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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

sie zusammen. „Und wenn er dennoch nicht käme!“ Rasch fuhr ihre Hand zur Klingel.

„Befehlet den Abbate sofort hierher!“ herrschte sie Diener an.

Scaglione blieb eine lange Stunde mit ihr zusammen. Als er sich entfernte, war Teresinas letztes Wort:

„Ihr habt verstanden? Daß die Schiffer zuverlässige Leute seien! Führen sie den Befehl zu meiner Befriedigung aus, so zahle ich doppelt. Meinen Namen aber nennt Ihr ihnen nicht!“


17.

In grellem Gegensatze zu der die Bevölkerung in allen ihren Schichten beherrschenden Stimmung stand der Faschingstaumel, der sich der Stadt in diesen letzten Karnevalstagen bemächtigt hatte.

Es war, als wollte sich ein jeder für die düsteren Gedanken, die alles umlagerten, noch einmal aus Herzenslust entschädigen und sich noch zum letzten Male, bevor die Stunde des blutigen Ernstes schlüge, der harmlosen Freude und dem lärmenden Scherze hingeben. An das Herannahen jener Stunde mahnte alles: den Offizieren der schweizer Garde war durch Verordnung des Gouverneurs das Verlassen der Citadelle verboten; ein Kriegsschiff mit neuen Mannschaften wurde aus Neapel erwartet; der Gouverneur hatte Anstalten getroffen, um seinen Palast zu verlassen und ebenfalls in die Citadelle überzusiedeln, – und mitten unter diesen Kriegsvorbereitungen lachte und tanzte der tolle Fasching auf Straßen und Plätzen, und bis tief in die Nacht hinein ertönte aus allen Thüren und Fenstern der sinnbethörendste Karnevalsjubel.

Der Palazzo der Gräfin von Cellamare hatte sich in einen wunderbaren Feenpalast umgewandelt. Geschäftig bewegte sich der Abbate Scaglione unter den Arbeitern herum, welche die letzte Hand an die Ausschmückung der Säle legten; die feinsten Weine standen in langen Reihen für die Gäste bereit; und in ungewohnter Anzahl, von nah und fern waren diese gebeten. Nicht nur die höhere Aristokratie, sondern auch die reichen Kaufmannsfamilien waren geladen, und sogar der Graf, der sich um das, was in seinem Hause vorging, sonst kaum zu kümmern pflegte, hatte sich’s diesmal nicht nehmen lassen, auch an seine Freunde Einladungen ergehen zu lassen, an den Bankier Lerche unter anderen, der ihm Geld zu so niedrigen Wucherzinsen lieh, und auch an seinen alten Jugendkameraden, den jetzt in seine Rechte wieder eingesetzten Marchese della Rovere.

„Was kümmert’s Euch?“ hatte er der Gräfin geantwortet, die sich über diese sonderbaren Einladungen wunderte; „Lerche verkehrt bei dem Gouverneur und ist der brauchbarste Mann von ganz Sicilien, – und der Marchese? Nun, wenn er auch wie ein Bauer dreinschaut, so ist er doch ein Edelmann von altem Schrot und Korn, und wenn er’s auch mit den Liberalen hält, wie man behauptet, so bleibt er doch mein alter Freund, – und besser ist’s, wir versuchen’s noch in letzter Stunde, ihn zu uns herüberzuziehen, als daß wir ihn dem Gesindel von Romeo und Salvatore Merlo überlassen.“

Und, um seiner Sache noch sicherer zu sein, hatte er den Marchese persönlich aufgesucht; die feierliche Einladungskarte würde er schon durch den Diener erhalten, aber mündlich wollte er ihm noch seine kameradschaftliche Bitte überbringen, doch ja bei dem Feste nicht zu fehlen. Der Marchese hatte freundlich zugesagt.

„Ich bin nur ein Landedelmann,“ hatte er mit derbem Handschlag geantwortet, „und werde kommen, wie ich bin. Willst Du mich haben, so wirst Du Dich auch durch meinen Schlapphut und mein unsalonmäßiges Kleid nicht abschrecken lassen.“

Was lag dem Grafen an Schlapphut und unsalonmäßigem Kleide! Freute er sich doch, in dieser bunten und steifen Gesellschaft wenigstens einen zu finden, mit dem er in einem entlegenen Zimmer nach Herzenslust kneipen und rauchen könnte.

Ein Glück war es freilich gewesen, daß er sich persönlich zu dem Jugendfreunde begeben hatte; denn die feierliche Einladungskarte war letzterem nicht eingehändigt worden; mit seinem breiten, dröhnenden Lachen meinte der Marchese dazu, die hätte der Diener am Ende seinem Doppelgänger, dem Marchesendieb zugestellt, und es würde ihn freuen, dieses Kerlchen beim Grafen anzutreffen und mit Fußtritten über das Treppengeländer auf das Straßenpflaster hinunterzubefördern.

Nicht weniger harmlos war die Faschingslust draußen unter der Volksmenge. Von morgens bis abends und von abends bis zum frühen Morgen trieben die Masken ihr Spiel auf Straßen und Plätzen. Troubadoure und Banditen, Ritter und Hanswurste, Mönche und Nymphen tummelten sich in der lärmenden Menge herum; an ihren Scherzen betheiligte sich alles; zwischen wildfremden Menschen entspannen sich rührende Wiedererkennungsscenen; zwischen Engbefreundeten brachen plötzliche Raufereien los, die blanken Degen blitzten in den Fäusten, bis sich alles unter jubelndem Gelächter in einen von Kindertrommeln und schrillen Pfeifchen begleiteten Faschingstanz auflöste.

Bei einbrechender Dunkelheit entfaltete sich der Mummenschanz in seiner ganzen südlichen Fülle und Ausgelassenheit; alles strömte in die Hauptstraße, ein buntes Getümmel, ein sinnbethörendes Geschwirr von Singen, von Rufen, von Lachen. Die Wagen der Adeligen mit den maskirten Damen und Herren waren in das jubelnde Gedränge eingekeilt und bewegten sich nur Schritt für Schritt voran; aus den Nebengäßchen drängten sich plötzlich geschlossene Maskenzüge heraus und alles staute sich in wildem Gewirre; ja, es schien, als läge diesmal in der Maskenfreiheit schon mehr als ein Körnchen von jener andern Freiheit, nach welcher dies Volk sich so ungestüm sehnte. Denn freier als in andern Jahren erlaubte sich die Faschingssatire, mit den höchsten Persönlichkeiten zu scherzen, und über die ernstesten Staats- und Familienereignisse ergoß sich unter dem leichtfertigen Gewande des Karnevalshumors des Volkes beißender Spott. Hier sah man einen in römischer Prokonsulstracht einherstolzirenden Doppelgänger des Gouverneurs, hinter ihm lief, von einer phantastischen Brigantenschar umgeben, ein unter unzähligen Marchesen- und Baronenwappen und -kronen keuchender Advokat, welcher fortwährend Blechpiaster aus seinen Taschen zog, dieselben mit de- und wehmüthiger Gebärde unter seine wilddrohenden Begleiter vertheilte und zugleich mit laut kreischender Fistelstimme dem ihm freundlich zunickenden Prokonsul versicherte, er thue dies nur aus besonderer Privatliebhaberei, er sei der freieste Mann von ganz Sicilien und habe, nur um sich die römischen Liktoren vom Halse zu schaffen, seine besten Freunde als Briganten verkleidet. Dort trieb sich eine Schar von leichtbekleideten Nymphen herum, die einen mit Liebesschleifen überhängten mandolinenbewehrten Ritter in ihrer Mitte fortzogen; nach allen Seiten warf der Ritter Kußhändchen; von allen Seiten drang die lose Rotte auf ihn ein; ein hitziges Handgemenge entstand unter den werbenden Mädchen, wer von ihnen die Bevorzugte sein würde, und ob die Römerin oder die Sicilianerin, die Bäuerin oder die Prinzessin, oder eine in Thränen gebadete, dem entlaufenen Geliebten herzzerreißende Liebesworte nachrufende Schweizerin das rothe, mit weißem Kreuze verzierte, vom Helme des Glücklichen herunterwehende Taschentuch erobern würde.

Zwei Herzen aber schlugen in dieser dem Faschingstaumel geweihten Stadt, an denen all diese Lust und Freudigkeit wie an einer ehernen Mauer abprallte und die sich vergeblich abmühten, jedes in seiner Art und jedes nach seiner Richtung, das Vergangene zu vergessen – oder zu verschmerzen.

Still und in sich gekehrt hatte Felicita die Tage nach ihrer Rückkehr aus der Badiazza in des Vaters Haus verbracht. Sie wollte außer dem Vater niemand sehen; sogar die treue Nina hatte sie zu ihren Verwandten in ihr Fischerhäuschen am Nordrande der Stadt geschickt, als wollte sie alles von sich entfernen, was ihr das Vergangene wieder ins Gedächtniß zurückrufen könnte, – das Vergangene, das sie dem Vater zu vergessen gelobt hatte und an dem doch – jetzt erst fühlte sie es – ihr Herz mit allen Fasern hing. Ach! jenen Schwur, wie hatte sie ihn thun können? Wie konnte sie ihr ganzes Lebensglück opfern? Und doch! Ihrem Vater hatte sie’s geopfert. Und durfte sie des Vaters Ehre brechen um ihrer Liebe willen? Eine düstere Entsagung, ein stummes Ergeben in das Schicksal hatte sich ihrer bemächtigt, hatte sie überwältigt; ihr Leben war geknickt. Sie wußte, was ihr zu thun übrig blieb: an der Seite ihres Vaters für die Freiheit zu kämpfen und vielleicht – wie war es möglich, daß sie diesem Gedanken ihr Herz so lächelnden Sinnes eröffnete? – ja, vielleicht an seiner Seite zu sterben. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_710.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)