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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Als am nächsten Tag die Pforte des Museums geöffnet wurde, wandelte Sif, ihren kleinen Götzen auf dem Arm, hinüber.

Mit klopfendem Herzen betrat sie die Vorhalle, welche durch ihr Kreuzgewölbe, die feierlich hohen Spitzbogenfenster daran erinnerte, daß das Gebäude einst ein Kloster gewesen war. Viele Menschen liefen geschäftig durcheinander.

„Gehen Sie nur immer diese Galerie entlang und klopfen Sie dort an die letzte Thür,“ sagte der von allen Seiten in Anspruch genommene Portier zu ihr, als sie nach dem Herrn Direktor Steffen fragte.

Sif klopfte bescheiden an. Drinnen fiel ein Stuhl um; gewiß ein dreibeiniger Schemel, dachte sie. Sie kannte diese wackelige Sorte, für welche die alten Herren eine Vorliebe hatten.

Es wurde ein Fluch gemurmelt und die Thür aufgerissen. Ein junger Mann von kräftiger Gestalt mit einem mächtigen braunen Vollbart blickte, ärgerlich über die Störung, mit zornig zusammen gezogenen Augenbrauen heraus. „Was giebt’s?“ rief er mürrisch in die Galerie hinein. Dann verstummte er, und die Augenbrauen begannen sich zu glätten, seine Augen vergrößerten sich sichtlich.

Wie ein altdeutsches Bild stand das junge Mädchen in dem Thürbogen. Das schlichte schwarze Hütchen ohne die modische emporragende Spitze umrahmte ihr ruhiges Gesicht gleich einer altdeutschen Haube; von dem dunkelblauen Kleid hoben sich die goldenen Zöpfe ab. Dabei umschwebte die hohe Gestalt eine herbe Jungfräulichkeit; ein reiner kühler Hauch schien von ihr auszugehen – wie von einer Holbeinschen Madonna, meinte er.

Und auch Sif schwieg und sah ihn mit weitgeöffneten Augen an. Da stand er leibhaftig vor ihr, den sie so lange im Geist gesehen, bis sein Bild in der dahin rollenden Zeit allmählich zu verblassen begonnen hatte. Er war es, aber im schwarzen Sammetrock wie der Doktor Faust. Sie erwartete jeden Augenblick, daß er anheben werde: „Sueze Juncfrouwe, nach was stehet iuwer Sinn?“

Aber er sprach ganz alltäglich, wenn auch jetzt höflicher als vorhin: „Womit kann ich Ihnen dienen?“

„Ich möchte den Herrn Direktor Erwin Steffen sprechen,“ antwortete Sif mit stockender Stimme.

„Der bin ich. Was bringen Sie?“ fragte der junge Mann.

Sif wurde noch verwirrter. Sie hatte sich auf einen alten weißhaarigen Gelehrten vorbereitet, und nun war der Kürassier ihrer Träume, der übermüthige Minnesänger das Licht der Wissenschaft, an das ihr Vater sie gesendet hatte. Mühsam faßte sie sich. „Ich habe den Auftrag,“ sprach sie und trat mit sanfter Entschlossenheit in das Gemach, „Ihnen von meinem Vater, dem Bibliothekar Ehrlich, hier das aufgefundene Götzenbild zu überbringen für die Ausstellung.“

Der Direktor nahm ihr die kleine Koboldsgestalt ab.

„Ein Tableau wie die heilige Familie,“ ließ eine naseweise Stimme hinter dem Paar sich vernehmen.

Aus dem Seitengemach drängte eine Schar junger Männer herein, mit neugierigen Blicken das junge Paar musternd, das sich so feierlich mit dem kleinen Erzbild trug. Es waren Schüler des Direktors, Beamte des Museums, bei der Ausstellung beschäftigte Architekten. „Statt schnudderige Reden zu führen,“ sagte der Direktor scharf, „rubrizieren Sie lieber den Beitrag für die Ausstellung. Es ist der vielbesprochene Purzelmann.“

„Der Purzelmann?“ „Ach, der neu entdeckte Amor!“ „Ist’s wahr, daß er rauchen kann?“ „Schnell eine Cigarre her!“ tönte es durcheinander.

Sif hielt die Hände schützend über ihn. „Wenn Sie trockenes Wellenholz haben, soll er sofort rauchen.“

Da stopfte einer schon Reisig in den Purzelmann; von allen Seiten bliesen sie auf ihn ein. Rauch schnob er ihnen dafür in die Augen.

Sif sah hilfeflehend den Direktor an. Sie begegnete seinen großen grauen fest auf sie gerichteten Augen.

Er fuhr auf. „Ruhe, meine Herren! Vielleicht wäre Fräulein Ehrlich so gütig, uns das Experiment zu zeigen.“

Sif zog die Handschuhe aus und befreite ihren kleinen Götzen von seiner Ueberladung mit Brennmaterial.

Als die junge Schar wieder hilfreich ihr beistehen wollte, trieb sie ein strenger Blick des Direktors zurück. Er selbst bildete die Barriere zwischen dem ruhig hantirenden schönen Mädchen und dem muthwilligen Volk.

Nachdem sie als letzte Feuerung ein paar Wachholderzweiglein ihrem Täschchen entnommen und in das weit geöffnete Mäulchen gesteckt hatte, begann sie, in das Ohr des Purzelmanns zu blasen.

Wie sie neben dem kleinen Kerl stand, die langen seidigen Wimpern gesenkt, die Lippen an das schwarze Köpfchen geschmiegt, sah es aus, als flüstere sie ihm etwas zu.

Ganz versunken in das wunderbare Bild stand der Direktor. Da hörte er leise hinter sich einen der Architekten sagen: „Ich wollte, jetzt wäre ich der Purzelmann.“ Er drehte sich mit strafendem Blick herum. Als er wieder hinsah, hatte Sif sich aufgerichtet, und der Purzelmann dampfte behaglich.

Die andern umdrängten sie wieder. „Fräulein, wenn Sie so gut mit altem Geräth umgehen können, verstehen Sie vielleicht auch das kostbare Spinnrad wieder in Gang zu bringen, welches uns eingeliefert worden ist. Es ist nicht entzwei und will doch nicht vorwärts.“

„Spinnen verstehe ich,“ erwiderte Sif. „Zeigen Sie mir das Rad!“

Der Direktor bot ihr den Arm, und nun ging es im fröhlichen Zuge nach dem Saal, der den Hausrath enthielt.

Es war ein kostbar mit Perlmutter ausgelegtes Spinnrad. Noch bauschte sich feiner Flachs unter dem verblaßten Wockenband, an silbernem Kettchen hing das Häkchen zum Einziehen des Fadens, der Netzbecher zeigte ein gemaltes Vergißmeinnicht. Wer konnte sagen, an wen dieses Blümchen hatte erinnern sollen?

Sif nahm Platz davor und sah mit kunstverständigem Blick das Spinnrad an. „Die Schnur ist zu scharf gespannt; sie kreuzt sich nicht zwischen Spule und Rad. Es muß auch geölt werden. Wollen Sie Wasser in den Netzbecher besorgen? Wer ist so freundlich, beim Knüpfen des Kreuzknotens in die Schnur den Finger darauf zu drücken?“

„Ich!“ „Ich!“ riefen alle zugleich.

Aber der Direktor stand schon mit gerunzelten Brauen neben dem Rad. „Oel ist drüben bei den alten Harnischen, Wasser drunten am Brunnen zu holen,“ befahl er, und seine schöne kräftige Hand legte Beschlag auf das Rad.

Sie beugten sich beide darüber, während Sif den künstlichen Knoten knüpfte. Er drückte fest auf die feine Schnur; ihre rosigen Fingerspitzen schürzten sie geschickt.

So hatte vielleicht schon vor vielen vielen Jahren ein gefälliger Ehemann seiner Hausfrau geholfen, und sie ihm dann mit einem Kuß gelohnt.

Jetzt richteten sich beide auf, und beide waren mit hoher Röthe übergossen. Die Gehilfen kamen wieder herein geplatzt.

Endlich war Sif fertig mit ihrer Arbeit. Sie setzte den Fuß auf das Trittbrett und das Rad in Schwung. Es schnurrte gehorsam, als habe es nur auf die richtige Hand gewartet. Mit sichtlicher Freude spann das junge Mädchen. Sie saß vor einem mit bunten Glasmalereien ausgefüllten Fenster, den Kopf der Arbeit zugeneigt. Wie die schön geformten Arme anmuthig den Faden auszogen, die weißen Hände in den Netzbecher tauchten, der schmale Fuß in leisem raschen Tritt das mit zierlichen Glöckchen behangene Rad gedankenschnell sich schwingen ließ, da war es, als halte der ganze Museumsvorstand den Athem an.

An der Thür trippelte schon lange der Diener herum. „Aber Herr Direktor,“ rief er kläglich, „draußen wartet ein ganzer Schwarm mit Waffen und Geräth und Gott weiß was noch.“

Der Direktor richtete sich auf. „Wir müssen an unser Tagewerk gehen.“ Und seine junge Schar abkommandierend, fuhr er fort: „Herr Bauführer, besorgen Sie für den Purzelmann ein festes Piedestal! In die zweite Abtheilung, Saal X, bringen Sie ihn neben den Gipsabguß der sogenannten Wölfin, eigentlich Bärin Karls des Großen in Aachen, und numerieren Sie ihn. Sie, Herr Archivar, wollen sogleich eine Quittung für Fräulein Ehrlich über den eingelieferten Gegenstand schreiben. Und Sie, Herr Sekretär, begleiten mich in das Anmeldezimmer.“

Dann wandte er sich an Sif, die ihre Handschuhe wieder anzog und nach dem Schirmchen griff. „Wollen Sie Ihren Schützling auf seinem Platze sehen, so schenken Sie dem Museum heute nachmittag noch einmal Ihren Besuch. Ich möchte Ihnen auch gern unsere Sammlungen zeigen. Sie müssen für Ihre gütige Hilfe eine kleine Gegenleistung annehmen. Fünf Uhr wird der rechte Zeitpunkt sein, wenn es Ihnen gefällig ist.“ –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_399.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)