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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Alles andere gilt nicht und wenn es gelten will, ist es Hochmuth und Unsinn. Und nun Gott befohlen, Wonneberger. Und nehmen Sie sich in acht, wenn Sie weiterhin übers Wasser müssen; die Brücke ist weggeschwemmt und die Steine sind glatt und Sie sind nicht mehr ganz fest auf den Beinen. Adieu, Wonneberger! Sie sind eigentlich ein guter Kerl, eine gute Schulmeisterseele. Kommen Sie her, Sie sollen noch einen Kuß haben.“

Und nun schieden sie wirklich und während der Lehrer höher bergan stieg, stieg Opitz einen Abhang nieder, der ihn unten, an einem Waldsaume hin, auf die Wolfshauer Gemarkung führte. Freundliche Häuser waren über einen weiten Wiesengrund hin ausgebreitet, durch den die Lomnitz schoß, an deren diesseitigem Ufer das Forsthaus, mit dem Hirschgeweih am Giebel, aufragte. Opitz, der jeden Steg kannte, nahm seinen Weg über eine hoch in Blumen und Gräsern stehende Wiese hin und eh’ er noch bis auf hundert Schritt an seine Gartenpforte heran war, schlug der große Kettenhund an und die bis dahin stumm hinter ihm her trollende Diana antwortete mit einem kurzen Blaff.

Und wenige Minuten später überschritt Opitz die Schwelle seines Hauses.

* * *

Frau Opitz, eine hagere Frau mit tiefliegenden dunklen Augen, die einmal schön und lachend gewesen sein mochten, jetzt aber nur noch geängstigt in die Welt blickten, empfing ihren Mann und fragte, ob sie decken und das Mittagbrot auftragen solle.

So zaghaft die Worte klangen, so klang doch auch etwas von Vorwurf und Anklage heraus, was Opitzen, trotz seiner Umnebeltheit, nicht entging.

„Ach was, Bärbel, Mittagbrot! Was soll das wieder! Wenn ich nicht da bin, bin ich nicht da. Du sollst nicht auf mich warten, ein für allemal. Alles bloß Eigensinn, und mir zum Tort wird das Essen bei Seite gestellt und schmort in der Schüssel, daß es wie Leder aussieht und wie Leder schmeckt. Ich will Ordnung und Stunde halten, so soll’s sein, und wenn ich die Stunde nicht halte, weil ich sie ’mal nicht halten will, nun dann will ich sie nicht halten und will nicht dran erinnert sein, am wenigsten durch Deinen Schmorbraten und Dein Jammergesicht, in dem immer so was liegt, was mich ärgert und was ich nicht leiden kann.“

Diana, müde von dem weiten Marsche, war auf den Großvaterstuhl gesprungen und wollte sich’s eben bequem machen. Aber das paßte Opitzen schlecht. „Ist denn alle Welt verrückt geworden?“ rief er, und den Hund beim Fell packend, warf er ihn auf die Erde und gab ihm einen Fußtritt. Dann ging er auf einen Schrank zu, nahm eine mit Rohr umflochtene Flasche heraus und trank. Es war Kirschwasser, zu dem er, mit oder ohne Grund, das Vertrauen hatte, daß es „niederschlage“. Dann hing er den Staatsrock an den Riegel, machte die Krawatte weiter und warf sich, einen Stuhl heranschiebend, aufs Bett. Und keine halbe Minute mehr, so, hörte man nur noch sein Athmen und Schnarchen. Diana kroch unter den Stuhl und die Frau Försterin verließ leise die Stube; draußen in der Küche aber setzte sie sich zwischen Wand und Herd und ließ sich von Christine, die seit etwa zwei Jahren in ihrem Dienste stand, die Kaffeemühle geben und begann sofort ein allerintimstes Gespräch. Denn in einem ihr eigenthümlichen Klageton über Ehe zu sprechen, war ihr so ziemlich das Liebste vom Leben, auf das sie nicht verzichten mochte, trotzdem sie wohl wußte, daß Christine durchaus abweichender Meinung war.

„Es war ihm wieder nicht recht, Christine! Und wenn ich es nicht warm stelle, ist es auch nicht recht. Er redet immer von Ordnung, aber jeden Tag hat er eine andere. Heb’ ich was auf, weil er zu spät kommt, dann ist zwölf Uhr Ordnung und darf nichts aufgehoben werden, und heb’ ich nichts auf, dann ist es Ordnung, daß eine Frau was aufhebt. Und immer grob und bullrig. Ich sage Dir, Christine, heirathe nicht! Du steckst so mit dem Lehnert zusammen, aber glaube mir, einer ist wie der andere.“

„Nein, Frau Försterin, Lehnert ist doch ganz anders.“

„Ja, das sagt Ihr, das sagt jede; jede denkt, ihrer ist besser und ihr wird der Kuchen besonders gebacken. Aber dem ist nicht so. Freilich hat er nicht solchen kurzen Hals wie Opitz und die Kurzhalsigen sind immer die schlimmsten, das ist wahr und kann ich nicht bestreiten, aber es bleibt doch dabei, sie sind sich gleich, oder wenigstens sehr ähnlich. Sie quälen uns bloß, heute mit Eifersucht und morgen mit Liebe.“

„Na, mit Liebe, das ginge doch noch, Frau Opitz; das is doch nich schlimm! Liebe, denk ich mir, is die Hauptsache.“

„Ja, Kind, das sagst Du wohl, weil Du noch jung bist. Da sieht es so aus. Aber nachher ist es alles anders und mit der Liebe auch. Und wenn man dann alt ist, ist man bloß noch dazu da, sich schimpfen und schelten zu lassen und Strümpfe zu stopfen und einen Knopf anzunähen.“

Christine versicherte das Gegentheil und schon ihre Mutter selig habe immer gesagt: „Christine, heirathen mußt Du, heirathen muß der Mensch! Und die, die viel schimpfen und schlagen, die sind auch gut und mitunter sind es die besten.“ „Und dann, Frau Opitz, ich habe doch auch schon gesehen; daß er Ihnen einen Kuß gegeben hat, und da waren Sie doch ganz vergnügt und so . . . ja, ich weiß nicht recht wie . . . Nein, nein, Frau Opitz, ich lasse mir nichts weismachen. Ich bin für heirathen, und wenn Lehnert nicht will, nu, dann will er nicht, dann will ein anderer. Ich werde schon einen finden. Und ich weiß auch, wie man’s machen muß. Man muß nur immer fidel sein und immer ,ja’ sagen und nichts merken von dem, was man nicht merken soll. Dann kann man hinterher machen, was man will. Ach, liebe Frau Opitz, Sie verstehen es nicht. Sie sehen immer aus, als ob einer gestorben wär’ oder eben dabei wär’, und das können die Männer nicht leiden. Nein, nein, Frau Opitz, ich heirathe!“

Und während sie noch so sprach, nahm sie den Kessel vom Herd und brühte den Kaffee. „Nicht zu viel Wasser, Christine, nicht zu viel!“ warnte die Frau; „Du weißt doch, daß er ihn gern stark hat, und weißt auch, was er immer dabei sagt: ,Schwarz wie der Tod und heiß wie die Hölle’, was mir immer einen Stich ins Herz giebt. Denn man soll vom Tod nicht so reden und am wenigsten, wenn man ein Förster ist. Da ist der Tod da, man weiß nicht wie. Und schlagflüssig ist er auch und von dem verdammten starken Bier kann er nicht lassen. Und dann immer das Kirschwasser! ,Es schlägt nieder,’ sagt er. Ja, wenn es bloß ihn nicht niederschlägt . . .“

In diesem Augenblick fuhren beide Frauen erschreckt zusammen, denn in der Stube nebenan fiel etwas mit dumpfem Schlage zur Erde. Der Schreck währte indessen nicht lange. Frau Opitz erholte sich zuerst. „Er hat den Stuhl umgestoßen und ich will nun hinein und Nachsehen, ob er ausgeschlafen hat.“

Opitz stand, als seine Frau eintrat, bereits vor dem kleinen Spiegel mit blankem Glasrand, der, sammt einer doppelten Verzierung von Zittergras, über der Kommode hing. Er fuhr sich eben mit der Hand durchs Haar und sah noch halb verschlafen aus seinen etwas gerötheten Augen. Ihr Ausdruck aber war mittlerweile doch ein anderer geworden, der Aerger schien mit dem Rausch dahin, und im Spiegel seine Frau gewahrend, trat er auf sie zu, legte den Arm um ihre Hüfte und gab ihr einen Kuß. Die Frau sah verschämt vor sich nieder, denn eigentlich liebte sie ihn und empfand es als einen Gram, daß solche Zärtlichkeiten so selten waren.

„Soll Christine den Kaffee bringen?“

„Versteht sich, soll sie. Und gieb mir die Pfeife! Die verdammte Trinkerei bekommt mir nicht und der Doktor will’s auch nicht und droht mir immer mit dem Finger. Aber das Fleisch ist schwach. Auch ein Förster und alter Soldat hat seine schwachen Stunden. Nicht wahr, Bärbel? Und nun gieb mir auch Feuer und dann den Kaffee. Aber keine Plämpe!“

Während Opitz noch so sprach, klopfte Bärbel mit dem Knöchel an die Wand, was das Zeichen für Christine war, den Kaffee zu bringen, und zündete gleich danach einen Fidibus an, woran Opitz, der sonst in solchen Dingen für das Neue war, eigensinnig festhielt. Er hatte nur zufällig einen Haß gegen Schwefel- und Phosphorhölzer.

Und nun brachte Christine den Kaffee.

„Nu, Christine, laß sehen! Ich hoffe. Du hast nicht zuviel Bohnen aus der Mühle springen lassen. Oder hat die Frau gemahlen? Na, na, nur still . . . Spaß muß sein . . . In Querseiffen ist heute Tanz. Was meinst Du, willst Du hin? Die Frau wird es schon erlauben; nicht wahr, Bärbel?“

Die Frau nickte.

„Nun siehst Du! Der Lehnert wird auch wohl da sein und das ist doch die Hauptsache. He? Na, thu’ nur nich’, als ob’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_026.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)