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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

lernen; es verlängere bei Unglücksfällen doch nur den Todeskampf, meinen sie, und könne von dem Ertrinken nicht erretten.

Die Männer sind also sehr stolz darauf, wenn sie von einer großen Ebbe ein Dutzend Ormeaux nach Hause bringen können, die Weiber aber schneiden meist ein schiefes Gesicht, denn ihnen fällt die Zubereitung zur Last. Das Thier wird aus der Schale herausgenommen und der ganze Körper entfernt, so daß nur die Fußscheibe übrig bleibt, die etwa die Größe eines Handtellers und einen Centimeter Dicke hat. Wollte man diese feste, im Tobeskrampfe erstarrte Muskelscheibe ohne weitere Vorbereitung kochen oder schmoren, so würde sie nicht weicher werden als eine Schuhsohle. Unsere Wirthin klopfte die Scheiben stundenlang auf einem platten Kiesel mit einem Hammer; dauerte ihr dieser Zeitvertreib zu lange, so schickte sie die Scheiben kurzer Hand in die Schmiede, wo sie auf dem Ambos bearbeitet wurden. Dann wurden sie gekocht, gebraten, geschmort, und wenn sie mit einer Brühe aufgetragen wurden, die gewürzt war wie eine Schildkrötensuppe und eine nicht minder kunstreiche Zusammensetzung zeigte, so schmeckten die Ormeaux etwa wie weicher Kautschuk ohne besonderen eigenen Charakter.

Kautschuk sind auch die „Calamaje“ der Italiener, die Fangarme und Muskelmäntel der Pulpen, Kraken, Tintenfische und Kalmare, die auf allen Märkten an der Seeküste feilgeboten und so lange als frisch gekauft werden, als das schillernde, wechselnde Farbenspiel ihrer Haut anhält. Man kann in Neapel in Gasthäusern und Restaurants keine Schüssel „frittura“ erhalten, mögen es nun Fische oder Akazienblüthen sein, die nicht mit „Calamaje“ ringsum garnirt wäre. Besonders geschätzt sind die Arme junger Sepien und Kalmare, die etwa die Länge und Dicke eines tüchtigen Bleistifts haben. Die Thiere werden an allen Küsten bis hoch in den Norden hinauf in Menge gefangen; in ihrer blinden Wuth stürzen sie sich auf bunte und weiße Lappen, die man an einer Leine hin- und herzieht, setzen sich mit den Hunderten von Saugnäpfen an ihren Armen fest und werden heraufgezogen, ehe sie sich vollständig wieder losmachen können. Ein Messerstich in das Genick hinter den Augen tödtet sie nur halb, aber er reicht doch hin, um das Herausnehmen der Eingeweide aus dem Sacke des Mantels zu ermöglichen. Man wirft die brauchbaren Muskeltheile, Mantel und Arme, in kochendes Wasser, um die Haut abzuziehen, und siedet sie dann in heißem Oele mit Fischen oder anderen Bestandtheilen der frittura ab. Kautschuk, wie schon bemerkt, und oft sogar recht zäher, an dem man die Schärfe der Zähne erproben kann! Kein selbständiger Geschmack, nur derjenige, welchen die Zubereitung giebt! Aber ich habe Leute gekannt, welche für Calamaje fritte schwärmten und sie sogar den feinsten Fischen vorzogen. Ich glaube bemerkt zu haben, daß diese Liebhaber meist junge Leute mit trefflichen Zähnen und einem beneidenswerthen Appetite waren.




Zur Erinnerung an Emanuel Geibel.

Von A. Evers.

Pforte an Geibels Geburtshaus.

Seit am Palmsonntagmorgen 1884 dem deutschen Volke Emanuel Geibel entrissen wurde, fehlte wohl allen denen in unserem alten Lübeck, die ihn gekannt und geliebt hatten, seine theure Gestalt schmerzlich. Wir hatten ihn so oft unsere hochgiebeligen Straßen durchwandern sehen, er und die Stätten, die er hier besungen, gehörten so eng zusammen, es war anfangs gar nicht auszudenken, daß wir ihn nun nie wieder sehen sollten, und wie manches junge Gemüth, das bis dahin wohl glückselig ausgerufen hatte: „Heute bin ich Geibel begegnet, heute habe ich einen glücklichen Tag gehabt!“ empfand ein bitteres Heimweh nach den theuren Zügen. Wie vermißte ihn das Auge an seinem gewohnten Platz im Theater, im Konzertsaal, auf der Lachswehr, überall war eine Leere! Und nun – eher als unsere kühnsten Wünsche es zu hoffen wagten, ist sein Denkmal unter uns aufgerichtet worden, und herrlich hat es der Bildhauer verstanden, durch die Kunst verklärt, die geliebte Dichtergestalt uns wiederzugeben in ihrer schlichten Würde, ihrem stillen Adel.

Professor H. Volz in Karlsruhe ist der Schöpfer des Denkmals und in der Erzgießerei von Gladenbeck in Berlin ward es aus Bronze gegossen. Auf einem Felsblock sitzt der Dichter, gleichsam rastend, in der rechten Hand Buch und Stift, die Linke gegen die Brust gehoben. Die sinnenden Augen sind auf sein einstiges Wohnhaus gerichtet. Um die Schultern wallt ihm ein weiter Mantel, seine Haltung ist frei und natürlich, der Kopf von sprechender Aehnlichkeit. Unten an dem granitenen Sockel schlummert der Genius der Dichtkunst, die Leier, das Sinnbild der Lyrik, und die Maske, das Sinnbild des Dramas, in seinen Händen haltend. Der Platz, auf welchem das Denkmal steht und der seither den Namen „Koberg“ führte, wird künftighin „Geibelplatz“ heißen.

Nicht oft ist wohl in unserem Volke das Standbild eines Dichters so bald nach seinem Hinscheiden erstanden, und während es sonst eine alte Erfahrung ist, daß der schaffende Künstler nirgends so scharf wie in seiner Heimath beurtheilt zu werden pflegt, hat hier die Vaterstadt gerade mit einer so einmüthigen Begeisterung die Feier der Enthüllung dieses Standbildes begangen, daß man wohl sagen darf, würdiger und herzerhebender hätte sie gar nicht erdacht und ausgeführt werden können.

Mit wahrem Feuereifer hatte die gesammte Bevölkerung sich aufgemacht, die Stadt festlich zu schmücken, um ihren Dichter an diesem Tage so hoch zu ehren, wie sie es vermochte. Und hatte er es nicht verdient? Wenn wir auf sein Schicksal zurückschauen und nach dem Leitstern seines Lebens fragen, so erkennen wir, daß der ungewöhnliche Erfolg, der ihm zutheil geworden ist, nicht aus einem launenhaften äußerlichen Glück entsprang, das ihn zufällig bevorzugte, während es andere ebenso begabte Poeten oft so grausam leiden ließ, sondern daß dieser Erfolg doch in einem tiefen inneren Zusammenhang mit seinem ganzen Wesen stand und die Eigenart seiner Poesie und seines Schaffens ihm diese beispiellose Wirkung auf alle zu jugendlicher Begeisterung fähigen Gemüther eintrug.[1] Durch alle Briefe von


  1. Vergl. die Schrift: „Emanuel Geibel. Ein Gedenkblatt von A. Evers.“ Lübeck, F. Grautoff. 1884.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_779.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)