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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

von einem einfachen Mönch vollzogen, ist ungültig – oder der Churer katholische Bischof der Bündnerlande müßte sie denn mit Brief und Siegel bestätigt haben.“

„Ihr hört es, Landgenossen – und auch Du, Peider, mein Weib, meine Tochter – Ihr alle habt es jetzt vernommen: die Trauung ist ungültig!“ rief Madulani mit triumphirendem Ton.

„Verzeiht, Cavig und Ammann,“ sprach da ruhig und bestimmt eine fremde Stimme, „die Trauung und Heirath ist vollständig gültig: hier die Unterschrift und das Sigillum des Bischofs von Chur.“

Es war der Mönch Fra Battista, der auf seinem Grauthier die Reise von und nach Chur genau, wie er sie geplant, zurückgelegt hatte. Schon vor einer Weile war er unbemerkt herangetrabt, hatte in der Menge geborgen den Vorgang beobachtet und war im entscheidenden Augenblick in den Kreis getreten, mit seinen letzten Worten dem Madulani in hocherhobener Hand ein Schriftstück entgegenhaltend, von dem an einer breiten und bunten Doppelschnur ein großes, rothes Siegel niederhing.

Die Mutter, das junge Paar stießen bei seinem Erscheinen einen dreifachen Freudenruf aus, und durch die Menge ging ein so gewaltiges Staunen, daß es sich nicht anders als in einem hauchartigen Flüstern Luft zu machen vermochte. Selbst der starke Cavig war wie niedergeschmettert, seine mächtige Gestalt zitterte und kaum noch vermochte er sich auf den Beinen zu erhalten; seine ganze Kraft, den Rest seines eisernen Willens mußte er zusammenraffen, um nicht niederzusinken.

Fra Battista grüßte seine Schützlinge im Vorbeigehen leicht mit dem Haupte, schritt auf den Cavig zu und reichte ihm die Urkunde, welche in der That die Unterschrift und das Siegel des Bischofs von Chur trug. Madulani ergriff zögernd das inhaltschwere Papier und begann die darauf befindliche Schrift zu lesen. Der große weiße Bogen mit seinem herabhängenden Siegel zitterte merklich in seiner Hand und die Buchstaben schwirrten kaum erfaßbar vor seinen Blicken. Doch, was er zu entziffern vermochte, war für ihn genug; er sah, er erkannte die Unterschrift, das Siegel des Bischofs und wußte, daß jetzt alles verloren war, daß sein Weib – sein eignes Weib! – ihn besiegt – oder vielmehr überlistet und tödlich getroffen hatte. Eine ganze Weile stand er da, als ob ihm mit der körperlichen Kraft auch alle Kraft seines Denkens abhanden gekommen – als ob er ein alter, schwacher Greis geworden wäre.

Alle Zeugen dieser Vorgänge schienen nicht minder ergriffen zu sein als deren Hauptpersonen, wie Mutter Barbla, Aninia und Beppo folgten sie in athemloser Spannung dem Thun des gefürchteten, nun sichtlich gebrochenen Mannes. Plötzlich – ganz unerwartet schnellte Madulani empor, noch einmal loderte sein wilder Zorn ungebändigt auf. Das Schriftstück mit beiden Händen fassend – als ob er es zerreißen wollte, schrie er, jetzt in der That sinnlos vor Wuth:

„Und ich sage nochmals: die Heirath ist dennoch ungültig! ich, der Vater und der Cavig, trenne – zerreiße den unnatürlichen Bund, wie ich dies elende Papier hier –“

Doch weiter kam der Tobende nicht. „Halt ein! – Halt ein!“ schrie es von allen Seiten, und zugleich erfaßten die ihn umringenden Männer mit aller Kraft seine Arme, um ihn mit Gewalt an dem gesetzwidrigen Thun zu hindern, das nur schlimme Folgen für ihn wie für die ganze Gemeinde haben konnte.

Mit dem herzzerreißenden Ausruf: „Vater! Vater!“ waren Mutter Barbla und Aninia, Beppo mit sich reißend, auf Madulani zugestürzt und hatten sich ihm zu Füßen geworfen. Weinend streckten sie die Hände nach ihm aus und in verzweiflungsvollem Ringen flehten sie um seine Vergebung.

Keuchend stand Madulani da, mächtig hob und senkte sich seine Brust, und mit aller Gewalt rang er, nur noch einige Augenblicke Ruhe zu gewinnen, denn er fühlte, daß es mit seiner Kraft zu Ende ging. Dann stieß er keuchend – abgerissen hervor:

„Nun denn – da alles gegen mich ist – sollt Ihr Euren Willen haben. Ziehe hin und werde eine Bettlerin! – meine Tochter bist Du nicht mehr! Das einzige, was ich Dir noch gebe, ist – dieser Wisch!“ Damit schleuderte er mit roher Gewalt die Urkunde den Seinigen vor die Füße. – „Und als Papisten verbanne ich Euch beide aus Surley; das ist mein, des Cavigs Recht! Niemand – wer es auch sei! – soll und darf Euch als Eheleuten Unterkunft geben – so lange Grund und Grath stehen. Niemals soll ein Dach mit Euch mich decken. Das schwöre ich hier, im Angesicht des Himmels und der Pfarrgemeinde! oder – oder ich müßte denn ein Bettler geworden sein – wie Ihr!“

Mühsam hatte er die letzten Worte, den frevelhaften Schwur, hervorgekeucht, und nun war es wie mit seiner Kraft so auch mit seiner Besinnung zu Ende. Taumelnd drang er durch die ihn Umringenden, welche entsetzt zur Seite wichen, und auf Umwegen suchte er sein Haus zu erreichen, sich in seine Kammer zu vergraben, dort seine Schmach zu bergen, seinen Zorn, seine Wuth auszutoben. –

In der Menge vor der Kirche war kein Laut hörbar geworden, der erschütternde Vorgang ließ jede Aeußerung verstummen. Wohl näherten sich einige Nachbarn Frau Barbla und Aninia, die wie ohnmächtig zusammengebrochen war, doch die mit ihrem Kinde beschäftigte Mutter wehrte ihnen ab und schweigend verließen sie mit den übrigen den Platz, der bald nur noch wenige einzelne Gruppen zeigte, die noch eine letzte Zwiesprach hielten, um sich dann auch zu entfernen. Nur der Mönch war bei den dreien geblieben, er bemühte sich, Worte des Trostes für die tief gebeugten Frauen zu finden.

„Nach Surley dürfen die beiden hier nicht zurück,“ sagte er, „das ist nun leider unmöglich geworden. Kommt mit mir, folgt mir auf den Crestalta. Dort räume ich Euch meine kleine Zelle ein – für mich wird sich auch noch ein Obdach finden. Kommt!“

„Fra Battista hat recht,“ sagte Mutter Barbla. „Geht mit ihm und ich will daheim für Euch – zu wirken versuchen. Geht!“

Aninia hatte sich wieder gefaßt, sie ergriff Beppos Hand; ein letzter, inniger Abschied beider von der Mutter, dann folgten sie dem Mönche.

Mutter Barbla wankte heim, den Kopf sinnend auf die Brust gesenkt. „Wenn er nur den frevlen Schwur nicht gethan hätte!“ murmelte sie in einem fort vor sich hin, „er wird uns alle ins Unglück bringen – zu Bettlern machen.“ –

Seltsam! Auch Beppo vermochte denselben Gedanken nicht loszuwerden, er beschäftigte ihn, wenn auch in anderer Weise, mehr als das Nächstliegende. Während er neben seiner Aninia herschritt und mit ihr Worte der Liebe und des Trostes wechselte, leuchtete der Schwur Madulanis wie mit feurigen Zeichen in seinem Hirn auf: „Keine Vergebung! – oder ich müßte denn ein Bettler geworden sein – wie Ihr!“


7. Während des Sommers. – Daheim und in vollem Sonnenschein.

Der Sommer war gekommen und vieles hatte sich während der Zeit in Surley und dessen Bereich geändert. Wenige Tage nach dem verhängnißvollen Sonntagmorgen vor der Kirche war der Franzosen-Peider, schwer beladen mit seinen goldenen Schätzen, doch leichten Herzens auf und davon geflogen. Viele seiner Freunde gaben ihm das Geleit bis nach Samaden, wo ein letzter Abschiedsschmaus und Rundtrunk gehalten wurde. Dann trabte er auf einem jungen, kräftigen Maulthier, das inhaltreiche Felleisen hinter sich aufgeschnallt, dem Unterengadin, dem Finstermünzpaß und Innthal entgegen, um über Innsbruck, Salzburg und Linz die schöne Kaiserstadt Wien an der Donau zu erreichen, allwo er ganz bestimmt den seiner würdigen Wirkungskreis und auch das rechte Glück zu finden hoffte. Beim Abschied von seinen Genossen hatte er in stolzem Selbstbewußtsein noch zu diesen gesagt: „Will einer oder der andere von Euch sein Glück auf demselben Wege probiren, auf dem ich es gefunden habe, so sucht mich in Wien auf, der Peider wird Euch beistehen, unterbringen und seine Kunst Euch lehren. Dann hängt es nur von Euch ab, es so weit zu bringen wie ich. Und nun – Addio! doch auch auf Wiedersehen, meine Freunde! – Addio! meine schöne Heimath! mein liebes, theures Bündnerland!“

Daß diese bedeutsame Abschiedsrede auf die Gemüther der jungen Silser einen ganz besonderen Eindruck machen mußte, war selbstverständlich, und schon jetzt durfte man als gewiß annehmen, daß über kurz oder lang mehr als einer von ihnen den erhaltenen Wink befolgen, den gleichen Weg ziehen werde, um unter der Leitung des kunstfertigen Landsmanns sein Glück in der Welt als „Schweizer-Konditor“ zu versuchen.

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