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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Mit diesen Ansichten konnte der gerade und ehrliche Romeo sich nicht befreunden, und heute wieder war er deshalb in heftigen Wortwechsel mit dem alten Merlo gerathen.

„Siciliens Ehre willst Du beflecken, Salvatore!“ rief er aus; „mit Mördern dürfen wir nichts gemein haben!“

Merlos hagere Gestalt richtete sich auf, ein unheimliches Funkeln flog durch sein Auge.

„Waren unsere Väter Mörder, als sie die Vesperglocke läuteten?“ erwiderte er scharf.

„Andere Zeiten, andere Waffen!“

„So soll das Blut unserer Brüder fließen? so sollen unnützerweise unsere Kinder vor die Kanonen der neapolitaner Henker geführt werden?“

„So soll gesagt werden, daß die sicilischen Bürger sich mit Banditen und mit entlaufenen Galeerensträflingen verbündet haben? und daß ihnen der Muth fehlte, ihr eigenes Leben für die Freiheit des Landes zu opfern? und daß sie, um ihre Unabhängigkeit zu erringen, Söldner dingen mußten, – wie König Ferdinand, um seine Krone zu vertheidigen? Und welche Söldner, heilige Madonna! Dieselben Gesellen, die für einen reicheren Lohn ihren Dolch gegen uns und unsere Freunde zu zücken bereit wären, dasselbe Gesindel, das dem ersten besten eifersüchtigen Ehemann, dem ersten besten abgewiesenem Freier die Hilfe seiner feilen Mörderhand zusagt und dem Sicilien verdankt, in Europa als eine Räuberhöhle verrufen zu sein!“

„Ich nehme die Waffen, die ich vorfinde und die am sichersten treffen. Mit Schergen kreuzt man nicht den Degen, gegen Schergen zückt man den Dolch! – Und unter den Banditen, das weißt Du so gut wie ich, giebt es auch brave Männer … und,“ fügte er mit einem raschen Seitenblick auf die Mönche hinzu, „manche andere reichen sich heute die Hand, die sonst keine Freunde waren! Wir verfolgen alle dasselbe Ziel, allein es giebt eine Art, demselben nachzustreben, – die viel eher ein Verrath …“

Er wurde von dem Prior unterbrochen.

„Salvatore Merlo!“ sagte dieser, indem er begütigend die Hand auf des erregten Volksmannes Schulter legte, „haltet Eure Gedanken zurück und laßt solche Worte sich nicht unter die heißblütige Menge verirren! Denn nur unseren gemeinsamen Feinden würden sie Nutzen bringen. Von Messina allein hängt dies übrigens nicht ab, wir müssen mit den andern Städten Siciliens übereinstimmen. Padre Bartolomeo, den uns gestern die Brüder aus Palermo sandten, mag uns sagen, wie Siciliens Hauptstadt denkt.“

„Palermo ist nur Palermo, nicht mehr als Messina!“ rief Salvatore unwillig zurück, „eine Hauptstadt Siciliens giebt es nicht!“

„Erlaubt, daß ich spreche!“ unterbrach mit klangvoll tiefer Stimme der durch des Priors letzte Worte zum Reden Aufgeforderte den Messineser.

Von einem alten Normannengeschlechte mochte wohl dieser urkräftige, wie aus einer mittelalterlichen Statuengruppe herausgebrochene Mönch stammen, den das Palermitaner Kloster della Gancia zu den Messineser Freunden geschickt und um dessentwillen der Prior heute die Volksführer nach San Placido zusammenberufen hatte. Seine Worte entsprachen seiner Gestalt; sie fielen wuchtig wie Keulenschläge:

„Das Werk, das wir zusammen vorbereitet haben, müssen wir zusammen ausführen! Verräther sind diejenigen, die in dieser Stunde Zwietracht unter uns ausstreuen. Ob Messina oder Palermo Hauptstadt des künftigen unabhängigen Siciliens sein soll, ist heute Nebensache. Messina und Palermo sind Schwesterstädte; gehen sie Hand in Hand, so fällt die neapolitanische Herrschaft in Trümmer; gehen sie auseinander, so bricht Sicilien in Stücke! Nicht immer werden wir ja alle, die wir hier versammelt sind, zusammen gehen; aber heute gehen wir zusammen! und an heute müssen wir heute denken! Wie Ihr in Messina es anfangt, um die Neapolitaner zu verjagen, ist Eure Sache! Wie wir in Palermo, ist die unsrige! Aber verjagt müssen sie werden durch uns alle zusammen! Noch eine Woche brauchen wir in Palermo, dann sind wir zum Kampfe bereit; – wie viel Zeit braucht Messina?“

Tiefes Schweigen antwortete dem Mönche. Die Augen der Brüder richteten sich auf die beiden Volksmänner. Romeos Blick haftete auf der Erde. Seine Antwort hätte lauten können: Messina braucht weder eine Woche, noch einen Tag; morgen steht es kampfbereit auf der Straße! – Anders aber lautete Romeos Antwort: „Den Brüdern in Palermo darf es nicht einerlei sein, mit welchen Waffen Messina kämpft, denn auch unsere Ehre muß gemeinsam sein. Giebt mir Salvatore sein Wort, daß unser Volk nicht Gefahr läuft, neben Mordgesindel kämpfen zu müssen, so bin ich bereit, morgen schon das Zeichen des Aufstandes zu geben, – morgen, oder in einer Woche, oder in einem Monat, oder in einem Jahr! – giebt er mir aber dies Wort nicht, dann, soweit ich allein zu gebieten das Recht hätte, weder morgen noch in einem Jahre!“

Salvatore war aufgesprungen; er ballte die Faust gegen ihn.

„Romeo!“ rief er, „das ist …“

„Laß mich ausreden, Salvatore! – Soweit ich allein zu gebieten das Recht hätte, sagte ich; dies Recht erkenne ich mir aber nicht zu! Gebt mir eine Woche, ich werde sie benutzen, um mit unsern Freunden in Taormina und in Milazzo zu überlegen, ob wir auf die Gefahr hin, mit Salvatores … Freunden verwechselt zu werden, vorgehen wollen oder nicht.“

„Wer sind Deine Freunde in Taormina und Milazzo?“ fragte der Palermitaner.

„Der Marchese della Rovere in Taormina.“

„Welchen meinst Du? Don Filippo oder Giuseppe Russo?“

„Den Marchese meine ich!“ erwiderte Romeo mit Nachdruck, als läge diesem Titel eine besondere Bedeutung bei.

„Ich weiß ja! Auch für uns bleibt Don Filippo der einzige und echte Marchese. Aber so lange eben die Richter kein endgültiges Urtheil gefällt haben, ist sein ehemaliger Verwalter, der Giuseppe Russo, im Besitze des Titels, den er dem Alten streitig macht. Nächster Tage wird der Gerichtshof in Palermo entscheiden.“

„Der Giuseppe Russo ist ein Hund!“ fuhr Salvatore dazwischen; „mein Sohn Antonino weiß ein Lied davon zu singen. Er schindet die Bauern, als wären sie Sklaven … aber heute oder morgen …“

Er sprach den drohenden Satz nicht aus.

„In Milazzo,“ fuhr der Mönch fort, „gedenkst Du wohl den alten Petrone zu besuchen? Ein Freund der Kirche ist er nicht, aber als Verbündeten nehmen wir den ehrwürdigen Philosophen und Patrioten gern an. Ueberbringe ihm meine Grüße! Sein Wort ist lauter wie lauteres Gold.“

„Ja! ein ehrlicher Phantast!“ lachte Salvatore hämisch.

Romeos und des Palermitaners Blicke begegneten sich. Der Mönch war aufgestanden.

„Eine Woche braucht Romeo; eine Woche braucht Palermo; nach einer Woche sprechen wir uns in Messina wieder!“ – Und dem Tischlermeister lächelnd die Hand reichend, fügte er hinzu: „Deine Tochter hat nun lange genug gewartet; rufe sie herauf zu uns! Das Essen mag wohl bereit sein, und das Essen soll man ebenso wenig warten lassen als … die Mädchen, wie man sagt.“

Als Felicita, dem Rufe ihres Vaters folgend, mit ihrer Begleiterin in das obere Stockwerk trat, wurde sie von dem wachehaltenden Mönch in die große, eine Ecke des gewaltigen Baues einnehmende Speisehalle geführt. Das weitgeöffnete Fenster schaute hinaus auf das blaue Meer und auf die im Schimmer der Abendsonne verglühenden Kalabresergebirge.

„Wie die Leutchen da unten sich sputen!“ sagte der Palermitaner, indem er sich über den Balkon zu dem Orangengarten hinunterbeugte, wo gerade die kleine gräfliche Gesellschaft damit beschäftigt war, ihre Siebensachen in Körbe einzupacken. – „Seht doch! ein Abbate ist auch dabei! Kennt Ihr diesen da, Bruder Jacopeo?“ fragte er den Prior.

„Wer kennt den Abbate Scaglione nicht?“ antwortete dieser, indem er mit den andern auf den Balkon hinaustrat; „ein weißer Rabe in der sicilischen Geistlichkeit! ein Freund der Neapolitaner … und der Gräfin Cellamare! … Sieh! er schaut herauf! … Seid gegrüßt, Abbate! wie geht es Euch?“

„Wie soll es gehen, Padre Jacopeo?“ antwortete es in launig pathetischem Tone, „so gut und so schlecht es einem eben gehen kann, der einen theuren Freund vermißt! Nehmt Euch in acht dort oben! Ein schweizer Offizier hat sich in Eurem Kloster verirrt – oder versteckt. Ich glaube gar, er läuft einem hübschen Mädchen nach.“

Die Gräfin schaute zu den Mönchen hinauf. Wie eine liebliche Blume lächelte Felicita aus der Mitte der dunklen Gestalten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_598.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)