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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

war, daß Siebenhaar immer nach der Ecke hin sah, wo Lehnert Menz saß, und es hätte bloß noch gefehlt, daß er ihn beim Namen genannt hält’. Und ich sah auch, wie Lehnert sich verfärbte.“

„Ja,“ sagte Schmidt. „Und dabei hat Lehnert noch ’nen Stein bei ihm im Brett und ist eigentlich sein Liebling. Daß er ihn, weil er so findig und anschlägig war, auf die Schule nach Jauer geschickt hat, na, das wißt Ihr, und nun nimmt er doch Partei für den Opitz, der den Lehnert zwei Monat ins Jauersche Amtsgefängniß geschickt hat. Ich versteh den Alten nicht und ich kann es mir mit seiner Predigt bloß so denken, daß er ein Unglück verhüten will. Er weiß, daß es beide harte Steine sind und daß es kein gutes Ende nimmt, wenn nicht Friede wird. Einer muß klein beigeben und der eine muß Lehnert sein, weil es Opitz nicht sein kann. Er is doch nu ’mal ein Mann im Amt und sozusagen im Recht. Hol’s der Teufel, daß ich das sagen muß. Und da hat Siebenhaar ihn warnen wollen, ich meine den Lehnert, und ihn ermahnen, daß er zu Kreuze kriecht.“

„Es wird aber nicht helfen. Is alles ein alter Schaden noch von den Soldaten her und nun schon sieben Jahre zurück. Opitz ist ein Quäler und Schuster und war es immer. Er hat ihn chikaniert vom ersten Tag an, ich weiß nicht warum. Ich glaube, Lehnert war ihm zu forsch und zu freiweg und nicht unterthänig genug, und ich erinnere mich, daß das ein ewiges Schnauzern war. ,Das will ein Jäger sein, Du mein Gott’, ,der Menz hat keinen Zug im Leibe’, ,der Menz hat keine Ehre’, ,der Menz hat keine Schneid’. Und so ging es weiter und nahm kein Ende, bis Menz den kleinen Fähnrich von Uttenhoven aus dem Wasser zog. Opitz natürlich spöttelte bloß, als sei’s nichts gewesen, keine vier Fuß tief und der Fähnrich so leicht wie ’ne Feder; als dann aber die Medaille kam, da mußte Opitz still sein und von ,nicht Ehre und nicht Schneid’ war keine Rede mehr. Ich sage Euch, Major Griepenkerl, der damals das Bataillon hatte, der hielt eine Rede, Donnerwetter, der verstand es, das ging an die Nieren, und hätte sich alles wieder zurecht gezogen, wenn nicht der Krieg gekommen wär’ und die Geschichte mit dem Kreuz. Opitz hat ihm das Kreuz gestohlen. Eine ganz verdammte Geschichte . . .“

„Warst Du denn mit dabei?“

„Nein. Aber so gut wie mit dabei, denn ich stand in demselben Zug und habe den ganzen Spektakel, der nachher kam, mit erlebt. Alles war für Menz. Aber Opitz, der sich bei seinem Hauptmann – es war ein neuer, der alte war gefallen – in Thee gesetzt hatte, das versteht er, denn nach oben hin kriecht er und nach unten hin tritt er und schuhriegelt er, Opitz, sag’ ich, wußt’ es so zu drehen, daß Lehnert leer ausging und das Nachsehen hatte. Und von dem Tag an war der Unfrieden wieder da.“

„Wie war es denn eigentlich? War es denn noch bei Sedan? Lehnert spricht nie davon.“

„Nein, bei Sedan war es nicht. Bei Sedan, das war Spaß, trotzdem wir fünf Minuten lang scharf drinsteckten. Aber das ging vorüber wie ’ne Regenhusche. Nein, dies war im Winter, als der französische General . . . nu, Donnerwetter, wie hieß er doch? Bazaine war es nicht . . . “

„Ducrot.“

„Richtig, Ducrot . . . als der seinen letzten Ausfall machte. Die dritte Kompagnie hielt die Vorderreihe von St. Cloud, und in dem Eckhause rechts, dran die große Straße vorbeiläuft, lagen zwölf Jäger von uns unter Oberjäger Jaczewski, und bei diesen zwölfen war auch Lehnert. Nun, daß ich’s kurz mache, die ganze Linie mußte zurück und der Angriff ging zuletzt auf das Eckhaus, das der Punkt war, auf den es ankam. Ging das Eckhaus auch verloren, so nahm man uns in die Flanke. Jaczewski fiel und das Kommando kam an Lehnert und da war bald keiner mehr, der nicht einen Denkzettel weggehabt hätte; Lehnerten, das hab’ ich nachher gesehen, wurde der Gefreitenknopf und der Ohrzipfel weggeschossen. Aber er wollte nichts von Uebergabe wissen und hielt aus, bis Unterstützung kam und die ganze Linie wieder genommen wurde.“

„Und kein Kreuz? Das begreife wer kann! Du mein Gott, da waren doch die Aussagen der Leute!“

„Ja, die Aussagen der Leute. Die Leute, die lagen verwundet im Lazareth und ließen sich natürlich betimpeln und beschwatzen und sagten aus, was Opitz ihnen vorredete. Jaczewski habe das Kommando gehabt und Jaczewski sei gefallen . . . “

„Aber bist Du denn auch sicher, daß Opitz unrecht hatte? Menz ist ein forscher Kerl, aber er dünkt sich was, weil er auf Schulen war, und ist eitel und hält sich für mehr als er ist. Er hat einen Nagel.“

„Ja, den hat er und es ist schwer, Friede mit ihm halten. Er hat so was wie Opitz selber und ist gleich aus dem Häuschen. Aber eins muß doch wahr bleiben, er is ein guter Kerl und ein guter Kamerad und dabei grundehrlich und läßt keinen im Stich, und wenn man ihn nicht reizt und ihm nicht widerspricht und ihm in seinem Willen zu Willen ist, dann ist er wie’n Kind und man kann ihn um den Finger wickeln.“

„Das sag’ ich auch. Und wenn Siebenhaar es recht angefangen hätte, na, dann hätt’ er Opitzen angepredigt und dem ins Gewissen geredet und von den Geizigen und Hartherzigen gesprochen, die nicht ins Himmelreich kommen. Aber er hat den Spieß umgedreht und hat Opitzen recht gegeben. Und das ist nicht recht. Denn Opitz ist ein Narr und ein Quälgeist, und ich wollte bloß, er tränke sieben Seidel und hätte seinen Schlag weg. Dann wären wir ihn los und das arme Volk wär’ ihn los, das in den Wald geht, und könnte sich ruhig sein bißchen Holz holen.“

„Und wir könnten einen Spießer wegschießen, ohne Gefahr und Gericht. Und das ist doch immer die Hauptsache!“


4.

Opitz hatte keine Eile, nach Hause zu kommen, und die dritte Nachmittagsstunde war fast schon heran, als er aufbrach und seinen Weg nach der Wolfshauer Försterei hin fortsetzte. Der alte Förster von der Annenkapelle blieb noch im Exnerschen Lokale zurück, ebenso Grenzjäger Kraatz, und nur Lehrer Wonneberger, der bis zur Obermühle hin denselben Weg mit Opitz hatte, schloß sich ihm an. Es war ein in wunderlichen Sprüngen gehendes Gespräch, das sie führten, erst über den Papst und das neue Dogma, dann über Mac Mahon, der viel zu gut für die Franzosen, und über den Corpskommandeur in Breslau, der zu lang im Dienste sei. All dies erledigten sie übrigens in kurzen Sätzen, um dann um so ausführlicher auf das Nächstliegende einzugehen, auf Siebenhaar, auf Exner, Vater und Sohn, auf den alten Laboranten Zölfel mit seinem Melissengeist und seinen Wundertropfen und auf das Blitzmädel, „die schwarze Marie“.

„Die Marie soll sich ja verheirathen wollen,“ sagte Wonneberger. „Ist es denn richtig, daß sie Kunstreiterin war und als Kind durch fünf Papierreifen gesprungen ist?“

„Ich habe sie nicht gezählt und es mögen wohl auch ihrer sieben gewesen sein. Aber fünf oder sieben, es ist eine forsche Person und sie hat so was, was nicht jede hat, und wenn sie so das Essen bringt und die Messer und Gabeln über den Tisch hinfliegen läßt, wie die chinesischen Messerspieler, dann denk’ ich immer, es geht wieder los. Haben Sie ’mal solche Messerspieler gesehen?“

„Ei freilich, einen Messerspieler und einen Degenschlucker. Und waren noch dazu Brüder. Das ’Runterschlucken ging noch; aber wenn er dann die lange Klinge wieder ’raus holte . . . na, so was wird die Marie doch wohl nicht gemacht haben.“

„Wer weiß! Sie hat so was Biegiges und da geht alles. Und dann, lieber Wonneberger, Sie glauben gar nicht, was die Weiber alles können, wenn sie wollen. Sie können eigentlich alles und wenn ich höre, Marie hat einen Windmühlflügel mit der Kniekehle festgehalten . . . aber hier ist ja schon die Mühle . . . Nu Gott befohlen, Wonneberger, und stecken Sie nicht immer mit dem Menz zusammen. Er hat jetzt seine zwei Monat’ abgesessen und wenn ich ihn recht kenne, so ruht er nicht eher, als bis er die zwei Monat’ auf zwei Jahre gebracht hat. Er ist ein Thunichtgut und, was schlimmer ist, ein Uebermuth und ein hochfahrender Schlingel, der große Rosinen im Sack hat. Aber ich werde sorgen, daß sie klein werden.“

Wonneberger wollte was zur Vertheidigung sagen, weil er eigentlich eine Liebe für Lehnert hatte. Opitz unterbrach ihn aber und fuhr fort. „Und Sie wissen doch, Freund, die Lehrer sollen ein gutes Beispiel geben. Der Liegnitzer Schulrath paßt auf und da steht man im schwarzen Buch, man weiß nicht wie: Reputation, Wonneberger! Immer aufpassen und nie vergessen, daß man Vorgesetzte hat und daß man dem Staat dient und daß man mitzählt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_024.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)