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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Immer eilten seine Gedanken zu dem unglückverheißenden Ehebund des Freundes. Unwillkürlich verglich er sich mit ihm. Er gestand sich, daß er niemals, in keiner Lage des Lebens sich hinreißen lassen könnte, so blind, so absichtlich blind die folgenschwersten Dinge zu unternehme. Und nun gar eine Heirath!

Vor ihm erstand das Bild jenes blonden schönen Mädchens, welches er vor drei Monaten in Schwalbach gesehen hatte und welches immer wieder in sein Gedächtniß zurückkehrte.

Aus Frankreich heimkehrend, hatte er damals seine verschiedenen Verwandten aufgesucht und, während die Vorverhandlungen wegen seiner jetzigen Stellung liefen, sich bald da, bald dort in Mitteldeutschland aufgehalten, die Geschwister seiner verstorbenen Mutter gesehen, in Frankfurt seine einzige dort verheirathete Schwester besucht und diese nach Schwalbach zum Kurgebrauch gebracht.

Dort hatte er einige Tage „aus der Ferne“ ein junges Mädchen beobachtet, das eine kranke Mutter hingebend pflegte. Das heißt, die „Ferne“ war eigentlich die Nähe eines Nachbarbalkons gewesen. Seine Schwester, selbst entzückt von der ersichtlichen Geduld, Ergebung und immer gleichen Freundlichkeit der schönen Blondine, hatte es verstanden, sich mit ihr bekannt zu machen. Sie bemerkte zwar, daß die kranke Dame und deren vielbeschäftigte Tochter keine Zeit und Neigung zu Badebekanntschaften hatteb, aber ihre Vorliebe machte sie etwas zudringlich, sie redete die Damen immer wieder an und stellte sogar gelegentlich den Bruder vor.

Marbod wußte nicht, ob er irgend welchen Eindruck gemacht oder irgend eine Erinnerung hinterlassen hatte. Er selbst hatte erst im Lauf der vergangenen Monde erkannt, daß sich das Bild jenes Mädchens in seiner Seele festgesetzt hatte als Bild vollkommenster Weiblichkeit.

Wie oft hatte er schon vorgehabt, seine Schwester brieflich zu fragen, ob sie mit der kranken Frau Thomas oder ihrer Tochter Germaine näher bekannt geworden sei, ob sie Beziehungen unterhalten habe und den Wohnort der Damen anzugeben vermöge. Aber seine zögernde Art hatte ihn immer davon zurückkommen lasse.

Nun jedoch, durch die Gefahr, den Freund zu verlieren, fühlte er sich plötzlich von dem zwingenden Wunsch ergriffen, zu lieben und geliebt zu werden. Nicht unruhvoll, leidenschaftlich, unglücklich und maßlos wie Alfred, sondern ruhig, felsensicher und lebenbeglückend.

Er wollte schreiben, hier auf der Stelle. Eben rief er nach Papier und Tinte, als Doktor Moritz Bendel und Herr von Prasch ankamen. Der erstere, wie immer in tadelloser Eleganz gekleidet, hing seinen Ueberrock und seinen Cylinder an den nächsten Haken und warf, noch ehe er sich setzte, einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Sein schönes, höfliches Gesicht veränderte sich um keine Miene, als er Marbod die Hand reichte und sprach:

„Sieht man Sie endlich einmal, lieber Steinweber? Waren Sie im Theater? Nicht? Unglaublich! Ja, wo wollen Sie denn die Berliner Gesellschaft kennen lernen?“

Prasch, der immer irgend etwas „Merkwürdiges“ anhatte – so behauptete Bendel wenigstens – wickelte sich noch immer aus den Falten eines zu weiten genialen Havelocks und erreichte nur mit Mühe die Höhe des Kleiderrechens, um seine verfrühte Pelzmütze anzuhängen.

(Fortsetzung folgt.)




Die silbernen Wolken.

Ein Rückblick auf die Krakatoaforschung. Von C. Falkenhorst.

Wer an den Juni- und Juliabenden der letzten Jahre einige Zeit nach dem Sonnenuntergang seinen Blick auf den westlichen Himmel richtete, der konnte, wenn ihm das Glück hold war, jene seltsame Erscheinung beobachten, welche unter dem Namen der „silbernen Wolken“ oder „leuchtenden Nachtwolken“ als eine besondere Gruppe der leichten luftigen Gebilde in die meteorologische Wissenschaft eingeführt wurde. Der ungeübte Beobachter wird sie leicht mit jenen feinen Wolken verwechselt haben, die Cirrus- oder Federwolken genannt werden. Anders der Naturforscher. Er weiß, daß die Cirruswolken, wenn sie am Dämmerungshimmel erscheinen, höchstens in der ersten Viertelstunde nach dem Sonnenuntergang glänzen, dann aber dunkler aussehen als der Dämmerungskreis, in dem sie sich befinden. Wird auch dieser dunkler, so verschwinden sie im allgemeinen nicht, sie verändern nur ihr Aussehen, indem sie nun heller erscheinen als der ihnen zunächst liegende Theil des Nachthimmels. Die leuchtenden Nachtwolken strahlen aber im Augenblicke ihrer höchsten Entwickelung in einem silbernen Glanze, welcher dem Lichte des über dem Osthorizonte stehenden Mondes gleich ist, wenn die Sonne gerade untergeht. Dabei sind sie nur am Dämmerungshimmel und in dessen nächster Umgebung zu sehen; sinkt die Sonne tiefer unter den Horizont und weicht auch die Dämmerung dem dunklen Fittig der Nacht so verschwinden sie, löschen aus, bis auch ihre letzten Spuren am Horizonte erblassen.

Magisch, räthselhaft unheimlich ist das Erscheinen dieser Gebilde. Seit wann kennen wir diese silbernen Wolken, wer zaubert sie hervor, wie hoch schweben sie über unsern Häuptern? Das sind Fragen, die sich dem Forscher aufdrängen und die zum Theil auch beantwortet worden sind.

Was dort glänzt am nächtlichen Himmel in den lauen Sommernächten, das ist ein Widerschein der Sonnenstrahlen, die, für uns unsichtbar, noch die hohen Regionen 50 bis 75 Kilometer über unsern Häuptern treffen; denn so hoch schweben die silbernen Wolken und sie sind nicht immer dagewesen, sie sind eine junge Erscheinung am Himmel und eine flüchtige zugleich, denn sie leuchten schwächer und schwächer und bald werden wir sie nicht mehr sehen.

Sie werden verschwinden wie jenes „Nebelglühen“, das vor Jahren mit purpurnen Tinten unseren Himmel färbte; denn die Gelehrten behaupten, daß auch diese Wolken auf dieselbe Ursache zurückzuführen sind wie jene majestätischen Dämmerungserscheinungen, daß sie die letzten in der Atmosphäre sichtbaren Folgen des gewaltigen vulkanischen Ausbruchs auf Krakatoa[1] bilden.

Tausende werden in diesem Jahre nach den silbernen Wolken am Himmel spähen; denn man hat sogar die Amateurphotographen aufgefordert, Aufnahmen dieser Erscheinung zu veranstalten. So dürfte es auch zeitgemäß sein, einen Rückblick auf jene denkwürdige Katastrophe zu werfen, der um so lehrreicher ausfallen muß, als die Erforschung derselben nunmehr zu einem gewissen Abschluß gelangt ist.

*     *     *

An dem Eingang der Sundastraße zwischen Sumatra und Java liegen einige Inseln, von denen die größte Krakatoa war. Sie hatte einen Flächenraum von etwa 33 Quadratkilometern und war von drei Gebirgsgruppen gebildet. Die höchste Spitze derselben, der Krakatoa oder, wie die Eingeborenen ihn nennen, Pik Rakata, erhob sich als 800 Meter hohe Warte über die See und diente von jeher den Seefahrern als eine weithin sichtbare Marke. Die Insel hatte im geologischen Sinne eine gefährdete Lage. Die Verlängerungslinien der Vulkanreihen von Sumatra und Java, sowie der kleinen Eilande Poeloe Tiga, Seboekoe und Sebesi trafen alle in Krakatoa zusammen, sie stand somit auf dem Vereinigungspunkte dreier vulkanischer Spalten der Erdkruste. Verglichen mit den Vulkanriesen der Nachbarschaft, die z. B. auf Java selbst eine Höhe von 3000 bis 3700 Metern erreichen, war jedoch der Pik Rakata nur ein unbedeutender Hügel und stand still, unthätig da. Der letzte Ausbruch desselben hatte vor zwei Jahrhunderten im Jahre 1680 stattgefunden und nun deckten üppige Wälder die Höhenzüge der Insel, die nur von Zeit zu Zeit von eingeborenen Fischern besucht wurde. So herrschte auf dem Eiland tiefer stiller Friede und niemand ahnte, daß tief unter demselben dämonische Kräfte arbeiteten, um ihre Fesseln zu sprengen.

Da dampfte am 20. Mai 1883 das deutsche Kriegsschiff „Elisabeth“ an Krakatoa vorbei und von Bord desselben sah man eine ungeheure weiße Dampfsäule der Insel entsteigen, in die sich bald schwarze Rauchwolken mischten, aus denen Regen herabstürzte und Blitze niederzuckten, während Aschenstaub in weitem Umkreise


  1. Die Holländer nennen die Insel Krakatau.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_394.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)