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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die Gendarmen schauten einander betroffen an.

„Filippo!“ kreischte der Kleine mit widrigem Lachen; „nur Geduld! Dein Stündlein wird schon schlagen.“

„In der Hölle freuen sie sich, Dir nächstens den Rest Deines falschen Marchesenfettes von dem Gerippe herabzuschmoren, – Baronenhund!“ antwortete der Alte und schaute ihm lautauflachend nach, wie er sich mit seinen Dienern in der Richtung nach der Stelle, wo der Schuß gefallen war, entfernte.

Der Brigadiere hatte einen Augenblick gezögert, ihm zu folgen. Raffaelo trat rasch auf ihn zu.

„Wenn Du den Antonino suchen willst,“ sagte er, ihm scharf ins Auge schauend, „so rathe ich Dir, morgen, – verstehst Du? morgen! – an das Meer dort unten, zwischen Letojanni und Giardini, zu gehen! Auf die Berge brauchst Du Deine Leute nicht zu schicken, – dabei wär’ nichts zu verdienen, – verstehst Du?“

Der Gendarm lächelte bedeutsam.

„Und wenn ich zufällig zwischen Letojanni und Giardini nichts finden sollte?“

„Was Du auf den Bergen finden würdest, nützte Dir doch nichts! Wird aber von einem andern dort oben ein Schatz gehoben, so bleibt’s bei der Verabredung – halbpart!“

Der Brigadiere grüßte und entfernte sich.

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Als am andern Tag beim ersten Morgengrauen der Marchese vor seiner Hausthür dem Freund zum Abschied die Hand reichte, rief er dem auf seinem Esel sich zum Weiterreiten Einrichtenden mit derbem Lachen zu:

„Philosophire und spintisire nicht allzu viel, Romeo! Ein jeder treibt’s, wie er’s versteht! Du hast recht und Salvatore hat auch recht, und ich habe recht – und Antonino hatte gestern an jener Straßenecke auch wieder recht! – und wer weiß, wer heute oder morgen dort oben oder dort unten ebenso recht haben wird! Aber Gesindel bleibt Gesindel! Darum nur drauf und dran! Und hab’ ich keinen Säbel, so nehm’ ich ein Messer zur Hand, und hab’ ich kein Pferd, so pflüge ich mit dem Hund, – und, Du magst nun sagen, was Du willst, freuen wird es Dich doch, wenn Du erfährst, daß es Deinen und meinen Feinden auf die eine oder auf die andere Art recht schlecht ergangen sein wird. Und höre noch ein Wort, Romeo! Ein Pfaffenfreund bist Du so wenig als ich, – und doch, wer hat vorgestern in San Placido mit Euch verhandelt?“

Romeo erhob abwehrend die Hand.

„Zwischen Kloster und Maffia, zwischen patriotischen Mönchen und räuberischem Mordgesindel ist ein Unterschied!“

Aus der Nebengasse ertönte Hufschlag. Romeo hielt inne.

„Es ist nichts!“ beruhigte ihn der Marchese, – „unser Freund Raffaelo wird Dir das Geleit über die Berge geben.“

„Raffaelo? Weshalb? Ich kenne den Weg.“

Raffaelo war zu den beiden getreten.

„Laß gut sein, Romeo!“ lächelte er bedeutsam; „auf den Bergen ist’s heute nicht gar sicher. Ein gewisser neugebackener Edelmann soll heute jenen Weg einschlagen, und Du weißt ja, Antonino Merlo war gestern nicht drunten am Meere und dürfte wohl heute auch nicht dort unten zu finden sein. Dort oben aber – wenn ein neugebackener Edelmann heute zufälligerweise dort oben Leute antreffen sollte, die ihm sein zusammengestohlenes Geld abnähmen und ihn auf einige Tage aufs Trockene setzten, – aufs Trockene oder ins Feuchte, wie’s eben kommt, man kann ja nicht so wählerisch sein – nun, so möchte ich nicht, daß ein braver Mann, wie Du einer bist, mit den Freunden jenes Edelmannes verwechselt würde … Mich kennt jeder Felsen und Stein dort oben, und unter meinem Geleit reitest Du heute sicherer – als unter aller Gendarmen Geleit.“

„Haha!“ lachte der Marchese zu Raffaelos Worten; „die Fische, nach denen die braven Gendarmen zwischen Letojanni und Giardini im Meere angeln, haben sich in Adler verwandelt, die heute wohl dort oben einer Krähe die Augen aushacken werden. Lebe wohl, Romeo, und überlasse das unnütze Spintisiren den andern! Die Alten bleiben wir unentwegt, – und wenn’s losgeht, so ist mein Pulver trocken, – und wär’ es naß geworden über Nacht, so giebt’s Feldsteine am Weg zum Kopfzerspalten.“

Stumm reichte ihm Romeo die Hand und trieb seinen Esel den Berg hinan.


7.

Hinter der letzten Krümmung des Thales der Badiazza, wo die immer enger und düsterer vom Meere zu der pelorischen Gebirgswand sich hinaufwindende Kluft sich plötzlich erweitert und einen inmitten dieser furchtbaren Wildniß beinahe anmuthig zu nennenden Thalkessel bildet, lag Romeos Landhaus, ein kleines gelbbemaltes, von einem Citronen- und Orangengarten umgebenes Häuschen, das sich der Tischlermeister aus den herumliegenden, von den seit langen Jahrzehnten zusammengestürzten Klostergebäulichkeiten herrührenden Steinen aufgebaut hatte. Der in den Sommermonaten trocken liegende, im Winter aber zum schäumenden Gießbach sich wandelnde Torrente hatte längst in seiner hundertjährigen Arbeit die Erde von den nackten Bergesfelsen abgespült; langsam hatte sich die Thalsohle erhöht; die alten Wirthschaftsgebäude des Klosters lagen schon fast bis zum Dache in Schutt begraben; die früher auf einem steilen Hügel stehende Kirche erhob sich kaum noch einige Meter hoch über das unaufhaltsam herunterrückende Bergesgeröll.

Romeos Haus lag an die Anhöhe gelehnt, am Ende einer zwischen verfallenen Klosterkellern sich in die Höhe ziehenden Gasse, welche es von den Verheerungen des Torrente trennte und deren Ausgang nur ein paar Schritte von der Kirche entfernt war, wo Felicita jeden Morgen ihre Andacht verrichtete.

Heute jedoch war Felicita mit andern Gedanken beschäftigt und zum Kirchgang hatte sie noch keine Zeit gefunden. Durch ihre halbverschlossenen Persiennen ließ sie seit den ersten Tagesstunden schon ihren Blick über die Thalstraße schweifen, die von Messina zu den Bergen herauf führte.

„Sieh, Nina,“ rief plötzlich das Mädchen, ihre Begleiterin zu sich ziehend, „sagte ich’s nicht? … Dort kommt er!“

Ein Reiter war von der Fahrstraße zu dem Torrente heruntergebogen. Er trug die Uniform der schweizer Offiziere. Nur das Auge der Liebe vermochte aber in dieser Entfernung die Gesichtszüge zu erkennen oder zu errathen.

„Er schaut sich um! … er sucht den Weg! … sind wir doch gestern abend gerade an dieser Stelle seinen Augen entschwunden! … diesmal wird er aber den Weg finden.“

Ein triumphirendes Leuchten flog durch den Blick, der diese Worte begleitete.

„Ja wohl!“ erwiderte nach kurzem Schweigen Felicitas Gefährtin, „wenn es gilt, den hübschen Mädchen nachzuforschen, so finden diese Herren immer den Weg.“

„Es müßte denn,“ fiel ihr Felicita lächelnd und vorwurfsvoll ins Wort, „eine Nina dabei sein, die es versteht, im Dunkel eines Klosterganges den Suchenden vorbeistürmen und ihn die Spur verlieren zu lassen.“

„Madonna Santissima! Und wäre es wieder zu thun, ich thäte es wie gestern. Dein Vater hat Dich mir anvertraut und ich bin seine getreue Dienerin.“

„Das sollst Du auch bleiben, Nina! Aber mich hast Du auch lieb, und wenn ich Dich darum bäte, Du würdest mir doch sicherlich nicht wehren, wenn ich jetzt mein Taschentuch durch die Spalten der Persiennen hinaushinge und dem Offizier ein Zeichen gäbe, damit er das Haus fände.“

Mit rascher Hand hielt Nina sie aber zurück.

„Nein! das thust Du nicht! Ein Schweizer! Ein Feind!“

„Ein Schweizer, ja! ein Feind, nimmermehr! Jener dort ist ein Freund unseres Volkes, – Du hörtest es ja gestern aus seinem eigenen Munde! … Sieh hin, Nina, sieh hin! Meine Blume, die ich ihm gab, trägt er im Knopfloch! Er liebt mich, Nina, er liebt mich!“

Abwehrend und wie beschwörend erhob Nina die beiden Hände.

„Barmherzige Mutter Gottes!“ rief sie, „liebst Du denn diesen Schweizer?“

Felicita schaute einen Augenblick schweigend in die Ferne.

„Lieben?“ sagte sie endlich; – „weiß ich, was das heißt: lieben? – Ja,“ fuhr sie dann plötzlich auf wie mit einem Aufschrei des Herzens, „wenn Liebe so viel heißt, daß jener dort seit Tagen und Wochen all mein Denken erfüllt, – daß ich mich sehne, ihn wieder zu sehen, seine Stimme zu hören, in sein Auge zu schauen, – daß ich mir vorkomme, als müsse ich ewig mit ihm leben, – daß sein Tod auch mein Tod wäre, – ja, dann hast Du recht, wenn Du sagst: ich liebe ihn.“

Händeringend warf sich die Magd zu ihren Füßen.

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