berechnung eine treue Förderin der katholischen Interessen. War doch die gemeinsame Religion vor allem das einigende Band des österreichischen Völkergemisches. Nach wie vor war der beste Grund und Boden in den Händen der Kirche, eine Unzahl von Klöstern und Stiften entzog dem Gewerbe, Handel und Ackerbau tüchtige Kräfte, die Steuerbefreiung der Geistlichen machte eine um so stärkere Belastung des Bürger- und Bauernstandes nöthig, die Fronden und andere Zwangsleistungen schmälerten noch die freie Zeit des schwer geplagten Landmannes. Wenig bedeutete die Verminderung der kirchlichen Festtage, die Maria Theresia auf den Rath ihres Ministers Kaunitz verfügte, und selbst die theilweise Aufhebung der Leibeigenschaft am Ende ihrer Regierung, die uns den wohlthätigen Einfluß ihres Sohnes Josef – den Maria Theresia 1765 zum Mitregenten der österreichischen Monarchie ernannt hatte – wahrnehmen läßt, brachte zunächst nur geringe praktische Vortheile. Auch die altererbten Vorrechte der Provinzen, die Vielheit des Rechtes, der Verfassungen, die hemmenden Schranken der Binnenzölle, die Fesseln der Erwerbsfreiheit und Eheschließung, die Unterdrückung der Glaubens- und Preßfreiheit, die Greuel der Folter- und Marterjustiz, der schwerfällige und willkürliche Prozeßgang und so viele andere Uebelstände aus grauer Vorzeit blieben bestehen. Nicht ohne Grund fürchtete die staatskluge Regentin, daß die Wegnahme dieser zum Theil morschen Stützen des Staatsbaues das gesummte, schwankende Gefüge zu Fall bringen könnte.

Bis zum Tode seiner Mutter (29. Nov. 1780) hatte Josef immerhin nur geringen Einfluß auf Regierung und Verwaltung; höchstens das Militärwesen Oesterreichs erfreute sich seiner umgestaltenden, verbessernden Fürsorge. Es fehlte dem Kaiser sogar an einer völlig ausreichenden Vorbildung zum Herrscheramte, denn von verschiedenen Erziehern in ungleichartiger Weise gebildet, auf seinen weiten Reisen durch Europa wohl mannigfaltigen, aber flüchtigen Eindrücken ausgesetzt, konnte er sich nie so umfassende Kenntnisse und Erfahrungen erwerben, wie sie seinem großen Zeitgenossen Friedrich II. als Staatsmann und Philosophen zu Gebote standen. Mit Begeisterung, aber ohne tieferes und selbständiges Eindringen hatte er die Lehren der französischen Aufklärung, ihre Hauptgrundsätze der Glaubens- und Preßfreiheit, der Staatsallmacht in weltlichen und geistlichen Dingen, der Beseitigung aller unnatürlichen Schranken des Ackerbaus, Handels und Verkehrs in sich aufgenommen. Jetzt, nach langem Harren, zum Beherrscher des mächtigen Kaiserstaates geworden, wollte er ohne Zaudern die Gedanken eines Voltaire und Rousseau in die Wirklichkeit übertragen.

  1. wörtlich
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_112.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)