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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

um eine Atmosphäre steige. In 1000 m Tiefe kommen bereits 10850 Kilogramm Wasserdruck auf 1 Quadratdecimeter. Das sind Zahlen, die wir uns schwerlich vorstellen können. Die Wirkungen dieses Druckes sind aber oft an den Geräthen des Tiefseeforschers bemerkbar. Korkscheiben, die an den Schleppnetzen der Talismanexpedition befestigt waren, wurden, wie dies auch aus unserer Abbildung S. 79 ersichtlich ist, von dem Druck der Tiefe auf etwa die Hälfte ihres Rauminhaltes zusammengepreßt und das Korkgewebe nahm die Dichte von Holz an. Darum wurden auch die Tiefseethermometer so hergestellt, daß sie den Druck von 70 Centnern auf einen Quadratzoll vertrugen. Dies genügte jedoch nur für die Tiefe von 4800 m und als der „Challenger“ einmal eine Tiefe von etwa 7000 m lothete, zog man zwei dieser Thermometer zerbrochen herauf. Die Walfischfänger erzählen, daß die harpunierten Wale oft tief im Meere ihr Heil suchen und daß alsdann die Holztheile an der Harpune derart vom Wasserdruck zusammengepreßt werden, daß sie, wenn die Wale wieder emporsteigen und erbeutet werden, schwerer geworden sind und nicht mehr schwimmen. Dies beweist uns aber, daß die Wale ungestraft Tiefen mit so ungeheurem Druck aufsuchen können; sie besitzen dieselbe Anpassung für das Meer wie der Kondor für den Luftocean. Dies ist aber durchaus nicht bei allen Thieren der Fall, namentlich der rasche Uebergang von dem hohen Druck der Tiefe zu dem geringen der Oberfläche wird vielen verderblich und sie gehen zu Grunde ebenso wie Sivel und Crocé-Spinelli bei ihrer Ballonfahrt. Unsre Abbildung S. 79 zeigt uns einen Tiefseefisch in dem jämmerlichen Zustande, in dem er aus der Tiefe von 1500 m heraufgeholt wurde. Ein Theil der Speiseröhre ist herausgepreßt, die Augen sind hervorgequollen, die Schuppen sind gelockert und fallen theilweise ab. Die Gase und die Gewebe des Thierkörpers dehnen sich beim Aufhören des Druckes plötzlich aus und führen die Katastrophe herbei. Ueberhaupt gelangen fast alle in der Tiefsee gefischten Thiere todt oder beschädigt und zerrissen an die Oberfläche. Im Bodensee fangen unsre Fischer die Kilche, die in bedeutenden Tiefen leben. Diese werden mit stark aufgetriebenem Leib aus dem Netze geholt; unter dem geringeren Luftdruck der Oberfläche dehnt sich die Luft in der Schwimmblase aus und die Fische müßten, sich selbst überlassen, absterben. Die Fischer „retten“ die Waare, indem sie die Kilche „stupfen“, d. h. die Schwimmblase durchstechen; die Luft entweicht alsdann mit pfeifendem Geräusch, die Fische werden wieder schlank und bleiben am Leben. Es handelt sich hier jedoch nur um Tiefen von 200 bis 300 m, während wir im Meere mit ebenso viel und noch mehr Tausenden rechnen müssen, wo der Druck nicht 20 bis 30, sondern 200 bis 300 und mehr Atmosphären beträgt. Ueber die Lebensäußerungen unter diesem Drucke ist noch sehr wenig bekannt.

Die Thiere der Tiefsee seufzen ebensowenig unter dem Wasserdruck wie wir unter dem der Atmosphäre; auch ist ihre Organisation derjenigen der Flachseethiere gleich. Sie sind nach demselben Muster gebaut. Ob allerdings alle chemischen und physiologischen Vorgänge im Thierkörper sich unter dem hohen Drucke ebenso abwickeln wie an der Oberfläche, mag fraglich erscheinen. Versuche, die in Laboratorien angestellt wurden, konnten nicht zur Lösung dieser Frage führen. Der Naturforscher Cailletet hat, um Gase flüssig zu machen, einen Apparat gebaut, in dem man auch Flüssigkeiten in einem geschlossenen Raum dem ungeheueren Drucke von 1000 Atmosphären aussetzen kann. Gase werden in diesem Apparate flüssig, das Wasser wird aber durch den Druck wenig verändert; es wird dichter, aber bei 159 Atmosphären erst um 1/144 seines Raumgehalts. In diesen Apparat wurden nun verschiedene Thiere gebracht. Ein Stutztopf (Dorade), dessen Schwimmblase zuvor entleert wurde, vertrug den Druck von 100 Atmosphären ohne Beschwerden; bei einem Druck von 200 Atmosphären war er betäubt, erholte sich aber bald, als man ihn wieder befreite, bei 300 Atmosphären war er dem Tode nahe, bei 400 todt und starr. Bei dem Druck von 400 Atmosphären, der einer Meerestiefe von 4000 m entspricht, wurde ein Frosch so starr, daß man ihn eher entzwei brechen, als eins seiner Glieder beugen konnte. Die Gewebe werden unter dem hohen Druck mit Wasser infiltriert, denn ein Froschschenkel, der ursprünglich ein Gewicht von 15 Gramm hatte, wog, nachdem er 5 Minuten lang einem Druck von 600 Atmosphären ausgesetzt worden war, 17 Gramm. Interessant ist in dieser Reihe von Versuchen die Prüfung einiger physiologischer Vorgänge. Gekochte Stärke wurde mit Speichel vermischt und dieses Gemenge einem Druck von 1000 Atmosphären ausgesetzt; der Speichel behielt seine Wirksamkeit und die Stärke wurde in Zucker verwandelt. Anders jedoch verhielt sich die Hefe. Dem ungeheuren Druck von 600 bis 1000 Atmosphären ausgesetzt, gährte sie nicht, verfiel in einen lethargischen Zustand; sie erholte sich aber, als man den Druck entfernte, und konnte dann die Gährung bewirken. Der hohe Druck hemmt also die Thätigkeit der Gährungserreger, und damit stimmt die Thatsache überein, daß man gährende oder in Zersetzung befindliche Stoffe aus großen Tiefen nicht heraufgeholt hat. Giebt es dort keine Fäulniß, hört dort der Machtbezirk der auf dem Festlande und in seichten Gewässern überall gegenwärtigen Bakterien auf?

Doch genug dieser Beispiele! Die Betrachtung der Tiefsee rollt eine ganze Reihe derartiger Lebensfragen auf.

Aus den Andeutungen, die wir gegeben haben, wird der Leser ersehen haben, daß die Lebensbedingungen für die Thierwelt der Tiefsee vielfach ganz andere sind als die für die Fauna der Oberfläche. Die unzähligen Geschöpfe, welche diese Abgründe bewohnen, sind auch in ihrer Ernährung in eine eigenartige Lage versetzt. Bevor wir jedoch diese erörtern, wollen wir einige der hervorragendsten Bewohner der Tiefsee in Wort und Bild vorführen.


3. Die Bewohner der Tiefsee.

Die Tiefsee ist eine in neuerer Zeit ersonnene Bezeichnung; ihre Grenzen lassen sich in Wirklichkeit nicht mit Bestimmtheit angeben; je nach der Vertheilung der Thiere, welche die Forscher als echte Tiefseebewohner ansehen, beginnt sie bald höher, bald tiefer unter der Meeresoberfläche. Im allgemeinen rechnet man Tiefen bis zu 200 m der Flachsee zu; dann aber kommt eine Uebergangsregion, bis in etwa 600 m Tiefe das eigentliche Reich der Tiefe, die „Abyssalzone“ beginnt.

Im Jahre 1818 brachte John Roß, der berühmte Nordpolfahrer, aus den Abgründen des Eismeeres den ersten Beweis für das Leben in der Tiefsee bei; aus einer Tiefe von fast 1000 Faden holte er einen Seestern herauf. Es war ein Zufallsfund, den man verschieden deutete. Zwanzig Jahre später wurde von Edward Forbes die Erforschung der unterseeischen Thierwelt systematisch betrieben, aber die Mittel, mit denen man arbeitete, waren noch unzulänglich und man gelangte zu der Ueberzeugung, daß das Meer unter 300 Faden nicht bewohnt sei. In den vierziger Jahren kam aus dem Norden durch die Arbeiten Lovens in Stockholm und Sars’ in Christiania wiederum bestimmtere Kunde von dem Vorhandensein des Lebens in bedeutenden Meerestiefen. 1854 bohrte die Brookesche Tiefensonde zum ersten Male in den Boden des Atlantischen Oceans ein und förderte in dem weißen Tiefseeschlamme und den in ihm erhaltenen Globigerinen einen neuen Beweis für die vielumstrittene Ansicht zu Tage. Rasch mehrten sich jetzt die glücklichen Fänge, bis ein einziger Zug mit dem Schleppnetze im Jahre 1869 in dem Golf von Biscaya aus der Tiefe von 2435 Faden zahlreiche Vertreter „aller fünf wirbellosen Königreiche“ heraufbrachte und es von nun an keinem Zweifel mehr unterlag, daß in der Tiefsee sogar ein reiches Leben vorhanden sei.

Man hat versucht, mit den einzelnen Fängen Gesammtbilder des Lebens in den Tiefen zusammenzustellen, und auch unsre Abbildungen stellen solche Versuche dar. Das erste Bild (S. 80) führt uns auf den Grund der Tiefsee, 1200 bis 1500 m unter den Meeresspiegel. Pflanzen fehlen hier, wie wir bereits wissen, vergebens würden wir hier nach unterseeischen Algenwäldern forschen; aber etwas, was uns an Haine und Wiesen erinnert, hat die Natur doch geschaffen. Hier haben sich jene Wesen niedergelassen, von denen man lange nicht wußte, ob man sie den Pflanzen oder den Thieren zuzählen soll, und die noch heute den Namen Pflanzenthiere führen. Da sind zunächst die Korallen, welche von den älteren Naturforschern als „Pflanzen ohne Blumen, von harter, fast steiniger Natur“ beschrieben wurden. Erst im Jahre 1723 entdeckte Peyssonel die thierische Natur derselben und reichte seine Abhandlung darüber im Jahre 1727 der Pariser Akademie ein. Was mußte er sich nicht gefallen lassen! Réaumur wurde zum Berichterstatter bestimmt und er bezeichnete die Entdeckung als „einen seltsamen Irrthum“! Diese Pflanzenthiere bilden die Haine der Tiefsee; da stehen dicht gedrängt aneinander die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_082.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)