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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

hat doch Raum in unserm Innern, und das – haben wir uns und wollen wir uns erhalten!

Die Bilder, die sich in den letzten Tagen vor dem Heiligen Abend in den Hauptverkehrsstraßen Berlins dem Auge aufthun, tragen ein so lebhaftes Gepräge, zeigen so lebendige Farben und spiegeln die Eigenart des öffentlichen Treibens so zusammengedrängt ab, daß sie bei einer Schilderung der Weihnachtszeit nicht fehlen dürfen.

Unser Zeichner hat auf dem Holzschnitt mit großer Anschaulichkeit das Hinundher, das um diese Zeit unter den Linden herrscht, wiedergegeben. Da ist die Pickelhaube des Schutzmannes und die Mütze des Dienstmannes, das sind Berliner Droschken und Omnibusse, das sind Uniformen unseres Militärs, und so sehen die Linden aus.

Das wogt und eilt und drängt sich unaufhörlich von der Mittagszeit bis hinein in den späten Abend!

Schnee! Schnee! wohin das Auge blickt, auf den Dächern, den Fenstergesimsen, auf den Bäumen, Kiosken, Laternen, Buden und Litfaßsäulen. Beschneit ist jeder Winkel, jede Ecke, jede Spitze. Starres, hellschimmerndes Weiß hat sich eingenistet überall und weicht nicht. Ganz sind selbst auf der Straße die Spuren des wehenden Schneefalls nicht verwischt, obgleich die Tritte von Hunderttausenden, die Wagenräder der Omnibusse, Equipagen, Droschken und Lastgefährte die Krystallformen des Himmels in einen schmutzig flüssigen Schlamm verwandelt haben.

Anderthalb Millionen Menschen, und von ihnen wohl zwei Drittel, die im Laufe der Woche einmal oder mehrmals aus ihren Häusern eilen, um für den Weihnachtsabend einzukaufen! Zahllose lockt auch die Neugierde in die Hauptstraßen: in die Leipziger- und Friedrichstraße, unter die Linden.

Außerordentlich ist das Gedränge in der Leipzigerstraße. Da giebt’s keinen Laden, keinen Verkaufsraum, der nicht förmlich belagert ist. In den Konditoreien stehen oft fünfzig Menschen auf einmal und warten, in den Fünfzigpfennigbazaren geht’s ab und zu wie eine Völkerwanderung. Und nun erst die Straße selbst; Männer, Frauen, Kinder, Dienstmänner, Fremde, Boten, Bummler, Damen, Herren, das jagt aneinander vorüber, athemlos, ein Bild der Zeit, die ruhelos hastend vorwärts drängt. Tausende von Packeten, Schachteln, Bündeln werden getragen, fast jeder Mensch in den Pferdebahnwagen, Equipagen, Droschken hat um diese Zeit ein „Eingepacktes“ auf dem Schoß.

Die Polizei gestattet an verschiedenen Plätzen die Errichtung von Verkaufsbuden, aber auch die Aufstellung der zum Verkauf bestimmten Tannenbäume auf den öffentlichen Plätzen des Ostens, Südens, Nordens und Westens der Stadt. Bisweilen, wie am Lützowplatz, geht man durch eine schmucke, grüne Allee; die Bäume haben einen Fuß bekommen und stellen sich in ihrer verschiedenartigen Größe zur Auswahl. Es duftet wie der Tannenwald selbst; der ewig lebendige Baum sprüht seinen Athem aus. Ungeheure Massen von Tannenbäumen werden nach Berlin gebracht; ihr Preis hält sich seit Jahren auf gleicher Höhe, ein großer stolzer Baum kann bis zu zehn Mark kosten, der einfache Mann erwirbt einen solchen für eine Mark, bis endlich die theuren und die billigen alle dasselbe Schicksal erreicht. Entkleidet ihrer flimmernden Pracht, stehen sie in den Ecken der Höfe, in den Gärten; in den neuen Straßen des Westens haben sie ihre Aschenbrödelecke auf den Balkonen, bis sie dürr genug sind für das Ofen- oder Herdfeuer oder der Schuttwagen sie aufpackt und so die letzte Erinnerung an das Fest verwischt.

Im vorigen Jahre durchwanderte ich verschiedene Straßen des vornehmen Westens um die Zeit der Bescherung. Mitten im Schnee lichtüberströmte Gebäude; wohin das Auge sich wandte, jenes stille, sanften Frieden und Fröhlichkeit aushauchende Flimmern der Weihnachtslichter, ein Anblick, der Freude und Wehmuth wachruft, aber nur jene Wehmuth der Erinnerung an die selige Kinderzeit, jenen Ernst, der aus dem Gefühl überströmenden Dankes emporsteigt!

Keine Wohnung ohne einen Baum; nur bei denjenigen, die nicht den Heiligen Abend, sondern den ersten Feiertag zur Bescherung wählen, scheint das gewöhnliche Licht oder ist es gar dunkel, weil die Bewohner bei Freunden den Abend zubringen.

Und hier draußen herrscht auch die Stille des Ausruhens, höchstens ertönt jauchzendes Kinderlachen. Im Centrum aber immer gleiches Gewoge, Gedränge, Laufen, Fahren, Geräusch und athemloses Leben ohne Stillstand, wechselnde, so ganz verschiedene Bilder! Nur eine Menschenklasse scheint gar nicht von dem heiligen Feste berührt zu werden. Wo über die zehnte, elfte Stunde hinaus noch Licht hinter den Fenstern und Gardinen sich zeigt, da fahren in langsamem Schritt die Droschkenkutscher zweiter Klasse vor und halten. Es giebt vielleicht eine Fuhre!

Und während die droben in warmer, behaglicher Lust den Fisch, den Braten verzehren, hockt der alte Fuhrmann frierend auf dem Bock und seine Gedanken gehen zu den Seinigen, die, da ihn die Pflicht selbst an diesem Abend hinausrief in die kalte Winternacht, daheim ohne ihn feiern.

Aber siehe! Die Thür öffnet sich. Der Portier erscheint. Einen Teller mit Pfefferkuchen, Pfannkuchen und ein Glas Punsch reicht er dem Frierenden hinauf.

„Von die Herrschaften oben, in die dritte Etage!“ erklärt er, und der Alte nickt und dankt, und etwas Eigenes sickert auf in seinem Innern, und auch er feiert das Fest des Gebens, das Fest echt menschlicher Verbrüderung, das unvergleichliche Weihnachtsfest. Hermann Heiberg.     

Schiffer- und Künstlerkinder und die Volksschule. Im Lande der allgemeinen Schulpflicht genießen auch die Kinder herumziehender Eltern kein Ausnahmsrecht; auch sie müssen die Schule besuchen. Aber sie sind die Irrlichter unter den Schülern und die wirklichen Schmerzenskinder der Lehrer. In einigen deutschen Staaten hat man deshalb solche Eltern, die keinen ständigen Wohnsitz haben, angehalten, ihre schulpflichtigen Kinder an einem bestimmten Orte in Pflege zu geben. Verständige Väter, die den Werth einer ordentlichen Schulbildung zu schätzen wissen, thun dies von selbst. In Mainz z. B. bestehen derartige Anstalten für Kinder der Rheinschiffer. In Holland, in Belgien, wo die Schulpflicht nicht besteht, muß vielfach die öffentliche Wohlthätigkeit eintreten. In den holländischen Provinzen Overyssel, Drenthe und Friesland, die sämmtlich von zahlreichen Kanälen durchzogen und von vielen armen, in sogenannten Wohnschiffen umherziehenden Schifferfamilien bevölkert sind, wurden in den letzten Jahren durchschnittlich 50 Kinder auf diese Weise erzogen und eine große Menge mußte wegen unzulänglicher Mittel abgewiesen werden.

Das erste Paar Schuhe. (Zu der Kunstbeilage.) Ein wichtiges Ereigniß im Leben des Kindes, ein Fest für die Familie: das Anmessen der ersten Schuhe! Und wie viel ähnlich wichtige Feste sind schon vorhergegangen: das erste Lächeln des kleinen Weltbürgers, das erste Wort, der erste Zahn, der erste Schritt – o, lauter Feste, welche die Familie in Aufruhr brachten und die junge Mutter mit Seligkeit erfüllten. Jetzt werden die ersten Schuhe geholt und zuerst fein säuberlich angepaßt. Der alte Meister schmunzelt ob des seltenen Besuches und probt, ob seine zierliche Arbeit gelungen, die Mutter folgt seiner Prüfung mit freudigem Interesse, die Kleine zwar fühlt sich in der ungewohnten Umgebung nicht ganz sicher und verhält sich ziemlich reserviert, aber den Umständen nach doch muthvoll – ein herzerfreuendes Familienbild voll wahren, überzeugenden Glücks! Und als solches ist es wohl geeignet zum fröhlichen Weihnachtsgruße: ein Vorbild des Glückes zum allbeglückenden Feste. **     



Kleiner Briefkasten.

M. W. in O. Einen schönen Wildstand kann nur haben, wer zu ganz bedeutenden Opfern dafür entschlossen ist. In milden Wintern finden Rehe und Hirsche leicht ihre Nahrung; auch aus einer dünnen Schneedecke scharren sie mit den Hufen das Gras hervor. Lastet aber tiefer Schnee auf den Waldgründen, so heißt es entweder, alle schwächeren Stücke wegschießen, oder für ausgiebige Fütterung sorgen. In großen Jagdrevieren wie dem des Herzogs von Coburg in den bayerischen Alpen oder der großen Grundherren in Oesterreich kann sich die dafür nöthige Summe auf 20000 Mark für den Winter belaufen. Dafür giebt es aber auch, nach der Schilderung von Natur- und Thierfreunden, keinen schöneren Anblick als den eines solchen Futterplatzes am klaren Wintermorgen, wenn der hellblaue Himmel über den weißen Schneegipfeln leuchtet und nun das Wild in Rudeln von allen Seiten herbeikommt. Aus dem verschlossenen Futterstadel holen die Jagdgehilfen das Heu, vertheilen es in die Raufen und können kaum mit dem Geschäft zu Ende kommen, so ungeduldig drängen sich die Thiere, manchmal dreihundert und mehr, die in weitem Bogen wartend stehen, vorwärts, sobald sie das ersehnte Futter sehen. Außer Heu verwendet man in großen Massen die wilden Kastanien, welche die Hirsche und Rehe mit Wohlbehagen zwischen den Zähnen zerschroten. Der Wildstand in den Alpen vermehrt sich, Dank der staatlichen und privaten Fürsorge, stetig, freilich hat er auch dort nicht die bedenklichen Schattenseiten, welche ihn den Bauern der Ebene verhaßt machen, so daß man sich in den Vorbergen an der schönsten Waldstaffage, den ziehenden Rudeln von Hirsch und Reh, aus vollem Herzen zu erfreuen vermag. Das dafür ausgegebene theure Geld ist sicher wohl angewendet zu nennen!

A. Sch. in W. Abziehbilder werden von den Eisenbahnverwaltungen in neuerer Zeit zu Tausenden benutzt, um an den Personen- und Güterwagen die Wappenbilder sowie die Aufschriften, bei welchen es auf möglichst einheitliche Ausführung ankommt, wie „Frauen“, „Nichtraucher“ etc. auf mechanischem Wege herzustellen. Das Uebertragen des gewünschten Bildes auf die Wagen geschieht wie bei gewöhnlichen Abziehbildern mittels Andrückens und Befeuchtens der Rückseite. Nach vorsichtiger Entfernung des Papiers wird das übertragene Bild mit Lack bestrichen und ist damit fertig. – Dasselbe Verfahren benutzt man, um gewöhnlichen tannenen Schränken das Aussehen von polirten Nußbaum- oder Mahagonimöbeln zu geben.


Inhalt: Eine Erscheinung. Hinterlassene Erzählung von Fanny Lewald. S. 821. – „Seine“ Weihnachtsbescherung. Illustration. S. 821. – Weihnachten. Gedicht von Ida John. Mit Illustration. S. 828. – Lenaus Braut. Von Gustav Karpeles. S. 828. – Beim Weihnachtsspielzeug. Illustration. S. 829. – Sakuntala. Novelle von Reinhold Ortmann (Fortsetzung). S. 831. – Weihnachtsbüchertisch für die Jugend. Von Dietrich Theden. S. 834. – Blätter und Blüthen: Christnacht. S. 835. Mit Illustration S. 833. – Berliner Weihnachtstage. Von Hermann Heiberg. S. 835. Mit Illustration S. 824 und 825. – Schiffer- und Künstlerkinder und die Volksschule. S. 836 – Das erste Paar Schuhe. S. 836. – Kleiner Briefkasten. S. 836.


In dem unterzeichneten Verlage ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1890.
15 Bogen 8º mit zahlreichen Illustrationen. Preis in elegantem Ganzleinenband 1 Mark.
Der Kalender enthält unterhaltende und belehrende Beiträge von A. Ohorn, W. Heimburg, P. von Schönthan, H. Villinger, Dr. L. Fürst, Dr. H. Tischler, Dr. K. Ruß, Rud. Falb, Schmidt-Weißenfels u. A., und eignet sich vermöge seiner eleganten Ausstattung namentlich auch zu Festgeschenken.
Bestellungen wolle man der Buchhandlung übergeben, welche die „Gartenlaube“ liefert. Postabonnenten erhalten den „Gartenlaube-Kalender“ in den meisten Buchhandlungen, oder gegen Einsenduug von 1 Mark und 20 Pf. (für Porto) in Briefmarken direkt franko von der
Verlagshandlung von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.

manicula Hierzu die Kunstbeilage „Das erste Paar Schuhe“, Weihnachtsgruß der „Gartenlaube“ an ihre Leser.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_836.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)