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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 40.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Sicilische Rache.

Ein Kulturbild aus den vierziger Jahren von A. Schneegans.
(Fortsetzung.)
13.

Verlaß uns, Nina, ich habe mit meiner Tochter allein zu sprechen,“ sagte beim Hereintreten Romeo in kurz befehlendem Tone zu Felicitas Begleiterin.

Es entging seinem beobachtenden Blicke nicht, daß Nina erblaßte und daß Felicita auf ihrem Stuhle zusammenzuckte. Er blieb in der Mitte des Zimmers stehen.

„Felicita,“ sprach er, die Worte scharf betonend, „warum hast Du mir heute morgen verheimlicht, was gestern hier geschah?“

Der Vorwurf in dieser Frage klang fast wie eine Anklage gegen sie, die Schuldlose! Warum hätte sie ihrem Vater heute morgen die Freude des Wiedersehens trüben sollen? Wie konnte sie ihm alles erzählen? Er hatte es so eilig und so wichtige Geschäfte erwarteten ihn bei den Freunden! Am Abend, in traulicher Unterredung, gedachte sie, ihm ihr Herz zu eröffnen. Und nun? Warum sprach ihr Vater in diesem Tone zu ihr, die sich nichts vorzuwerfen hatte?

„Ich gedachte, es heute abend zu thun, Vater! Zu wichtig war es ja, um …“

Eine furchtbare Zornesflamme loderte in Romeos Herzen auf.

„So ist etwas geschehen? So hatte der Abbate recht?“ rief er, und mit geballter Faust auf sie zutretend, herrschte er sie an: „Rede! Was geschah? Und, bei Deinem ewigen Heile! verschweige nichts!“

Felicita trat einen Schritt zurück. Der Stolz der beleidigten Unschuld bäumte sich in ihr auf. „Seit wann habe ich meinem Vater Ursache gegeben, seine Tochter einer niedrigen That zu zeihen? Du sprichst zu mir wie zu einer Angeklagten; Du hast mich noch nicht gehört und Du klagst mich an? Du hast mich noch nicht befragt und schon hast Du mich verurtheilt? Wer gab Dir dieses Recht?“

Romeo schwieg. Sein Auge ruhte auf ihr. So sprach keine Schuldige.

„So sprich!“ sagte er ruhiger und setzte sich.

Sie sprach; – sie erzählte ihm, wie sie zur Kirche gegangen sei, um für ihn zu beten; wie der Sturm losgebrochen, wie sie emporgerissen und fortgetragen worden sei, und wie sie, aus ihrer Ohnmacht erwachend, den Offizier in ihrem Zimmer, hier, wo sie jetzt mit ihrem Vater sitze, vor sich gesehen habe.

„Und dann?“ sprach Romeo mit dumpfer Stimme, als sie innehielt.

„Dann, Vater!“ rief sie, und vor dem geliebten Vater sank sie in die Kniee, und tief in sein Auge blickend, fuhr sie fort: „Glaubst Du mir, Vater? Oder zweifelst Du, ob Felicita Dir die Wahrheit sage?“

„Die Wahrheit?“ rief aber Romeo, indem er sie mit wilder Gewalt von sich stieß; – „die Wahrheit? – Du bist seine Geliebte! Das ist die Wahrheit! Fluch über Dich, Elende!“ Eine unbändige Wuth sprühte in seinem Auge.


Guten Morgen!
Nach einer Photographie von H. Schröder in Bremerhaven, Verlag von E. Schröder in Bielefeld.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_669.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)