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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

theure Geld, welches er dafür ausgegeben hatte. Vor der Hand genügte ihm der Aufenthalt in der alten Heimath, er konnte noch eine gute Weile forterzählen und sich bewundern lassen, um dann, bei Eintritt der besseren Jahreszeit, seine Reise, oder richtiger, seinen Triumphzug durch das ganze Engadin fortzusetzen. Er gedachte geradesweges nach der Kaiserstadt Wien zu ziehen; was sollte auch er, der geschickte Pariser Confiseur, hier in dem öden Alpenthal und bei seinen armen Bewohnern treiben? Doch es kam zunächst ganz anders, als der „Pariser“ oder „Franzosen“-, auch „Gold-Peider“, welche Namen seine Landsleute ihm rasch beigelegt hatten, es geplant hatte.

Der Ruf des Wundermannes aus Sils-Baseglia hatte sich bald in den nächsten Dörfern verbreitet, und wo es der Schnee zuließ, kam man herbei, ihn anzustaunen, sich von ihm seine merkwürdigen Lebensschickale erzählen zu lassen. Auch der Cavig Gian Madulani zog nach Sils-Baseglia, um sich den Vielbesprochenen anzusehen, der noch mehr Geld haben sollte als er, der bisher reichste Bauer der ganzen Pfarrgemeinde. Gian fand sich so befriedigt von der gewandten und gar nicht üblen Persönlichkeit, von den blanken Goldstücken und den Erzählungen des Landsmannes, daß er diesen einlud, ihn in Surley zu besuchen. Peider erschien schon in den nächsten Tagen, sah bei dieser Gelegenheit die Gold-Aninia, und geblendet von der seltenen Schönheit des Mädchens, seltsam getroffen durch den Beinamen, der so gut zu dem seinigen paßte, beschloß er, seine Reise nach Wien so lange aufzuschieben, bis er die Gold-Aninia als sein Weibchen mit nach der Kaiserstadt an der Donau führen konnte. Denn daß das Mädchen sich sträuben würde, seine Bewerbungen, falls er sie ernstlich vortrüge, anzunehmen, kam ihm nicht entfernt in den Sinn, ebenso wenig, daß Vater Madulani sich weigern könnte, eine solche Verbindung gutzuheißen. Peider glaubte sogar seiner Zustimmung schon jetzt sicher zu sein; hatte der Alte doch bereits bei einer Anspielung darauf geschmunzelt, was wohl anstatt einer ermuthigenden Rede gelten konnte.

Also war der zweite, gefährliche Freier der schönen goldblonden und reichen Engadinerin beschaffen. – Bald jedoch sollte ein dritter und wohl noch weit gefährlicherer hinzukommen.


2. Ein altengadiner Volks- und Frühlingsfest und Beppo, der Bergamasker.

Der Mai desselben Jahres 1790 war gekommen und mit ihm der Frühling für die Hochthäler des Engadins, die nach der Behauptung eines volksthümlichen bitteren Scherzwortes „neun Monate Winter und drei Monate schlechtes Wetter“ haben. Diesmal aber war es anders, denn schon mit Ende April war der Schnee des Thals zergangen und der junge Frühling mit seinem frischen Grün und den knospenden Alpenrosen überraschend schnell eingezogen. Alle Angehörigen der Pfarrgemeinde Surley aus den umliegenden Ortschaften hatten sich am letzten Sonntag des Mai in ihrem Hauptort zusammengefunden, um nach glücklich überstandenem Winter in althergebrachter Weise mit Trinken, Gesang und Tanz des Frühlings Einzug zu feiern. Der große, freie Platz, eine vom Surleywasser durchflossene, im schönsten saftigen Grün sich weit ausbreitende Wiese, zwischen dem Dorfe und dem Stückchen Inn, das – hier noch „Sela“ benannt – die beiden Seen von Silvaplana und Campfèr verband, war wie gewohnt als Fest- und Tanzplatz ersehen worden. Die Matte erstreckte sich nach Osten hin bis zu dem vorspringenden, dichtbewaldeten Hügel Crestalta, wo vor vielen Jahrhunderten ein Kloster gestanden haben soll; jetzt gab es dort nur noch einige Ruinen und Steinhaufen, die indessen einen einsamen Bewohner, einen aus dem italienischen Veltlin eingewanderten alten Mönch, Fra Battista geheißen, beherbergten.

Die ziemlich große und recht bunte Gesellschaft hatte sich in drei sichtlich scharf getrennte Gruppen geschieden. An einzelnen roh gezimmerten Tafeln, die sich an die Kirche und die Wohnstätten lehnten, saßen die Alten, Männer und Frauen, während zu beiden Seiten, in weiter Ausbreitung, nach dem Silvaplanaer See hin die Burschen, nach der schattigen Halde des Crestalta zu die jungen Mädchen, theils an Tischen saßen, theils schon auf dem sonnigen Rasen lagerten. Der reiche Gian Madulani hatte aus dem italienischen Veltlin ein Faß des dort wachsenden köstlichen Rothweines herbeigeschafft, das er nun mit seinen älteren Standesgenossen leerte; der Pariser Peider, der nicht umsonst „Gold-Peider“ heißen wollte, that ein Gleiches für die junge Welt. Mit den alten und neuen Freunden aus Baseglia hatte er ein noch größeres Faß als das des Ammanns über den Berninapaß dahergeführt und gab dessen würzigen, berauschenden Inhalt den jungen Burschen zum besten. Die Frauen hatten nach altem Brauch kleine Kuchen aus Kastanienmehl gebacken, mit Rosinen und Zirbelnußkernen verziert, eine begehrte und seltene Leckerei. Es ging für die an Entbehrungen gewöhnten, genügsamen Engadiner hoch her und die fröhlichste Stimmung herrschte allerwärts.

Gian Madulani saß zwischen seinem Weibe Barbla und seiner Schwester, der Büssin; erstere war eine schmächtige Gestalt mit bleichen gutmüthigen Zügen, doch mit einem Blick der dunklen Augen, der deutlich sagte, daß auch ihr die Energie innewohnte, welche den abgehärteten Bewohnern des rauhen Engadins eigen ist. Die Büssin war eine große, starkknochige Frau, mit gebräuntem Antlitz, sichtlich energisch und eigensinnig wie ihr Bruder, dessen Züge sie trug. Beide Frauen hatten den heutigen Festtag mit seinem feurigen Veltliner als vorzügliche Gelegenheit erkannt, zu Gunsten des Clo nun einmal offen dem Vater zu Leibe zu gehen, welcher bisher die vorsichtigen Anspielungen seiner Frau immer zu überhören für gut fand.

Eine ganze Weile ließ Gian sein Weib von der einen, dann seine Schwester von der andern Seite auf sich einreden; immer geläufiger gingen ihre Zungen, gestalteten sich die Reden, und da der Ammann hartnäckig schwieg, dabei gar nicht unfreundlich blickte, nur dann und wann den gefüllten Weinkrug zu langem Zuge an die Lippen führte, so glaubten sie sich bereits dem gehofften Ziele, ihrem vollständigen Siege nahe. Schon wollten die Angriffe, die Bitten und Schmeicheleien in schüchterne Dankesworte übergehen, – da öffnete Gian endlich den Mund zu etwas anderem als zum Trinken. Mit einem kräftigen Schlage setzte er den Weinkrug auf die Tafel nieder, und seine ganze mächtige Gestalt reckend und dehnend, die beiden Frauen nach einander mit blitzenden Augen anschauend, sprach er laut, unbekümmert, ob seine übrige Umgebung es hörte oder nicht:

„Nun ist’s genug! Nun hört meine Meinung, und an der ist nichts zu ändern, das merkt Euch. Hättest Du“ – er wandte sich an seine Schwester – „nicht einen Habenichts geheirathet, so säßest Du heute nicht als die ärmste Frau von Surley in dem elendesten Steinhaufen des Dorfes und brauchtest Dir nicht von Deiner Schwägerin, hinter meinem Rücken, von Zeit zu Zeit das Allernothwendigste zu erbetteln. Das ist für Dich, Maria Büssin. Dir, meinem Weibe, aber sage ich, daß ich mich nicht mein ganzes Leben lang dafür geplagt haben will, damit ein zweiter Habenichts sich mit dem, was wir erworben haben, gütlich thun kann. Geld muß zu Geld, Gut zu Gut, so gehört es sich und so muß es bleiben, so lange Grund und Grath stehen! Ich halte es also, so wahr mir Gott helfe! oder – ich müßte denn selber ein Bettler und arm geworden sein wie die da!“

Gians Schwester saß in sich gekrümmt da und weinte; die sonst so starke Frau fand keine Erwiderung auf den leidenschaftlichen Ausfall ihres Bruders, der, so lange sie denken konnte, nicht mit einer solchen Rücksichtslosigkeit zu ihr gesprochen hatte. Doch die Schwägerin antwortete für die zu arg Mißhandelte. Die schmächtige Gestalt hob sich langsam von ihrem Sitz empor, die Arme stemmte Frau Barbla auf die Tafel, ihr sonst so bleiches Antlitz war geröthet und die Augen, auf ihren Mann gerichtet, sprühten Feuer. Dann sprach sie, ihre Aufregung, so viel es ihr nur möglich war, zu bemeistern suchend:

„Unser Herrgott mag Dir Deine sündigen Worte verzeihen! Der Geldteufel verblendet Dich, Gian Madulani, daß Du kein Herz mehr hast für Deine Schwester und ihren Sohn. – Du weißt es so gut wie ich, daß sie nicht arm wären, wenn –“

„Genug der einfältigen Reden!“ rief der Cavig mit zornbebender Stimme. „Nicht ein Wort mehr will ich hören, und was ich geschworen habe, das habe ich geschworen.“

„Gut,“ erwiderte Frau Barbla, mühsam an sich haltend, „ich kann Dich nicht zwingen, unser Kind dem Clo zu geben, der ein guter Bursch ist und ehrenwerth und ein Herz für sie hätte. Aber,“ fuhr sie mit starker Stimme fort, „etwas anderes kann ich: meine Einwilligung als Mutter verweigern, wenn Du sie aus Habgier, um Geld und immer mehr Geld, an den Freier, der Dir im Kopfe steckt, verkaufen willst. Da habe ich mit dreinzureden, und so gelobe auch ich, Schwur gegen Schwur: So lange Grund

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