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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

läßt, wenn nicht schon der erste Entwurf zur Wiedergabe geeignet ist. Denn es giebt besondere Leute, welche „Figurinen“ zeichnen, und zwar ist auch dieses Gebiet des gewerblichen Schaffens besonders in Paris ausgebildet worden. Es gehört dazu eine große Sachkenntniß. Ein Maler, und wäre es der beste, würde die Fabrikanten wenig befriedigen. Denn gerade weil er die Figuren richtig zeichnen würde, wären sie für jene nicht brauchbar. Die Verhältnisse des menschlichen Körpers sind derart, daß der Kopf etwa ein Siebentel der Gesammthöhe ausmacht. Schlagen wir ein Modeblatt auf: da bildet der Kopf oft nur ein Elftel der Figur. Die Gestalten sind in die Länge gezogen; solchen Frauen, wie man sie dort sieht, würden die Kinder auf den Straßen nachlaufen, wenn sie überhaupt vorhanden wären. Diese Mißbildung aber gerade ist es, welche die Figurinen der Frauenwelt als schön erscheinen läßt. Die Kunst schwankt stets zwischen unabsichtlichen Verzeichnungen hin und her. Bald sollen ihre Gestalten kräftig erscheinen und werden leicht zu dick und kurz: so bei Niccolo Pisano, dem vortrefflichen italienischen Bildhauer des 13. Jahrhunderts, bei dem der Kopf oft bis zu einem Fünftel der Gestalt anwächst. Dann, wenn es gilt, geschmeidige, durchgeistigte Wesen zu schildern, strecken sich die Körper, so z. B. in der Zeit der Gothik, bis zur komischen Wirkung. So geht es auch in der modernen Kunst. Man braucht nur einmal mit dem Zirkel in der Hand die Zeichnungen namentlich der beliebten „Spezialartisten“ nachzumessen: der Kopf der vornehmen Leute, ihre Füße und Hände schrumpfen da zu Abmessungen zusammen, die in Wirklichkeit lächerlich oder krankhaft erscheinen würden. Aber gerade infolge dieser Verzeichnungen erscheinen sie als vornehm. Im 15. Jahrhundert galt ein vorgedrückter Leib, eine Stellung in der S-Linie bei Frauen für schön, heute ist’s eine Wespentaille.

Die Figurine aber soll durch die Künste des Zeichners die Frauen verleiten, das Kostüm nachzuahmen, die „Bezugsquellen“ sind angegeben, die Wahl der Stoffe soll erleichtert werden – d. h. jene Beeinflussung der Frauenwelt, welche in Paris auf der Börse der Eleganz, den Boulevards, und durch die großen Magazine ausgeübt wird, vollzieht sich in Deutschland, wo der geschäftliche Mittelpunkt fehlt, auf litterarischem Wege. Wenn dann das Kostüm genau nach der Figurine geschneidert werden soll, bemerkt man mit Schrecken, daß jene Eleganz nicht zu erreichen ist, welche die Modejournale zeigen, daß es am wahrhaft schönen Frauenleibe an Platz fehlt, um die Falten so zu legen, wie sie an jenen Modehopfenstangen verlockend angeordnet sind.

Die Modeblätter sind eine Macht geworden, die kein Fabrikant umgehen kann, und der Aufschwung der Berliner Konfektion hat zweifellos engen Zusammenhang mit dem Blühen der Berliner Modezeitungen, welche die ersten der Welt geworden sind.

Also auch die Mode im Berliner Konfektionshandel ist nicht von den Frauen abhängig. Der Großschneider macht eine Anzahl Versuche mit neuen Mantelformen, er schickt sie auf die Reise und liefert, was die Händler bestellen, wenn er nicht in einem vielbesuchten eignen Laden die nöthige Fühlung mit der Frauenwelt bekommt. In einem derartigen Laden ist der Käufer ganz willenlos, wenigstens außerhalb des ihm vom Händler freundlich gelassenen Spielraums. Da heißt’s, eines der „modernen“ Muster kaufen oder gehen! Denn wie viele Damen haben den Muth, selbständige Formen zu entwerfen, und wie viele Händler Zeit und Lust, auf die Wünsche einzugehen? Schreitet das Konfektionswesen fort, gelingt es dem Großkapital, die kleineren, im einzelnen arbeitenden Schneider zu verdrängen, so wird die Einförmigkeit der Mode bei schnellem Wechsel immer mehr steigen. Die Berliner Fabrikation hat es ja schon dahin gebracht, daß nur noch verhältnißmäßig wenig Frauen sich einen Mantel anfertigen lassen, der für sie besonders hergerichtet ist. Von der Fürstin bis zum Ladenfräulein ist nur der Werth des Stoffes und die Verfeinerung der Arbeit das Unterscheidende, der Schnitt, die Mode ist bei ihnen allen schon fast gleich. Nur bringt der Händler die besseren Waren zuerst auf den Markt, um sie sich als „Nouveauté“, als „letzte Neuheit“, doppelt so gut bezahlen zu lassen. Schreitet diese Form der Kleidererzeugung fort, so wird vielleicht die Zeit kommen, in der wir uns nach der Launenhaftigkeit der Mode wieder sehnen, nachdem die Einförmigkeit der Kleidung ganz außerordentliche Steigerung erlebt hat. Also waren es in diesen Gebieten die Fabrikanten, welche die Mode von Paris frei machten, nicht das kaufende Publikum.

Es ist ein großer Irrthum vieler Händler, daß sie glauben, die Käufer wollten französische Waren erstehen. Erst wenn den letzteren eingeredet wird, das Fremde sei besser, fordern sie Fremdes. Und sehr mit Recht, denn es ist eine unbillige Forderung an den Patriotismus, daß wir das minder Preiswerthe kaufen sollen, weil es deutsch ist. Diese Selbstaufopferung hat kein Volk der Welt. Wenn aber das Deutsche anerkannt ebenso gut oder besser als das Fremde ist, so werden nur vereinzelte Narren oder Närrinnen das einheimische Erzeugniß verschmähen.

Eine Erfahrung jedoch, welche ich einst ist Gesellschaft eines Musterzeichners in Hamburg gemacht habe, giebt zu denken.

Ein Kaufmann zeigte uns Stoffproben, deutsche und französische. Die letzteren waren zwar theurer, aber auch unvergleichlich besser. Mein Gefährte, der, wie sich später zeigte, eine Reihe der vorgelegten Muster selbst entworfen hatte, ließ sich die ganze Karte zeigen, ehe er sein Urtheil abgab. Dies fiel aber auch um so derber aus. Der Händler hatte nämlich alle Probeabschnitte zusammengelegt, die besseren als französisch auf die Seite gethan, während die häßlicheren und minderwerthigen, gleichviel woher sie stammten, als deutsch bezeichnet wurden. Die „französischen“ waren dann aber auch, wie es mit erkünsteltem Bedauern hieß, sehr viel theurer: „Solche Ware geht eben nicht in Deutschland, darauf können sich unsere Fabriken gar nicht einlassen.“

Auf unsere Vorwürfe antwortete der Händler: „Was wollen Sie, die feinen Leute kaufen die Sachen nicht, wenn ich sage, sie seien aus Crefeld oder Glauchau!“

Freilich, sie kaufen nicht, weil man ihnen eben erst den Gedanken eingeimpft hat, das Beste stamme nicht daher. Als der Kaiser von Marokko dem Kaiser Wilhelm II. die herrlichsten Brokate durch seine Gesandtschaft überreichen ließ, wußte der Schenker auch nicht, daß diese Erzeugnisse orientalischer Prachtliebe in – Crefeld gefertigt seien! Aber es ist ärgerlich, daß die Fabrikanten nicht durchsetzen, daß es der Kaiser von Marokko erfährt, woher seine Ware kommt, sondern mit pfiffiger Miene zuschauen, daß man ihr Werk für ein fremdes ausgiebt.

In Deutschland giebt es genug Leute, welche trotzdem in solchem Vorkommniß einen Sieg des deutschen Gewerbes sehen. Mir will es als ein Mangel an nationalem Rückgrat bei den Fabrikanten erscheinen. Der Engländer und Franzose ist eben überzeugt, daß sein Werk als das beste in der Welt gilt, und sorgt dafür, daß seine Fabrikmarke als Ehrenschild das Erzeugniß decke, während wir oft noch froh sind, wenn unseres unter falscher Flagge für das beste genommen wird!

So sind es eben die Fabrikanten, welche im Wandel der Mode der Vorwurf der Abhängigkeit vom Ausland trifft, und mehr noch die Kaufleute – nicht etwa die Frauen! Und es giebt thatsächlich Wege, um einen Wandel zu schaffen, namentlich durch eine systematische Ausbildung des Musterfaches für die Mode. Der Staat, der ja leider bei uns immer als Allerweltsretter angerufen wird, kann hier wenig machen. Die Fabrikanten sollten aus sich heraus die Anregung geben, daß ein höher stehender Zeichnerstand, ein solcher, wie er seit 1870 für Tapeten, Möbelstoffe u. dergl. thatsächlich sich ausgebildet hat, herangezogen werde, Leute, welche eigene schönheitliche Gedanken zur Ansführung bringen, ohne die Fühlung mit dem allgemeinen Geschmack zu verlieren, welche vor allem aber in der Lage sind, in den Uebergangszeiten den Sinn auf das Schöne hinzulenken und nicht auf kecke Uebertreibungen der angeregten Moderichtung. Denn diese Uebertreibung ist es, welche das Neue bald ungefällig macht und es durch Neueres verdrängen läßt. Die unkünstlerische, ungeschulte, dilettantische Schaffensart innerhalb der deutschen Modemacher ist ein wesentlicher Grund unserer Abhängigkeit vom Ausland. Wo an deren Stelle zielbewußtes Vorgehen trat, wie etwa bei den Herrenhutmachern, hat sich die Sache schnell geändert.

An die Fabrikanten und Händler also sind die Schmerzensschreie der Aesthetiker, der Bekämpfer der Moden zu richten, nicht an die Frauen, von denen die einzelne ein Tropfen in einer Brandung ist, willenlos dem Zuge der Woge folgt und stolz ist, sie kurze Zeit als glänzender Schaum geschmückt zu haben, ehe sie wieder zurückfluthet in das Meer der Allgemeinheit.




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