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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 28   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Nicht im Geleise.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Fortsetzung.)


Einen Besuch abzuweisen, gehörte nicht zu den Lebensgewohnheiten der Frau Assessor Ravenswann; im Gegentheil, sie bedauerte es immer sehr, wenn sie einen solchen verfehlt hatte. Ludolfs Weisung, Germaine nicht mehr zu empfangen, konnte sie durch einen Zufall leicht befolgen. Germaine kam zweimal, als Mietze nicht daheim war. Diese Besuche blieben einfach unerwidert und damit war der Bruch geschehen. Steinweber und Haumond hatten sich gar nicht gezeigt.

Die Frau befand sich in der größten Erregung. Sollte sie sagen lassen, sie sei nicht zu Hause? unpäßlich? Aber der brennende Wunsch, Alfred zu sehen, von ihm selbst vielleicht alles zu hören, war so groß in ihr, daß sie sich plötzlich darauf besann, daß man nicht durch Dienstbotenmund Lügen bestellen dürfe.

„Ich bitte,“ sagte sie, lief aber in das Nebenzimmer, um sich etwas zu sammeln, ihre Schürze abzunehmen, ein frisches Taschentuch mit Kölnischem Wasser zu betupfen und ihr Haar noch besonders glatt zu streichen

Dann kehrte sie mit zitternden Knieen in das Gemach zurück, wo Alfred mit dem hohen Hut in der Hand stand und die Photographie eines Thumannschen Bildes, die an der Wand hing, ansah.

„Gott, wie ist er blaß!“ dachte Marie ergriffen. Natürlich, an Aerger und Kummer durch die Frau hatte es ihm nicht gefehlt.

„Wir haben uns lange nicht gesehen,“ sagte sie mit bebender Stimme.

„In der That“ antwortete Alfred mit einer Stimme und einer Miene, als sei nichts vorgefallen, „ich bin gegen meine gnädige Gönnerin nachlässig gewesen. Aber wenn Sie wüßten, was alles auf mir lag.“

„Ich weiß,“ sagte sie innig und traurig.

„Sie wissen?“ fragte er entgegen. „Das nimmt mich wunder. Ah, vielleicht durch Bendel. Ja, ich merke, daß ich doch bessere Arbeitskraft besitze, als ich mir immer zutraute. Ich hoffe auch, etwas Nützliches gethan zu haben, indem ich der deutschen Leserwelt ein bedeutendes englisches Buch zugänglich machte. Seit vierzehn Tagen bin ich mit der Uebersetzung fertig. Daneben und nachher hatte ich schrecklich viel zu thun mit der Ordnung meines Vermögens. Sie wissen, ich denke mich in Pommern anzukaufen. Bei der Bebauung meiner Scholle und der Beschäftigung mit meiner Bücherei hoffe ich ein befriedigtes Leben zu führen. Ich reise morgen ab, um einige Besitzungen, die mir angeboten sind, zu besichtigen. Man schreibt mir, daß die Gegend dort schneefrei ist. Mich zu verabschieden bin ich gekommen, denn es wäre mir, an dessen Unhöflichkeiten Sie so oft gütig Nachsicht geübt haben, doch zu ungezogen erschienen, mich aus Berlin zu entfernen, ohne Ihnen noch die Hand zu küssen.“

Nein, das war denn doch zu viel der Komödie! War er gekommen um sie dumm zu machen? Marie kämpfte mit Thränen.

„Und Germaine?“ entfuhr es ihr.

„Germaine? Wir haben


Gottfried Keller.
Nach einer Photographie von J. Ganz in Zürich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_469.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)